Bei Alexander* hingegen lief der Sexismus subtiler ab. Er hatte angekündigt, ein Jahr in Elternzeit zu gehen. Trotz vieler erfolgreicher Jahre als Angestellter in dem Verlag bekam er auf einmal nur noch minderwertige Hilfsaufgaben. Als er aus dem Urlaub kam, stand sein Schreibtisch vor seinem Büro auf dem Flur. „Umstrukturierung“ nannte es sein Chef.
[infogram id=“aandw-online-sexismus-02-1h0r6rppoqo0w2e?live“]Sofie und Alexander sind damit nicht allein. 41 Prozent aller Frauen, die nach eigener Aussage Sexismus erlebt haben, haben diese Erfahrung am Arbeitsplatz gemacht. Häufiger passieren diese Situationen nur in der Öffentlichkeit (46 Prozent). Für Männer ist gerade der Arbeitsplatz der Ort, an dem sie am häufigsten Sexismus erleben (45 Prozent aller Männer, die Sexismus erlebt haben).
Tausende Erfahrungen
Die Zahlen stammen aus der Studie „Sexismus im Alltag“. Es ist eine Arbeit, die das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Auftrag gegeben hatte. Es handelt sich um eine bevölkerungsrepräsentative Pilotstudie, die sowohl mit qualitativer Untersuchung, also mehrstündigen Gruppenwerkstätten, als auch quantitativer Befragung (2.172 Befragte) arbeitete.
Sexismus ist ein breites Thema, das jeden Lebensbereich betrifft, das macht diese Studie deutlich. Einerseits durch klare statistische Erhebungen. Öffentliche Plätze, Fahrten in Bus und Bahn, Einkaufen, Sport und selbst die eigenen vier Wände können für Frauen zur Falle werden. Männer sind, wenn auch etwas seltener und in anderer Form, in ähnlichen Situationen betroffen: „Sexismus ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Darstellungs-, Ausdrucks-, Angriffs- und Übergriffs- und Herabwürdigungsformen“, fasst die Studie zusammen.
Das Problem ist, dass die Studie aus Deutschland stammt. Hierzulande gibt es keine vergleichbaren Daten. Um eine Brücke von der Studie aus Deutschland nach Österreich zu bauen, sprach Arbeit&Wirtschaft mit Marita Haas. Sie ist Gender- und Unternehmensberaterin in Wien und forscht seit vielen Jahren zu diesem Thema.
Sexismus ist schleichend
In der österreichischen Arbeitswelt lässt sich Sexismus präziser definieren, erklärt Marita Haas: „Sexismus bedeutet nichts anders, als dass Menschen aufgrund einer Geschlechterzuschreibung diskriminiert werden.“ Das sei immer mit Macht verbunden, was im Arbeitsumfeld vor allem unterschiedliche Hierarchieebenen betreffe. Dies sei wichtig, schließlich schränke genau das die Handlungsoptionen der Betroffenen oft ein.
[infogram id=“aandw-online-sexismus-03-1hnq4100yje0p23?live“]Doch die Arbeitswelt verändert sich. Alte Strukturen lösen sich auf. „In den letzten Jahren sehen wir, dass die Hierarchien flacher werden. Aber wir sehen auch, dass sich Sexismus in diesen amikalen Strukturen einschleicht“, erklärt Marita Haas die Situation in Österreich, wie sie sich in ihrem Arbeitsalltag als Beraterin darstellt. Durch das lockere, fast familiäre Arbeitsumfeld enstehe bei Sexismus eine Art „Das-darf-man-nicht-so-ernst-nehmen-Einstellung“.
Wo Sexismus beginnt und wo er aufhört, ist ein Thema, das permanent diskutiert werden muss. So heißt es in der deutschen Studie: „Ob etwas als sexistisch gilt und kodifiziert ist, hängt von der Deutung der Kommunikationszeichen ab.“ Das sieht auch Marita Haas so: „Wenn ich etwas als Grenzüberschreitung empfinde, ganz egal, ob es mein Gegenüber so angelegt hat, dann ist es eine Grenzüberschreitung. Etwas, das mich in meiner sexuellen Integrität verletzen kann.“ Es gehe darum, über das Thema zu reden, im Diskurs zu bleiben.
