Nun kann man sich fragen, warum sich Gewerkschaften überhaupt mit rechter und rechtsextremer Politik befassen sollten. Die Antwort ist simpel: „Die Ziele der Gewerkschaften und der extremen Rechten könnten nicht weiter auseinanderliegen“, sagt Scott McCabe vom gewerkschaftlichen Bildungszentrum in Glasgow, Schottland.
Der Befund
„Bei rechten Regierungen hat das Kapital einen deutlich größeren Einfluss“, sagte Peter Scherrer vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) wenige Tage vor dem SOZAK-Workshop am Rande des EGB-Kongresses in Wien. „Rechte und rechtspopulistische Parteien werden Gewerkschaften in ihrem Kampf für bessere Arbeitsrechte niemals unterstützen. Sie sind schnell bei Liberalisierungen für die Wirtschaft oder gegen Arbeitsschutzgesetze dabei.“ Deswegen, so Scherrer, hätten Gewerkschaften ein ureigenes Interesse, gegen rechtspopulistische Parteien zu kämpfen. „Das ist ein sehr direktes Interesse. Aber es gibt auch ein gesellschaftspolitisches Interesse, denn Rechte sind Feinde der Demokratie – und da stellen wir uns dagegen. Denn Gewerkschaften können nur in freien Gesellschaften auch freie Gewerkschaften sein.“
Extreme Rechte inszenieren sich in ganz Europa mit Erfolg als Anwälte des kleinen Mannes.
Andreas Peham, Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)
„Extreme Rechte inszenieren sich in ganz Europa mit Erfolg als Anwälte des kleinen Mannes“, erklärt Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) während des SOZAK-Workshops. „Sie geben vor, auf seiner Seite zu stehen und ihn vor den Zumutungen des globalisierten Kapitalismus zu schützen.“ Für Peham ist das bloße Sozialdemagogie, denn Rechtsextreme vertreten seit jeher die Interessen bestimmter Kapitalgruppen. Gewerkschaften sollten sich dennoch mit diesen Inszenierungen auseinandersetzen, denn sie zeigen Wirkung: Vor mehr als zehn Jahren ist in Deutschland in einer Studie nachgewiesen worden, dass Gewerkschaftsmitglieder nicht weniger rechtsextrem eingestellt sind als Nicht-Mitglieder, erläutert Peham. Auch in Österreich immunisiert die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft nicht davor, die FPÖ zu wählen.
Best Practices
Den Gewerkschaften sind die Analysen bekannt. Es gab und gibt zahlreiche Aktivitäten, Initiativen, Kampagnen. Das große Engagement in diesem Feld wurde auch im SOZAK-Workshop anhand vieler Beispiele sichtbar. Die IG Metall in Stuttgart hat ein Quiz erstellt, das spielerisch mit Missverständnissen und Lügen zum Thema Flüchtlinge aufräumt. „Wir nehmen reale Probleme der Menschen auf und stellen sie in einen neuen Rahmen“, sagt Joachim Beerhorst. Das Wort „Asylindustrie“ – mit dem Rechte NGOs und Hilfsorganisationen diskreditieren – meint im Quiz also Hotels, Transportunternehmen, Caterer und andere, die mit Flüchtlingen gutes Geld verdienen.
Das gewerkschaftliche Bildungszentrum in Glasgow liefert mit einer einfachen Website Argumente. „Tackling the far right“ (etwa: „Die extreme Rechte anpacken“) bringt verständliche Aussagen, warum gewerkschaftliche Werte und rechte Positionen niemals übereinstimmen können. „Bei Gewerkschaften geht es darum, Menschen zusammenzubringen und ihre Leben durch Solidarität zu verbessern. Aber die extreme Rechte versucht uns zu spalten, mit Angst und Lügen, sodass wir schwächer sind.“ Praxisorientiert gibt es Argumentationsvorschläge für Phrasen wie: „Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg.“
Bei Gewerkschaften geht es darum, Menschen zusammenzubringen und ihre Leben durch Solidarität zu verbessern. Aber die extreme Rechte versucht uns zu spalten, mit Angst und Lügen, sodass wir schwächer sind.
