Seit Anfang März, also mittlerweile fünf bis sechs Wochen, wird mir als Berufsfotograf entweder verboten oder komplett erschwert, meine Tätigkeiten auszuüben. Entschädigt werde ich dafür aber nicht.
Patrick V., Berufsfotograf
Seit Beginn der Corona-Einschränkungen – inmitten der wohl größten Gesundheits- und Wirtschaftskrise seit 1946 – darf er nicht mehr arbeiten. Bis dahin fotografierte er hauptsächlich Events oder begleitete Fußballspiele und Sportler – zwei Bereiche, in denen es jedoch vermutlich für längere Zeit schwierig sein wird, überhaupt wieder zur Normalität zurückzukehren.
Vom Ein- zum Existenzangst-Personen-Unternehmen
„Jegliche Aufträge, die bis Juli geplant waren, wurden storniert und abgesagt“, berichtet er fassungslos. Damit ist sein gesamtes Einkommen für die nächsten Monate weg, während seine Kosten für Studiomiete und Versicherungen aber wie gewohnt weiterlaufen – von privaten Kosten für Wohnungsmiete, Strom, Versicherungen, Auto, Essen und Medikamente ganz zu schweigen. Da muss es doch Hilfen geben, möchte man meinen. Aber Patrick erhält keine staatliche Unterstützung. Und er ist damit nicht der Einzige: Viele Ein-Personen-Unternehmen (kurz EPUs) fallen jetzt durchs Raster – durch das des Härtefallfonds.
Wie kann das sein? Für Phase 1 des Härtefallfonds waren Patricks Gewinne aus der selbstständigen Tätigkeit des Vorjahres, die zur Berechnung einer möglichen Unterstützung herangezogen werden, zu niedrig. Und auch in Phase 2 hat er, wie er erfuhr, keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe. Für Patrick haben die Regelungen des Corona-Härtefallfonds mehr als nur einen bitteren Beigeschmack. Immerhin geht es hier um seine Existenz.
Kein Land in Sicht
Patricks Schicksal ist kein Einzelfall. Zwischen 315.000 und 320.000 EPUs, also Ein-Personen-Unternehmen, gibt es in Österreich. Erstaunlich: Das sind 60 Prozent aller angemeldeten Unternehmen. Entsprechend hoch ist die Anzahl der Personen, die wirtschaftlich von EPUs abhängig sind: Das sind laut Schätzungen 700.000 Menschen.
Viele EPUs kämpfen momentan ums Überleben. So auch Jennifer N. aus Salzburg. „Ich gehe unter“, sagt sie. Jennifer ist im Direktvertrieb tätig: Mit dem Verkauf von Heißluft-Reinigungsgeräten verdient sie ihren Lebensunterhalt. Ihre Kunden: Gastronomiebetriebe. Damit steht sie nun vor einem doppelten Problem: Einerseits kann sie aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht zu ihren Kunden fahren, andererseits erleidet die Gastronomie selbst gerade enorme Umsatzverluste, sodass sie auch in naher Zukunft vermutlich nicht in ihr Produkt investieren werden. „Für mich ist das ein Genickbruch auf lange Zeit“, schildert die Salzburgerin ihre Situation.
Für mich ist das ein Genickbruch auf lange Zeit.
Jennifer N., EPU im Direktvertrieb
Zwar hat sie aus dem Härtefallfonds eine erste Zahlung erhalten, viel bringt ihr das allerdings nicht. „Es ist, wie wenn man einem Ertrinkenden einen Stein zuwirft“, sagt sie ironisch. Denn normalerweise generiert sie einen Großteil ihrer Umsätze genau dann, wenn die Winter- oder Sommersaison zu Ende geht und die Betriebe eine Generalreinigung vornehmen. Mit den Einkünften aus diesen paar Monaten kommt sie in der Regel gut das gesamte Jahr über die Runden. Was sie aber bereits in den letzten Wochen an Verlusten erlitten hat, kann sie dieses Jahr nicht mehr aufholen. Ihr Blick in die Zukunft ist von Angst und Ärger geprägt. Und sie gibt zu bedenken: „Alle haben momentan Angst um ihre Existenz. So auch die Gastronomiebetriebe. Da braucht es mindestens eine gut florierende Saison, bis überhaupt wieder genügend Vertrauen aufgebaut ist, um ans Investieren zu denken.“ Wie viele andere Personen im Direktvertrieb ist sie in Panik: „Es ist ein Kampf ums Überleben.“
Verloren im Meer der Bürokratie
Auch für Leo S. aus Linz sieht die Situation ähnlich prekär aus. „Dass so viele Leute auf der Strecke bleiben, ist eine Frechheit“, äußert er sich empört über die momentanen Regelungen des Härtefallfonds. Wie auch Patrick konnte er bisher keine Unterstützungsgelder beziehen.