Niemand redet darüber
Beim Thema Kommunikation sieht Marita Haas auch eines der größten Probleme bei österreichischen Unternehmen: „Ich frage bei Organisationen immer, wie oft sie über das Thema Gender-Equality reden. Und dann stellt sich oft heraus, dass sie gar nicht darüber sprechen. Wir müssen uns aber im Alltag damit auseinandersetzen.“
Und der Alltag sieht laut Marita Haas so aus: „In Österreich ist es so, dass nur acht Prozent der Geschäftsführungen in den Top-200-Unternehmen von Frauen besetzt sind. Etwa doppelt so viele befinden sich dann in einer Managementposition, aber der Anteil von Frauen in entscheidungsrelevanten Positionen ist relativ niedrig.“
Dazu habe jede*r bereits Sexismus erlebt oder beobachtet. Eine Erfahrung, die durch die Studie aus Deutschland nur bestätigt wird: „44 Prozent aller Frauen und 32 Prozent aller Männer erleben Situationen, in denen sie persönlich Adressatin beziehungsweise Adressat sexistischer Zeichen und Übergriffe sind.“ Erschreckend ist, dass es sich hierbei um Situationen im Alltag handelt: „Sexismus ist nach ihrer Beobachtung (Anm.: Beobachtung der Frauen) omnipräsent, ist nicht auf einen Alltagsbereich und auf keine Schicht beschränkt.“
Bei sich selbst anfangen
Sexismus abzuschaffen ist in erster Linie eine kommunikative Aufgabe. Es gehe darum, Bewusstsein für das Thema zu schaffen, mahnt Marita Haas: „Ganz häufig wird in Österreich über Frauen als die ,Mädelsʻ gesprochen. Das wird aber nicht in Verbindung damit gebracht, dass das sexistisch ist. Es geht bei dem Thema aber um Arbeit auf Augenhöhe und darum, welche Bilder erzeugt werden, wenn ich ein verniedlichendes Wort nutze. Das ist ein Beispiel dafür, wo Sexismus beginnt und wie man seine eigenen Bilder hinterfragen kann.“
Dass es an Bewusstsein oder Sensibilität gegenüber Sexismus fehlt, kann auch die Studie aus Deutschland belegen. Immerhin 32 Prozent der Befragten geben an, im eigenen Umfeld noch nie Sexismus gegenüber Frauen beobachtet zu haben.
[infogram id=“aandw-online-sexismus-01-1hnq4100yjwlk23?live“]Hier seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen gefordert. „Es ist seine und ihre Verantwortung. Wenn etwas nicht stimmt, muss es angesprochen werden.“ So erklärt Marita Haas: „Männliche Workshop-Teilnehmer sagen häufig, dass sie merken, dass etwas nicht in Ordnung ist, und sie wollten auch etwas sagen, aber sie wussten nicht, ob es wirklich angebracht gewesen wäre, etwas zu sagen“, beschreibt Marita Haas den Alltag in der Arbeitswelt. Grundsätzlich sei es aber besser, etwas zu sagen. Und sei es in einem Vier-Augen-Gespräch. Und weiter: „Es geht in Richtung Zivilcourage. Und das muss eines der zentralen Themen sein.“
Ein Thema, das bereits in die Unternehmen hineingetragen werde. „Gleiche Teilhabe, gleiche Chancen, das wird immer stärker in den Köpfen der Entscheidungsträger*innen sichtbar, aber das ist auch etwas, das von nachfolgenden Generationen, den Millennials, gefordert wird.“ Auch Geldgeber würden ihre Investitionen zunehmend von Faktoren wie Gender-Equality abhängig machen.
Es braucht Konsequenzen
Der Druck wächst also. Innerhalb der Unternehmen muss sich etwas ändern. Das gehe aber nur, wenn die Unternehmungsführung dahintersteht. Wer sexistische Handlungen begeht, muss gekündigt, Prozesse müssen geändert und Bewertungsmuster überdacht werden. Marita Haas: „Wir müssen bei manchen Punkten umdenken und uns zum Beispiel überlegen, wie Gender in Führungsrollen festgeschrieben ist. Wen stellen wir uns als Führungskraft vor und stimmt dieses Bild überhaupt noch? Durchsetzungsfähigkeit ist männlich belegt. Aber mittlerweile geht es eher darum, zuhören und unterschiedliche Bedürfnisse wahrnehmen zu können, um ein Team, so unterschiedlich es auch ist, in eine gemeinsame Richtung zu bringen.“
Auch der Gesetzgeber hat bereits reagiert. Das Gleichbehandlungsgesetz sei theoretisch ein scharfes Schwert, glaubt Marita Haas. Arbeitnehmer*innen könnten sich darauf verlassen, dass Unternehmen Schritte unternehmen müssten, wenn sexuelle Belästigung vorliege. Doch das sei in den Führungsetagen noch nicht angekommen: „Das wird nur häufig nicht thematisiert. Den Führungskräften ist nicht bewusst, dass sie eine federführende Rolle haben, im Rahmen der Fürsorgepflicht dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter*innen keinen Sexismus erleben.“
Sieht man von der gesellschaftlichen und persönlichen Verantwortung, das zu tun, einmal ab, ist der Kampf gegen Sexismus auch für das Unternehmen von Vorteil. Denn die Folgen von Sexismus für die Betroffenen können teils verheerend sein. Die psychische Belastung sei wirklich enorm, erklärt Marita Haas. Aber nur wer sich wohl fühle, könne auch Leistung bringen. Sofie* und Alexander* haben beispielsweise ihre jeweiligen Arbeitgeber kurze Zeit später verlassen.
*Name geändert, Unternehmen sind der Redaktion bekannt.
Autorin Veronika Bohrn Mena über Diskriminierung und Political Correctness.