Sie machen heute einen Bevölkerungsanteil von rund 17 Prozent aus. Neben diesen Neuzuzügen ist Österreich auch durch die Zuwanderung früherer Jahrzehnte geprägt. Der Anteil der zweiten Generation beträgt zusätzlich rund 6 Prozent.
Staatliche Integrationspolitik steht vor der Herausforderung, Zuwanderer aller Art in die Lage zu versetzen, an den Kernsystemen der Gesellschaft, wie dem Arbeitsmarkt, dem Bildungs- oder dem Gesundheitssystem, möglichst gleichwertig teilnehmen zu können.
All diese Menschen bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit. Staatliche Integrationspolitik steht vor der Herausforderung, sie allesamt in die Lage zu versetzen, an den Kernsystemen der Gesellschaft, wie dem Arbeitsmarkt, dem Bildungs- oder dem Gesundheitssystem, möglichst gleichwertig teilnehmen zu können. So zumindest die Theorie. Seit 2010 liegt dafür ein eigener „Nationaler Aktionsplan für Integration“ vor. Er definiert sieben integrationspolitische Handlungsfelder, in denen seitdem sukzessive Maßnahmen gesetzt wurden.
Der Wind hat sich gedreht
Die Entwicklungen seit 2015 haben jedoch Spuren in der Integrationspolitik hinterlassen. Die türkis-blaue Bundesregierung hat 2017 in ihrem Regierungsprogramm einen Schwenk angekündigt. Integration wird darin skeptischer, noch stärker als eine Frage von „Ordnung und Sicherheit“ behandelt. Neben dem bisherigen Credo „Integration durch Leistung“ rücken vor allem ein stärkerer Kontrollanspruch und schärfere Sanktionen durch den Bund sowie der „Kampf gegen den politischen Islam“ ins Zentrum.
Analyse
Gut ein Jahr später zieht nun ein ExpertInnenbericht im Auftrag von SOS Mitmensch eine erste Bilanz: Welche konkreten integrationspolitischen Maßnahmen wurden bislang auf Schiene gebracht und umgesetzt? Insgesamt 38 Maßnahmen der neuen Bundesregierung haben ExpertInnen aus Wissenschaft, von Stakeholdern und NGOs dabei identifiziert.
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Mehr als die Hälfte der Maßnahmen (58 Prozent) werden als „großteils oder gänzlich desintegrativ“ bewertet. Lediglich 16 Prozent werden als „integrativ“ eingeschätzt, 21 Prozent als „ambivalent“ (das heißt sowohl mit integrativen als auch desintegrativen Aspekten). Fünf Prozent der Maßnahmen waren noch so unkonkret, dass keine Bewertung möglich war.
Die Analyse der Expertinnen und Experten zeigt ein klares Zurückdrängen von integrativen Maßnahmen durch die Bundesregierung und eine deutliche Forcierung von desintegrativen Maßnahmen. Wertvolle Programme und Projekte wurden gekürzt oder eingestellt, neue Hürden beim Zugang zu Ausbildung und Arbeit eingeführt.
Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch
Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, resümiert: „Die Analyse der Expertinnen und Experten zeigt ein klares Zurückdrängen von integrativen Maßnahmen durch die Bundesregierung und eine deutliche Forcierung von desintegrativen Maßnahmen. Wertvolle Programme und Projekte wurden gekürzt oder eingestellt, neue Hürden beim Zugang zu Ausbildung und Arbeit eingeführt.“
Mechanismen der Exklusion
Doch wie genau erfolgt der Ausschluss derer, die eigentlich durch Integrationspolitik zur Teilhabe/Teilnahme ermächtigt werden sollten? Vier Mechanismen stechen dabei heraus. Der erste lässt sich so zusammenfassen: Integration wird gefordert – Mittel dafür werden gekürzt. Besonders prägnant sticht der Widerspruch zwischen Worten und Taten hervor: Während von Zugewanderten lautstark „Integration als Eigenleistung“ gefordert wird, streicht oder kürzt man gleichzeitig die Budgetmittel für viele Integrationsmaßnahmen wie AMS-Mittel für Arbeitsmarktintegration, Gelder zur Bildungsintegration in Schulen oder die Mindestsicherung bei unzureichenden Deutschkenntnissen.
Im zweiten Mechanismus werden Verschärfungen und Segregation als „integrationsförderlich“ verkauft. Zahlreiche Maßnahmen entsprechen einer Sozialpolitik mit Zwang und Strafen, unterstellt wird dabei, dass Menschen erst bei höherem persönlichem Leidens- und Kostendruck aktive Eigenintegration betreiben würden. Das Argumentationsbild der „sozialen Hängematte“ wird spezifisch auf zugewanderte Personen übertragen, wie etwa bei der Kürzung der Mindestsicherung bei unzureichenden Deutschkenntnissen. Unerwähnt bleiben dabei freilich das unzureichende Deutschkurs-Angebot bzw. die hohen Kosten für private Kursbesuche, die vielen Zugewanderten einen kontinuierlichen Besuch von Deutschkursen (vor allem nach dem Anfängerniveau) erschweren.
Verzögerungen
Bestandteil des integrationspolitischen Schwenks ist drittens die zunehmende Hinauszögerung integrationsfördernder Maßnahmen. Die Aufhebung des Lehrstellenzugangs für Asylsuchende in Mangelberufen oder die verzögerte Zugangsmöglichkeit zur Staatsbürgerschaft für Asylberechtigte sind nur einige Beispiele dafür. Aktiv integriert werden sollen nur noch Personen, deren langfristiger Aufenthalt als vollständig gesichert gilt. Bei anderen Personengruppen soll Integration geradezu verhindert werden. Deutlich ausgedrückt hat dies Staatssekretärin Karoline Edtstadler etwa mit Blick auf die künftig untersagte Privatunterbringung von AsylwerberInnen: Diese führe „im Falle einer Abschiebung zur Belastung für die Asylwerber und für die Beamten“.
- Der Staat zieht sich zurück.
- Ehrenamtliche sind bei ihren Bemühungen um Integrationsbegleitung mit wachsenden Hürden konfrontiert.
Verstärkung von Spaltungen
Österreichs Integrationspolitik hat im abgelaufenen Jahrzehnt Schritte gesetzt, die sukzessive ein integrativeres Modell hervorgebracht haben. Nebenbei bemerkt liegt Österreich dabei europaweit immer noch im Mittelfeld. Aktuell kommt es jedoch zu einer Kehrtwende, die durch Förderabbau, Kontrollausbau und Privatisierung der Verantwortung geprägt ist, während Teilhabeermöglichung und breite Einbindung der Mehrheitsgesellschaft an Stellenwert verlieren. Das trägt letztlich zur Verstärkung statt zur Verringerung gesellschaftlicher Spaltungen bei.
Nationaler Aktionsplan für Integration:
tinyurl.com/yxmgbvs5
ExpertInnenbericht im Auftrag von
SOS Mitmensch:
tinyurl.com/y6ejeqld
Oliver Gruber
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
oliver.gruber@akwien.at
oder an die Redaktion
aw@oegb.at