Dass so viele Leute auf der Strecke bleiben, ist eine Frechheit.
Leo S., Coach und Medienpädagoge
Leo ist Trainer, Coach und Medienpädagoge für Sicherheit im Internet. Im Rahmen von Workshops zu digitaler Kommunikation in Kindergärten und Schulen macht er Lehrer*innen und Eltern auf die Gefahren für Kinder und Jugendliche im Netz aufmerksam und schult sie im sicheren Umgang mit dem Internet. Ganz klar, dass dies von Mitte März bis Ende April gar nicht und danach wohl nur eingeschränkt stattfinden kann, wenn überhaupt. Somit fehlen Leo auch die Aufträge und Umsätze, die er ohnehin nur in neun Monaten des Jahres generieren kann; immer dann, wenn keine schulfreie Zeit ist.
Was er sich von der Regierung wünscht, sind „Schritte, die uns wieder ein Stück zurück in die Sinnhaftigkeit und zu geprüften Sachverhalten bringen“. Denn für ihn ergeben sich Problematiken an zwei Fronten: Einerseits spiegelt die momentane Berechnungsgrundlage nicht seinen tatsächlichen Verdienstentgang wider, da viele der Zahlungen des letzten Jahres erst dieses Jahr eintreffen und somit im Rahmen seiner Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, die nach dem Zufluss-/Abfluss-Prinzip funktioniert, nicht in den Betrachtungszeitraum 2019 fallen.
Andererseits kann auch eine Anmeldung für das Arbeitslosengeld erst dann erfolgen, wenn er von der gewerblichen Sozialversicherung abgemeldet ist, was bei Neuen Selbstständigen immer nur zum Monatsletzten erfolgen kann. Aufgrund der Wartezeiten war er für den Härtefallfonds genau einen Tag zu spät dran. Somit entgeht ihm auch für den Monat April die Möglichkeit, Arbeitslosengeld zu beziehen. Sein Resümee: „Ob gewollt oder nicht, der Effekt ist, dass ganz viele Menschen in die Sozialhilfe oder Arbeitslosigkeit abgedrängt werden.“
Auch ein Sonderfall ist ein Härtefall
In den letzten Tagen stellt sich Fotograf Patrick immer wieder dieselbe Frage: „Wie kann es sein, dass mir als Staatsbürger, der etwas zum System beiträgt und alle seine Versicherungs- sowie Steuerbeträge bezahlt und dem jetzt verboten wird, mit seinem Beruf Geld zu verdienen, trotzdem in keiner Form geholfen wird?“ Antwort hat er darauf noch keine erhalten.
Wir brauchen das Geld nicht zum Leben, sondern zum Überleben.
Jennifer N., EPU im Direktvertrieb
Jennifer hätte sich ihrerseits eine unbürokratischere Abwicklung gewünscht, die ihr auch weniger das Gefühl gibt, Bittstellerin zu sein. Zudem bekrittelt sie, dass der Auszahlungszeitraum ständig verschoben wird: „Die Leute warten auf ihr Geld. Wir brauchen das Geld nicht zum Leben, sondern zum Überleben.“
Patrick, Jennifer und Leo sind nur drei EPUs, die um alles kämpfen und sich auf einem sinkenden Schiff wähnen. Sie stehen für eine große Zahl an Selbstständigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen die Kriterien für den Härtefallfonds nicht erfüllen oder trotz Unterstützungen langfristig gesehen um ihre Existenz bangen müssen. Alle drei sind sich einig: Es muss genauer hingeschaut werden, und es braucht weitere, unbürokratischere Regelungen, die all die zahlreichen Sonderfälle, die jetzt durch das Raster fallen, miteinschließen.
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EPU Österreich – Gemeinsam durch die Corona-Krise