„In Wien gibt es einige finanzkräftige Bauvereinigungen, die genug Geld haben, sodass sie die Wohnungen nicht zu günstigen Konditionen zum Verkauf anbieten müssen. Aber andere Genossenschaften sind finanziell nicht so gut aufgestellt“, so Thomas Ritt. Immerhin sei inzwischen dahin gehend novelliert worden, dass beim Weiterverkauf einer Immobilie innerhalb von 15 Jahren nach dem Erstbezug eine Spekulationssteuer anfalle. Dennoch werde so Wohnraum, der für den sozialen Wohnbau bestimmt war, langfristig diesem Bereich entzogen und wandere auf den freien Markt. Das führe zu hohen Mieten in solchen Objekten.
Sozialer Wohnbau: Nicht nachvollziehbar
Genau hier grätscht Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil mit einem neuen Projekt hinein: Dieses Jahr wird in drei Orten mit der Errichtung neuer sozialer Wohnbauten begonnen, die nach 30 Jahren automatisch in das Eigentum der Mieter:innen übergehen sollen. Dass nun gerade ein SPÖ-Politiker wie Doskozil dieses einst von ÖVP und FPÖ ersonnene Modell derart weiterverfolgt, kann auch Lukas Tockner, Wohnbauexperte in der AK Wien, nicht nachvollziehen. „Dieser Mietkauf zum Selbstkostenpreis ist kein Modell für die Zukunft. Was es braucht, ist die langfristige Verfügbarkeit von leistbaren Mietwohnungen. Für Leute mit niedrigem Einkommen ist das die einzige Chance auf ein würdevolles Angebot auf dem Wohnungsmarkt.“
Alles umsonst?
Sobald Wohnungen, aber auch Reihenhäuser auf den freien Markt gelangen, würden sie nur mehr gewinnorientiert vermietet. „Da wurde extra der Boden dem Markt abgetrotzt, um gefördert bauen zu können. Alles umsonst, die Wohnung muss faktisch ein zweites Mal gebaut werden. Dafür braucht es wieder ein günstiges Grundstück und wieder eine Förderung aus dem Landesbudget“, kritisiert Tockner.
Benedikt Erhard (ÖVP) ist Bürgermeister von Lans in Tirol. Der Ort zählt 1.100 Einwohner:innen. Lans liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Innsbruck, der Ortskern ist bis heute bäuerlich geprägt. Sechs Vollerwerbsbauern gibt es hier noch, weitere sechs betreiben eine Landwirtschaft nebenbei. Große Arbeitgeber sind zwei Reha-Einrichtungen mit jeweils 100 Betten. Daneben gibt es noch einige Tourismusbetriebe und ein bisschen Gewerbe. Die meisten Einwohner:innen pendeln aber nach Innsbruck ein – darunter viele Ärzt:innen, Anwält:innen, Angestellte. „Unsere Bevölkerung ist sehr urban.“ Die Eigentumsquote im Ort liegt bei fast 90 Prozent.
Grund und Boden als Finanzprodukt?
Und dennoch sorgt Erhard mit einem strikten Raumordnungskonzept dafür, dass in der Gemeinde nicht unkontrolliert gebaut wird. Wenn Grund und Boden und die Bereitstellung von Wohnraum dem freien Markt überlassen werden, dann werde dieser zum Finanzprodukt, sagt er. „Da entstehen dann Wohnungen, die 13.000 Euro pro Quadratmeter kosten. Das kann sich aber kein Mensch leisten, und daher ist dafür auch kein Bedarf gegeben. Und der Bedarf der Investor:innen an renditeträchtigen Anlageformen ist kein Bedarf der Gemeinde.“ Der Markt habe in den vergangenen Jahren „sehr viel Geld ausgespuckt“, so der Lanser Bürgermeister.
In der Region stellt nicht nur er sich gegen diese Entwicklung. An die 40 Gemeinden im Großraum Innsbruck hätten sich hier zusammengeschlossen, um Raumordnungsinstrumente zu akkordieren. In Lans darf seit Jänner 2022 nur mehr Wohnraum gebaut werden, der auch benötigt wird. Grundlage ist hier ein Register, in das sich Wohnungssuchende eintragen müssen. 50 Prozent der neuen Wohnanlagen müssen zudem zu den Konditionen der Wohnbauförderung errichtet werden, weitere 25 Prozent in der Preisbildung fördernah, und nur ein Viertel darf frei finanziert sein.
