Rot-Weiß-Rot-Karte: Kochers Ambitionen
Im Oktober 2022 gab es eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte. Unter anderem senkte der Nationalrat die Anforderungen an die Deutschkenntnisse der Bewerber:innen. Gleichzeitig erweiterte die Regierung die sogenannte Mangelberufsliste auf jetzt 100 bundesweite und 58 regionale Berufe. Bewerber:innen für einen Job, der auf der Liste steht, haben ebenfalls geringere Zulassungsvoraussetzungen für eine Rot-Weiß-Rot-Karte.
Die Änderungen haben erste Auswirkungen gehabt. Von Januar bis Ende Juni 2023 haben 3.795 Menschen eine Rot-Weiß-Rot-Karte bekommen. Das sind 47 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Wobei zumindest das erste Halbjahr 2022 auch noch von Coronabeschränkungen geprägt war. Kocher hat dennoch ambitionierte Pläne, die er per Aussendungen bekannt gab. „Die Anzahl der für die qualifizierte Arbeitsmigration erteilten Aufenthaltstitel soll bis 2027 auf mindestens 15.000 pro Jahr steigen.“
Ganz gezielt weist der Arbeitsminister auf die Krise in den Pflegeberufen hin. „Wir haben aktuell in fast allen Wirtschaftsbereichen einen Personalmangel. Die österreichische Bevölkerung wird immer älter, der Bedarf an Langzeitpflege steigt. Alleine in diesem Sektor rechnen wir mit einem Mehrbedarf von rund 76.000 Beschäftigten bis 2030“, heißt es in der Aussendung weiter.
Kritik an der Rot-Weiß-Rot-Karte
Auffallend ist, dass beinahe nur Wirtschaftsvertreter:innen Applaus spenden, wenn es um die Änderungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte geht. Renate Anderl, AK-Präsidentin, sieht es deutlich kritischer. „Viele Unternehmen beklagen sich darüber, offene Stellen nicht besetzen zu können. Statt aber Arbeitsplätze attraktiver zu machen und Arbeitsbedingungen zu verbessern, sollen verstärkt Arbeitskräfte aus Drittstaaten angeworben werden.“ Die Rot-Weiß-Rot-Karte trage nicht zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei.
Auch Wolfgang Katzian, der ÖGB-Präsident, hält die Änderungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte für ein falsches Signal. Sie würde Billigarbeitskräfte aus dem Ausland anlocken. „Betriebe, die kein Personal finden, und auch die Bundesregierung sollten daher einmal vor ihrer eigenen Tür kehren und sich die Frage stellen, warum das so ist, und was man dagegen machen kann. Gefragt sind mehr denn je eine aktive Arbeitsmarktpolitik und Jobs mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen.“
Doch selbst Unternehmer:innen sind nicht rundum glücklich mit der Rot-Weiß-Karte. So häufen sich die Beschwerden über die hohe Bürokratie und die langen Wartezeiten. In Zukunft dürfte sich diese Situation kaum bessern. Kocher plant, 125 Vollzeitstellen beim AMS zu streichen, um drastische Budgetkürzungen durchzusetzen.
Probleme bei der Einwanderung
Eine Analyse der OECD kommt außerdem zu dem Schluss, dass Österreich für qualifizierte Fachkräfte schlichtweg unattraktiv ist. Von den 38 untersuchten Industrienationen landet Österreich nur auf Platz 26. Die Arbeit untersucht, wie einfach Menschen mit mindestens einem Masterabschluss ins Land kommen können. Dabei stellte die Organisation bei einigen Kriterien gravierende Mängel fest.
Zum einen gab es Punktabzug dafür, dass zehn Prozent aller Visaanträge, die alle Voraussetzungen erfüllen, abgelehnt werden. In anderen Ländern ist die Ablehnungsquote korrekter Anträge bei null. Dazu sind die Verfahren kaum digitalisiert. Ebenfalls schlecht schneidet Österreich bei der Willkommenskultur ab. Dafür fragt das Gallup-Institut ab, was Menschen über Einwanderer denken, die in ihr Land kommen, ihre Nachbarn werden oder sogar in die Familie einheiraten. Ebenfalls negativ fiel der OECD auf, dass gut ausgebildete Einwanderer häufig unterhalb ihrer Qualifikation arbeiten würden und der Familiennachzug kompliziert sei.
Eine Situation, die vor allem deswegen problematisch werden könnte, weil Österreich mit diesen Industrienationen im Wettbewerb um Arbeitskräfte steht. Denn auch diese Länder werben aktiv Beschäftigte im Ausland an – in den gleichen Bereichen, in denen auch Österreich sucht.
Bis zu 17 Stunden täglich und ohne Pausen arbeiten: Für Paketzusteller:innen bitterer Alltag. Zustände wie diese sind seit Jahren bekannt. Wo bleibt aber der politische Willen, sie anzugehen? https://t.co/zJ1BoVKUlB
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) June 17, 2023
Rot-Weiß-Rot-Karte und die Arbeitsbedingungen
Eine effektivere Stellschraube könnten daher die Arbeitsbedingungen sein. Vor allem die Pflege und die Gastronomie – also die Bereiche, in denen Kocher verstärkt auf die Rot-Weiß-Rot-Karte setzt – gelten längst als Problembranchen. Hier ist die Arbeitsbelastung besonders hoch, ohne dass es zu einer Kompensation kommt. Sei es durch angemessene Löhne oder mehr Freizeit. Probleme, die auch der AMS-Chef Johannes Kopf im Interview klar benannt hat. Die Lösungen für die Pflegekrise sehen anders aus als Änderungen an der Rot-Weiß-Rot-Karte.