Über das Unternehmen, dessen Mutterfirma Steinhoff in einen Bilanzskandal verwickelt war, gab es kaum Informationen. Mehrmals versuchten die BetriebsrätInnen, in Besprechungen mehr zu erfahren. „Es war frustrierend, mehr Versprechungen statt klarer Antworten zu bekommen“, betont Karner. Zwei Monate ging es scheinbar bergauf, doch dann wurden Waren verspätet geliefert – und die Belegschaft war wieder sehr verunsichert. Als im Juni 2018 der Kreditversicherer absprang, drohte die Insolvenz.
Verhandeln bis zur Zufriedenheit
Wie ein zufriedenstellender Sozialplan aussieht, lernten die Kika-BetriebsrätInnen, als sie im ersten Halbjahr 2018 die Schließung einer Kika-Filiale in Wolfsberg in Kärnten organisierten. Von dieser Erfahrung profitierten sie später. Im Juni 2018 kaufte die Signa-Gruppe des Tiroler Immobilieninvestors René Benko Kika/Leiner. „Wir erfuhren das zehn Minuten, bevor es in der Zeitung stand“, erzählt Karner. Schon bald war die Rede von Effizienzchecks und Personalabbau. Im Sommer 2018 wurde bekannt, dass vier Kika/Leiner-Filialen schließen müssen und in der Verwaltung gespart wird. Karner erzählt von Zeitdruck und einem Besprechungsmarathon.
Der Sozialplan ist nach Punkten gestaffelt. Je nach Lebensalter, Dienstalter und familiärer Situation bekamen die von der Kündigung betroffenen MitarbeiterInnen mehr oder weniger Geld. Der zweite Sozialplan umfasste auch ein Zusatzbudget für MitarbeiterInnen in sozial besonderen Umständen sowie Unterstützung und Organisation von eigenen Job-Coachings und Bewerbungshilfen für die MitarbeiterInnen. Bei der Errichtung der beiden Sozialpläne unterstützte die Gewerkschaft bei den umfangreichen Berechnungen.
Fürs Betriebsklima
Warten auf den Auftrag
Szenenwechsel nach Wien-Liesing. Dort produziert ein Werk von Rheinmetall MAN Military Vehicles, kurz RMMV, Militär-Lkw. Nachdem ein Großauftrag von über 7.500 Fahrzeugen für die britische Armee abgewickelt war, geriet das Werk mit 750 MitarbeiterInnen im Jahr 2013 in die Krise. Kurzarbeit brachte nur vorübergehend Entlastung. Um den Wiener Standort zu halten, leiteten die Eigentümer einen kräftigen Personalabbau von 306 Jobs ein. Betriebsratschef Michael Walczyk, der vor fast 40 Jahren in der Fertigung begonnen hatte, suchte händeringend Lösungen, um möglichst viele KollegInnen zu halten. Immerhin stand ein Großauftrag von mehr als 2.500 Militär-Lkw für die australische Armee im Raum. Zwei Regierungswechsel in Australien verzögerten aber den endgültigen Vertragsabschluss.
Mit offenen Karten
Oberste Priorität hatte ein Sozialplan samt Arbeitsstiftung. In diesem Prozess saßen Walczyk und sein Team regelmäßig mit der Werksleitung, Vorstand, Vertretern von Arbeitsmarktservice (AMS), Wirtschaftskammer und Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) an einem Tisch. Walczyk empfand die Gespräche auf Augenhöhe. „Es war unsere einzige Chance, mit offenen Karten zu spielen.“
Es war unsere einzige Chance, mit offenen Karten zu spielen.
Mitten in den Verhandlungen trat ein Betriebsratskollege aus Protest gegen den Jobabbau für drei Tage in Hungerstreik, was Walczyk bis heute für kontraproduktiv hält. „Wir waren in den Schlagzeilen, was Rüstungsbetriebe sich ohnehin nicht wünschen. Und wer vergibt einen langfristigen Auftrag an ein Unternehmen, das offensichtlich in der Krise steckt? Wir haben ihm abgeraten, aber er tat es dennoch.“
Die Verhandlungen zu Sozialplan und Arbeitsstiftung waren langwierig. Walczyk war eine ausgeglichene Beschäftigungsstruktur wichtig. Es durften nicht zu viele altgediente KollegInnen mit reichem Erfahrungsschatz gehen und nicht zu viele Junge mit Innovationskraft. Dazu kam, dass manche Führungskraft bereit war, Kürzungen unwidersprochen hinzunehmen, auch aus Angst, selbst den Job zu verlieren. In solchen Fällen fragte der Betriebsrat nach, wie zukünftige Abläufe mit so wenigen KollegInnen bewältigt werden sollten.
Sozialplan
Mit dem Sozialplan zeigte er sich zufrieden, weil er den Eintritt in die Arbeitsstiftung und Bildungskarenzen ermöglichte und den KollegInnen so Perspektiven eröffnete. Einige hatten die Chance, bei Werken der Rheinmetall in Deutschland unterzukommen. Insgesamt wurden 200 Jobs abgebaut, darunter nur „10 tatsächliche Kündigungen“.
Der Großteil der MitarbeiterInnen kam in der Arbeitsstiftung unter. Auch heute noch, sechs Jahre später, wird klar, wie belastend die Situation für den heute 60-Jährigen war. Er musste langjährige Kollegen ebenso verabschieden wie jüngere, mit deren Vätern er gearbeitet hatte. „Das war grauslich, es hieß nur: Augen zu und durch.“
Über den Berg war das Werk erst, als 2015 endlich der australische Großauftrag fixiert war. Rund 70 KollegInnen, die sich in der Arbeitsstiftung weiterqualifiziert hatten, arbeiten heute wieder im Unternehmen. Im September 2018 wurde bekannt, dass das australische Militär weitere 1.000 Lkw in Auftrag gibt. Nach 20 Jahren als Betriebsratsvorsitzender ist Walczyk nun Stellvertreter und wird nicht mehr kandidieren. Es brauche neue Leute mit neuen Ideen. Sein größter Erfolg? „Dass wir überlebt haben und besser dastehen als vorher.“
VÖGB-Lehrgang „Soziale Kompetenz“
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Sandra Knopp und Udo Seelhofer
Freie JournalistInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/19.
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