Welche Bereiche trifft das im Speziellen?
Arbeits- und Sozialrecht
Dass Beschäftigte von der Wirtschaft oft nur als Kostenfaktor gesehen werden, zeigen jene Punkte der Gold-Plating-Liste, die in den Bereich des Arbeits- und Sozialrechts sowie in den ArbeitnehmerInnenschutz fallen:
Urlaubsrecht
Überstundenzuschläge
Auch die Zuschläge für Überstunden und Mehrarbeit stehen laut Punkt 69 der Liste zur Diskussion. Diese sind in Österreich im Arbeitszeitgesetz geregelt. „Die EU-Arbeitszeit-Richtlinie sieht laut den WirtschaftsvertreterInnen keine Zuschläge für Überstunden und Mehrarbeit vor“, fasst Ey die Überlegungen zusammen. Auch hier gäbe es also „Einsparungspotenzial“, das auf dem Rücken der Beschäftigten ausgeschöpft werden würde.
Mutterschutz
Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung
Aber nicht nur der Kündigungsschutz für Schwangere steht auf der Agenda. Auch Menschen mit Behinderung haben einen höheren Kündigungsschutz, der über die Minimalregelung auf EU-Ebene hinausgeht (Punkt 36), was von der Wirtschaftskammer kritisiert wird.
Lohn- und Sozialdumping
Gravierende Folgen hätte auch die Umsetzung der Ideen, die zum österreichischen Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping angestellt wurden. Dieses ist nämlich für ArbeitnehmerInnen besser ausgestaltet als die Minimalvorschriften aus der europäischen Entsende-Richtlinie. „Die Wirtschaftskammer macht darauf aufmerksam, dass gemäß der EU-Entsende-Richtlinie Mindestlöhne nicht angewendet werden müssen, wenn die Entsendung ein Monat nicht übersteigt. Das nationale Recht sieht die Mindestlohnsätze hingegen schon ab dem ersten Monat vor. Sollten die nationalen Bestimmungen gestrichen werden, würde das dem Lohndumping Tür und Tor öffnen. Aus Nachbarländern entsandte Beschäftigte würden schlicht behaupten, weniger als ein Monat in Österreich beschäftigt zu sein. Der Schaden für die heimische Wirtschaft und ihre Beschäftigten wäre enorm“, so Frank Ey.
ArbeitnehmerInnenschutz
Was das alles für die Beschäftigten dieses Landes bedeutet würde? Weniger Erholungsurlaub, mehr Arbeit ohne entsprechende Entlohnung im Sinne von Überstundenzuschlägen und dazu noch ein größeres Gesundheitsrisiko, wenn Arbeitsschutzbestimmungen gelockert werden. Ist die Sichtweise der Wirtschaftslobby wirklich so kurzsichtig, dass lediglich die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht und das Wohl der arbeitenden Bevölkerung nicht berücksichtigt wird? Immerhin gibt es diese Schutzstandards nicht ohne Grund, besonders auch bei schutzbedürftigen Menschen. Sich davon wieder abzuwenden ist jedenfalls der falsche Weg, bei dem Kapital über den Menschen gestellt wird.
VerbraucherInnenschutz
Über 70 der zusammengetragenen Änderungswünsche betreffen VerbraucherInnenschutzbestimmungen, die auf dem Spiel stehen könnten.
Verbraucherverträge
Zusätzliche Gebühren für KonsumentInnen
Fahrgastrechte
Einige der Punkte beziehen sich zudem auf die Rechte von Fahrgästen. Laut Frank Ey kritisiert die Wirtschaftskammer, „dass nationale Gesetze strengere Bestimmungen enthalten, als im EU-Recht vorgesehen. Damit dürften Entschädigungen bei Verspätungen für Fahrgäste gemeint sein, die im Besitz von Zeitkarten (Jahreskarte o. Ä.) sind. Ohne die nationale Zusatzregelung gäbe es für diese Gruppe (bis zu 80 Prozent der Fahrgäste, z. B. PendlerInnen) keine Entschädigungen.“
Fakt ist: Die Regelungen des Verbraucherschutzes betreffen uns alle. Auch wenn hier exemplarisch nur drei der rund 70 Punkte herausgehoben wurden, wird deutlich, in welche Richtung die Wirtschaftslobby gehen möchte. Überall werden Schlupflöcher gesucht, um Unternehmenskosten auf die KonsumentInnen umzuwälzen. Und wieder dieselbe Motivation: Gewinne maximieren.
Umweltschutz
Was den Umweltschutz betrifft, hat Österreich bisher mit guten Standards gepunktet, etwa was die Errichtung und den Betrieb von Deponien betrifft, aber auch bei Regelungen bezüglich Abwasser. Bei Kläranlagen hat die Stadt Wien die höchste Reinigungsstufe. Vieles davon wird in der Gold-Plating-Liste nun wieder hinterfragt. „Ein Land wie Österreich muss sich gerade im Natur- und Umweltschutz an den besten EU-Ländern orientieren, nicht an den schlechtesten. Denn EU-Richtlinien sind oft nur Kompromisse, die den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Mitgliedstaaten abbilden. Wer hier nur noch ein Minimalprogramm fährt, landet rasch in der Durchschnittsfalle und gibt noch dazu viel eigenen Gestaltungsspielraum auf“, sagt Hanna Simons, Leiterin der Natur- und Umweltschutzabteilung des WWF Österreich. Eine Debatte, die in die völlig falsche Richtung geht, wie Simons zusammenfasst: „Bei Natur und Umwelt brauchen wir deutlich höhere Standards, aber sicher kein Wettrennen um den letzten Platz.“
Gewiss lassen sich durch den Abbau von Umweltschutzmaßnahmen Unternehmensgewinne maximieren, aber zu welchem Preis? Letztlich leben wir alle im selben Land und es gibt nur eine Umwelt. Zugunsten von Einsparungen nachlässig mit ihr umzugehen, hat Auswirkungen auf uns alle, egal ob UnternehmerInnen oder ArbeitnehmerInnen, PensionistInnen, Kinder.
Mit nebulösen Hinweisen auf „Subsidiarität“ oder „Gold Plating“ werden Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht in der gesamten EU infrage gestellt. Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschritt.
Renate Anderl, AK-Präsidentin
Kommen wir also zurück zur anfänglichen Frage, was ein Rückschrauben auf Mindeststandards bedeutet. AK-Präsidentin Renate Anderl meint dazu: „Mit nebulösen Hinweisen auf ‚Subsidiarität‘ oder ‚Gold Plating‘ werden Standards im Arbeits-, Sozial-, Umwelt- und Verbraucherrecht in der gesamten EU infrage gestellt. Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschritt.“ Die in Österreich existierenden Standards gibt es nicht ohne Grund. Sie haben sich über einen sehr langen Zeitraum etabliert, um die Interessen aller unter einen Hut zu bringen. Jetzt daran zu rütteln macht nicht nur all die Bemühungen zunichte, die dem Aufbau dieses Systems gedient haben. Vielmehr müssen sich ArbeitnehmerInnen, KonsumentInnen und auch die Umwelt auf drastische Verschlechterungen einstellen. Und wofür? Damit Unternehmen noch mehr Profite anhäufen können?