Christlich-soziale Tradition
Ob er sich damit auf ÖVP-Linie befinde? Erhard lacht und meint, auch die meisten anderen Bürgermeister:innen, mit denen er kooperiere, seien ja von der Volkspartei. „Ich finde, das verträgt sich wunderbar mit der christlich-sozialen Tradition. Die Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ist Kern dieser Tradition. Da bin ich auf Linie.“ Worum es aber gehe, egal ob im Bereich des Eigentums oder der Mieten, sei, „der freien Verfügung über das Eigentum an Grund und Boden wirksam Grenzen zu setzen“.
Welch eigenartige Blüten die Preisentwicklung dadurch treibt, illustriert Thomas Ritt. In schlechter Lage im 10. Bezirk in Wien, zwischen einer Bahntrasse und einer Durchzugsstraße gelegen, würden aktuell Wohnungen mit einem Quadratmeterpreis von 6.000 bis 7.000 Euro angeboten. „Die Preise sind ab 2008 explodiert“, schildert der Experte. Dazu beigetragen hätten über viele Jahre die Niedrig- bis Nullzinsen, sie regten zu Spekulation an. „Und die Gier nach Betongold hat die Bodenpreise explodieren lassen.“
Fataler Trend zum Einfamilienhaus
Das spüren auch jene Menschen in den Flächenbundesländern, die noch immer nach einem Eigenheim streben. Gerhard Augustin ist Kreditexperte in der AK Oberösterreich. Er hält grundsätzlich den anhaltenden Trend zum Einfamilienhaus für hinterfragenswert. Damit gehe eine massive Zersiedelung einher, verbunden mit einer Erhöhung des Individualverkehrs, da am Wohnort kein Supermarkt zu Fuß erreichbar sei.
Der überbordende Flächenfraß ist einer der größten Treiber der Biodiversitäts- und Klimakrise.
Simon Pories, Bodenschutzsprecher des WWF Österreich
Im Jahr 2021 sind in Österreich im Schnitt jeden Tag zehn Hektar an Fläche verbraucht worden, gab das Umweltbundesamt Ende 2022 bekannt. 5,8 Hektar gingen dabei durch Versiegelung dauerhaft verloren. „Der überbordende Flächenfraß ist einer der größten Treiber der Biodiversitäts- und Klimakrise“, warnt der Bodenschutzsprecher des WWF Österreich, Simon Pories, und fordert eine verbindliche Obergrenze von maximal einem Hektar pro Tag. Die amtierende ÖVP-Grünen-Regierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm verpflichtet, den Bodenverbrauch bis 2030 auf höchstens 2,5 Hektar pro Tag zu senken. Die Zeit drängt – ein konkreter Weg dorthin ist aber noch nicht besiegelt. Derzeit wird hier zwischen Bund, Ländern und Gemeinden an einer Bodenstrategie gearbeitet, wobei die Raumordnung in die Kompetenz der Länder fällt.
„Verdichtete Wohnformen“
Die Flächenwidmung wiederum fällt in die Kompetenz der Gemeinden. Auch hier sei ein Grund für die Zersiedelung zu finden, betont Ritt. „Die Bürgermeister:innen sind leicht erpressbar, und so schaut dann auch die Widmungspraxis aus. Wenn die eine Gemeinde den Bau eines Einkaufszentrums nicht zulässt, ermöglicht ihn die Nachbargemeinde. Der:die Bürgermeister:in muss dann überlegen, wie viel an Steuern dadurch abfließt.“ Und er gibt zu bedenken: Alles, was an Wohnraum nicht in der Stadt gebaut werde, werde im Umland gebaut – dann aber fehle die Infrastruktur, und der Pkw-Verkehr nehme zu. „Was wir also in den Städten brauchen, sind verdichtete Wohnformen. Wien zum Beispiel wird in den nächsten Jahren zwei Millionen Einwohner:innen erreichen – und irgendwo müssen die Menschen ja wohnen. Fehlt der leistbare Wohnraum in der Stadt, wird es das Einfamilienhaus mit Pendeln.“
Explodierende Kosten
Doch wie leistbar ist das Errichten eines Einfamilienwohnhauses überhaupt noch? Hier hat sich Augustin die aktuelle Zinsentwicklung angesehen. Wer vor einem Jahr einen Kredit in Höhe von 300.000 Euro aufnahm, zahlte bei einer Laufzeit von 25 Jahren bei variablen Zinsen und einem damaligen Zinssatz von beispielsweise 1 Prozent ohne Berücksichtigung sonstiger Kosten monatlich rund 1.131 Euro zurück. Nun liegen die Zinsen aber bereits bei 4,25 Prozent, und die monatliche Rate beträgt in diesem Beispiel damit bereits 1.626 Euro. „Mit der Brille des Verbraucherschützers muss ich hier dafür plädieren, zum Schutz vor Überschuldung auf die Bremse zu steigen. Da ist die soziale Miete die bessere Variante.“
