Schlechtes Gesetz, gute KVs

(C)Sebastian Philip
Die Gewerkschaften mussten in der Herbstlohnrunde auch den 12-Stunden-Tag abmildern. Sie konnten einige Erfolge erringen.
Seit 1. September 2018 ist das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft, durchgepeitscht von der türkis-blauen Bundesregierung. Es ermöglicht 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche. Laut Sozialministerium hat es seitdem nur eine Handvoll Beschwerden wegen Überschreitung von Arbeitszeitgrenzen gegeben.

Also alles wunderbar? Gar nicht, meint Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB: „Es war zu erwarten, dass höhere Arbeitszeitgrenzen zu weniger Übertretungen führen. Zugespitzt formuliert: Wenn man die Tageshöchstarbeitszeit auf 24 Stunden erhöhen würde, gäbe es klarerweise keine einzige Überschreitung mehr. Wenn man die Alkoholgrenze für AutofahrerInnen auf 3 Promille hinaufsetzen würde, wäre das eine große Gefahr für Sicherheit und Gesundheit – aber kaum jemand würde noch wegen Überschreitung der Grenzwerte belangt werden können.“ Oder wie AK-Direktor Christoph Klein vergleicht: „Würde man auf den Autobahnen die Höchstgeschwindigkeit hinaufsetzen, dann würde man auch weniger AutofahrerInnen mit überhöhter Geschwindigkeit antreffen.“

Härten abgefedert

Es gibt aber noch einen Grund, warum das 12-Stunden-Tag-Gesetz nicht mit voller Härte zuschlägt und warum es daher auch weniger Beschwerden gegen Arbeitgeber gibt: Den Gewerkschaften ist es nämlich gelungen, in den Kollektivverträgen Abfederungsmaßnahmen für die Härten des 12-Stunden-Tag-Gesetzes zu erkämpfen. Ordentliche Lohn- und Gehaltserhöhungen waren nämlich in dieser Herbstlohnrunde nicht das einzige Ziel der VerhandlerInnen auf Beschäftigtenseite. Die Verhandlungsteams mussten dafür kämpfen, dass die Höchstgrenzen nur abgeschwächt gelten – oder die Unternehmer einen so hohen Preis dafür bezahlen müssen, dass es sich nur in echten Notfällen auszahlt, an die Grenzen des Erlaubten zu gehen.

Es gibt aber noch einen Grund, warum das 12-Stunden-Tag-Gesetz nicht mit voller Härte zuschlägt: Kollektivverträge.

„Wir werden Branche für Branche für Verbesserungen im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kämpfen. Der Kollektivvertrag ist eine gute  Möglichkeit zur Gestaltung der Arbeitszeit – wir legen den Preis gemeinsam fest“, sagte ÖGB-Präsident WolfgangKatzian im September, als kurz vor dem Auftakt zur Herbstlohnrunde erstmals in der österreichischen Geschichte 800 Kollektivvertrags-VerhandlerInnen aus allen Branchen und allen Gewerkschaften zu einer Konferenz zusammengekommen waren.

Sie berieten eine lange Liste von Ausgleichsmaßnahmen. Bernhard Achitz damals: „Jede Branche wird passende und notwendige Regeln durchsetzen, damit die ArbeiterInnen und Angestellten nicht durch permanentes überlanges Arbeiten ausgebeutet werden. Flexibilität muss so aussehen, dass auch die ArbeitnehmerInnen etwas davon haben.“ Leicht waren die Verhandlungen nicht,
in einigen Branchen mussten gewerkschaftliche Maßnahmen bis hin zu Streiks eingesetzt werden. Die führten letztlich zum Erfolg: Einige Ausgleichsmaßnahmen haben so ihren Weg in die
Kollektivverträge gefunden.

Mehr Zeit zum Leben

Meistens denkt man beim Stichwort „Arbeitszeitverkürzung“ an kürzere wöchentliche Normalarbeitszeit. Aber man kann auch durch zusätzliche freie Tage, bezahlte Pausen, die 4-Tage-Woche oder mehr Urlaub dafür sorgen, dass übers Jahr gerechnet kürzer gearbeitet wird. Das hat offenbar auch Vorteile für Unternehmer: Die Baumarktketten Hornbach und Bauhaus etwa bieten ihren Handelsangestellten seit Kurzem sechs Wochen Urlaub ab dem zweiten Jahr. „Sie wollen damit wohl gute MitarbeiterInnen von anderen Unternehmen abwerben“, so Anita Palkovich, in der GPA-djp für die Handelsbetriebe zuständig.

In der Herbstlohnrunde der Metallindustrie haben die Gewerkschaften PRO-GE und GPA-djp zehn Minuten bezahlte Pause vor der 11. Arbeitsstunde durchgesetzt, zudem können Zuschläge
für lange Arbeitszeiten in Freizeit umgewandelt werden. Eine bezahlte Pause bei überlanger Arbeitszeit gibt es nun auch in den Brauereien. EisenbahnerInnen, die bei Feuerwehr oder Rettung freiwillig engagiert sind, bekommen einen Tag Extraurlaub. Für Nachtarbeit gibt es einen Zeitzuschlag und Zusatzurlaub bis zu sieben Tage. Im KV für die Beschäftigten im Handel konnte das Recht auf die 4-Tage-Woche, auf Altersteilzeit sowie Bildungskarenz vereinbart werden.

Belastend ist nicht nur überlange Arbeit, sondern auch fehlende Planbarkeit.