Website des gewerkschaftlichen Bildungszentrums , Glasgow
Die Arbeitskammer im Saarland setzt seit vielen Jahren Aktivitäten vor allem in Richtung Schulen. „Mit Filmwochen, Ausstellungen, Veranstaltungen adressieren wir Schülerinnen und Schüler, aber auch die allgemeine Öffentlichkeit“, erklärt Roman Lutz aus dem Saarland.
Viele weitere Beispiele belegen das Engagement der Gewerkschaften zum Thema Rechtspopulismus und extreme Rechte. Aber genügt das?
Was tun?
Was lässt sich nun – auf dem Weg ins Jahr 2050 – aus den vielen einzelnen Aktivitäten allgemein nutzbar machen? „Wir müssen schneller und mutiger sein“, sagt Manuel Stolz vom internationalen Sekretariat der GPA-djp. Einen Teil des Erfolgs der Rechten führt er darauf zurück, dass sie in den sozialen Medien präsenter sind als Gewerkschaften. „In klassischen Medien hatten die Rechten jahrelang geringere Aufmerksamkeit als die etablierten Parteien, sie waren daher darauf angewiesen, parallele Kanäle aufzubauen, um ihre Botschaften zu transportieren. Weil diese Kanäle immer wichtiger wurden, haben Rechte hier einen gewaltigen Vorsprung. Wir haben das auch im EU-Wahlkampf gesehen, Internet-Blogger haben eine große Kraft entwickelt.“ Stolz empfiehlt daher mehr Mut und mehr Tempo. „Wir sind im Social-Media-Bereich derzeit noch zu seriös, zu angepasst. Unsere Inhalte müssen viel einfacher sein, es geht nicht um ewig lange inhaltliche Erklärungen, es geht um Emotionen und um einfache Sprache.“
- Aufklären statt schimpfen
- Ohne erhobenen Zeigefinger
- Die Rechten inhaltlich entlarven
- Die rechte Wirtschaftspolitik sachlich enttarnen als das, was sie ist, nämlich niemals für die ArbeitnehmerInnen.
Werte und Eigenermächtigung
Ein viel gebrauchtes Wort im SOZAK-Workshop ist der Begriff „Empowerment“. Cornelia Broos von UNI Global in Genf formuliert es plakativ: „Die Gewerkschaften haben ihre Mitglieder in den vergangenen Jahren vor allem serviciert und nicht empowert. Die Mitglieder müssen verinnerlichen, dass auch sie Gewerkschaft sind. Gewerkschaften sind nicht nur die, die ihre Probleme lösen, und wenn sie einmal unzufrieden sind, treten sie aus.“ Auch Andreas Peham vom DÖW kommt zu diesem Schluss: „Gewerkschaften können nur dann gegen Rechtsextremismus wirksam sein, wenn sie sich deutlich als Wertegemeinschaft verstehen und nicht nur als Dienstleistungsunternehmen zur individuellen Förderung ihrer Mitglieder.“
Gewerkschaften können nur dann gegen Rechtsextremismus wirksam sein, wenn sie sich deutlich als Wertegemeinschaft verstehen und nicht nur als Dienstleistungsunternehmen zur individuellen Förderung ihrer Mitglieder.
Andreas Peham, DÖW
Happy End?
Europa. Wir befinden uns im Jahr 2050: Gewerkschaften haben seit ihrer SOZAK-Vision viel getan: Sie haben es geschafft, die Rechten inhaltlich zu enttarnen. Sie haben ihre FunktionärInnen befähigt, dem Thema selbstbewusst und gut informiert zu begegnen. Sie haben offene Gewerkschaftsstrukturen, in denen nicht nur FunktionärInnen aktiv mitarbeiten können. Sie haben neue Formate für die Bildungsarbeit entwickelt, sind mit Bildungsarbeit im betrieblichen Alltag stärker präsent und nicht nur in Seminarhotels. Sie haben ihre Mitglieder zu aktiven BürgerInnen gemacht, die sich selbst für ihre Anliegen einsetzen. Sie sind mit vielen Mitgliedern so stark geworden, dass sie in ihren Ländern mitbestimmende politische Kraft sind und die Situation der ArbeitnehmerInnen stetig verbessern. Oder, um mit Peter Scherrer vom EGB abzuschließen: „Das Licht am Ende des Horizonts heißt: stärker werden.“
Sozak
wien.arbeiterkammer.at/sozak
Nani Kauer
Freie Journalistin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
kauer.nani@gmail.com
die Redaktion
aw@oegb.at