Augustin begrüßt daher auch die Verordnung der Finanzmarktaufsicht, die seit August 2022 vorsieht, dass Kreditnehmer:innen über 10 Prozent Eigenkapital (plus weitere 10 Prozent für Nebenkosten wie Grunderwerbsteuer und Maklergebühren) verfügen müssen und die Kreditrate nicht höher als 40 Prozent des Einkommens betragen darf. „Ich finde es vernünftig, dass hier eine Bremse eingezogen wurde.“ Hausbauenden rate er zudem, auf einen Fixzinskredit zu setzen. „Der Anteil an variabel verzinsten Krediten ist zu hoch. Ja, eine Zeit lang war das eine super Sache, und man konnte auch mit einem geringen Einkommen größere Beträge finanzieren. Aber wenn die Zinsen steigen, wie es derzeit der Fall ist, kann das zum Desaster werden.“
Flucht aus der Wohnbauförderung
Tockner merkt zudem an, dass es in den vergangenen zehn Jahren im Bereich des Einfamilienhausbaus eine regelrechte Flucht aus der Wohnbauförderung gegeben habe. Der Grund dafür seien eben die günstigen Kredite gewesen. Das sei nun aber auf längere Sicht vorbei. Die Wohnbauförderung werde daher wieder attraktiver werden. „Wer den Häuselbauer:innen helfen möchte, muss die Wohnbauförderungsbudgets aufstocken. Das würde den Betroffenen wirklich etwas bringen, weil die Bau- und Finanzierungskosten zuletzt sehr stark gestiegen sind“, sagt der AK-Experte. Das Streichen der Grunderwerbsteuer für den Kauf des Grundstücks, wie von der ÖVP vorgeschlagen, wäre demgegenüber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Dass bei der Kreditvergabe Hürden eingebaut wurden, beurteilt auch Ritt als gut. Die Nationalbank meine, dass die Immobilienpreise um 30 bis 40 Prozent zu hoch bewertet seien. Dass so viel gebaut würde – in Wien in den vergangenen Jahren doppelt so viele Wohnungen, wie tatsächlich benötigt wurden, nämlich 60.000 statt 30.000 –, es aber dennoch einen Mangel an Wohnraum gebe, weil viele Neubauten leer stehen, und daher die Preise weiter gestiegen seien, zeige, dass etwas faul sei. Dem Argument, eine Mietpreisbremse wäre kontraproduktiv, denn dann würden Private weniger investieren, hält er entgegen: „Es wäre ein Segen im Moment, wenn es weniger privates Angebot gäbe. Dann würden die Bodenpreise sinken, und dann könnten wieder mehr leistbare Wohnungen gebaut werden.“
Preistreiber Befristung
Stichwort Mieten: Die AK fordert hier, dass Mieten maximal einmal im Jahr und dann nur um 2 Prozent erhöht werden dürfen. Ritt plädiert hier grundsätzlich für eine Novellierung des Mietrechtsgesetzes. Demnach sollten nach 30 Jahren ab Errichtung alle Wohnungen dem Richtwertmietzins unterliegen (derzeit gilt das nur für Bauten, die vor 1945 errichtet wurden) – sie seien ausfinanziert. Das Zu- und Abschlagssystem sei ebenfalls zu überdenken. Vor allem aber müsse die gängige Praxis der Befristung abgeschafft werden. Heute seien bereits zwei Drittel der neuen Mietverträge befristet – und das sei ein enormer Preistreiber.
In Wien gilt übrigens bei der Neuwidmung von Wohnbauland ab einer gewissen Größe (etwa Anlagen mit 50 oder mehr Wohnungen) inzwischen eine Zwei-Drittel-Regelung. Zwei Drittel der neu gewidmeten Fläche sind im Preis gedeckelt – in der Folge ist geförderter Wohnbau möglich. „Damit können nach und nach wieder mehr leistbare Mietwohnungen geschaffen werden“, so Tockner. So würde das Angebot an langfristig sozial gebundenen Wohnungen wachsen.
Diesen Weg hält der AK-Wohnexperte für nachhaltiger als jenen, den das Burgenland derzeit beschreitet, und er wünscht sich, dass in ganz Österreich mehr Grundstücke für den geförderten Wohnbau mobilisiert werden. „Dafür kann auch beim öffentlichen Grundstücksbestand angesetzt werden. Viel zu oft wird öffentlicher Boden teuer an gewinnorientierte Projektentwickler verkauft“, so Tockner. Dabei wäre es viel nachhaltiger, die Flächen an gemeinnützige Bauvereinigungen zu verpachten. Durch sogenannte Baurechtsverträge bliebe der Boden langfristig in öffentlichem Besitz.