Belastend ist nicht nur überlange Arbeit, sondern auch fehlende Planbarkeit. Etwa in der Gastronomie erfahren viele Beschäftigte erst am Donnerstag, wann sie in der darauffolgenden Woche
Dienst haben – unmöglich, sich für den Besuch eines Konzerts, eines Fußballspiels oder einfach nur für einen Abend mit FreundInnen etwas auszumachen. Abhilfe könnten etwa Zuschläge bei kurzfristig angekündigter Mehrarbeit schaffen.

Damit die im Gesetz vorgesehene Freiwilligkeit des 12-Stunden-Tags auch tatsächlich gesichert wird, wäre ein absoluter Kündigungsschutz notwendig – und zwar in allen Abteilungen, in denen 11 oder 12 Stunden gearbeitet wird. „Das sollte für Unternehmer kein Problem sein, denn warum sollten sie denn jemand rauswerfen wollen, wenn gerade so viel zu tun ist, dass sie 12 Stunden Arbeit anordnen?“, sagt Achitz.

Gleitzeit ist die einzige Form der Arbeitszeitflexibilisierung, von der die ArbeitnehmerInnen profitieren. Das 12-Stunden-Tag-Gesetz setzt aber auch Gleitzeitvereinbarungen unter Druck.

Gleitzeit ist die einzige Form der Arbeitszeitflexibilisierung, von der die ArbeitnehmerInnen profitieren. Das 12-Stunden-Tag-Gesetz setzt aber auch Gleitzeitvereinbarungen unter Druck. Seit Jahresbeginn gebe es vermehrt Anfragen von Betriebsräten, weil Arbeitgeber Gleitzeitbetriebsvereinbarungen ändern wollten, damit die 11. und 12. Stunde ohne Zuschläge gearbeitet werden könne, sagt AK-Direktor Christoph Klein. Derzeit stehe in praktisch allen Gleitzeitvereinbarungen die 10-Stunden-Grenze. Die Firmenleitungen wollen aber offenbar zunehmend die durch das Gesetz eröffneten Möglichkeiten nutzen, um die 11. und 12. Stunde ohne Zuschläge zu bekommen. Dazu müssten die 12 Stunden in die Betriebsvereinbarung geschrieben werden. Der ÖGB fordert Gleitzeit von maximal 10 Stunden in den Kollektivverträgen. Außerdem muss die Kernzeit beschränkt werden, damit echtes Gleiten möglich ist. In den Metaller-Kollektivverträgen wurde fixiert, dass Gleitzeitguthaben auch in ganzen Tagen (und nicht nur stundenweise) verbraucht werden können – das bringt Flexibilität für die ArbeitnehmerInnen.

Lohnende Ausnahme

Damit Überstunden nicht zur Regel werden, müssen sie für die Arbeitgeber teurer werden. Der ÖGB fordert einen Überstunden-Euro, der in Arbeitsmarktförderung und Gesundheitssystem fließt, denn überlanges Arbeiten macht krank und erhöht die Arbeitslosigkeit. Wenn die Überstundenzuschläge steigen würden, hätten auch die ArbeitnehmerInnen etwas davon, lang und flexibel Auftragsspitzen abzuarbeiten.

In der Nahrungs- und Genussmittelindustrie gibt es die 11. und 12. Stunde auch in Zukunft nur, wenn der Betriebsrat zustimmt. In der Metallindustrie, aber auch in den Brauereien werden künftig die 11. und 12. Stunde, sofern sie Überstunden sind, mit 100 Prozent Zuschlag bezahlt; ebenso die 51. bis zur 60. Stunde in der Woche. „Die ArbeitnehmerInnen profitieren einerseits mehr von Überstundenleistungen, andererseits wird durch die Verteuerung dieser Stunden auch eine gesundheitsschädliche Dauersituation vermieden“, so die beiden Chefverhandler Rainer Wimmer (PRO-GE) und Karl Dürtscher (GPA-djp). „Wir konnten viele negative Auswirkungen des Arbeitszeitgesetzes der Regierung korrigieren und gleichzeitig mehr Selbstbestimmtheit für die Beschäftigten erreichen.“ Die EisenbahnerInnen bekommen ab 2020 mehr Selbstbestimmungsrecht beim Verbrauch von Zeitausgleich.

Der Kollektivvertrag hat in diesem Herbst wieder an Bedeutung gewonnen.

Wolfgang Katzian, ÖGB-Präsident

„Wir haben nach der Beschlussfassung des neuen Arbeitszeitgesetzes klargemacht, dass wir uns jenen zuwenden, die das Gesetz bestellt haben, und Rahmenbedingungen einfordern, um Klarheit zu schaffen. Das ist in vielen Bereichen gelungen“, resümiert ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian: „Der Kollektivvertrag hat in diesem Herbst wieder an Bedeutung gewonnen. Es hat sich gezeigt, dass die Sozialpartnerschaft auf der Branchenebene funktioniert.“ Aber auch auf der politischen Ebene geht der Kampf gegen die Auswirkungen des 12-Stunden-Tag-Gesetzes weiter – denn
eigentlich sollte der Gesetzgeber für menschliche Arbeitsbedingungen sorgen und diese Aufgabe nicht zur Gänze auf die KollektivvertragsverhandlerInnen abschieben.

Von
Florian Kraeftner

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

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Über den/die Autor:in

Florian Kräftner

Florian Kräftner, geboren 1977 in Wien, ein bisschen Gastronomie, ein bisschen Werbung, dann freiberuflich für Solidarität und hallo! tätig. Seit 2003 Redakteur in der ÖGB-Kommunikation. Pressereferent des Leitenden Sekretärs Bernhard Achitz und für die Bereiche Sozialpolitik, Volkswirtschaft, Internationales, ÖGB-Europabüro. Regelmäßige Beiträge für Arbeit&Wirtschaft.

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