Revolution light

Inhalt

  1. Seite 1 - Reformen waren längst überfällig
  2. Seite 2 - Aufbruchstimmung hielt noch bis weit in die 1970er-Jahre an
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Zwar hat die 68er-Bewegung in Österreich nicht so große Wellen geschlagen, doch sie war Startschuss für viele Reformen und gesellschaftliche Veränderungen.

Trau keinem über 30

Die StudentInnenbewegung bewirkte eine massive Entfremdung zwischen Studierenden und Parteien. Um und nach 1968 entstanden immer wieder neue Splittergruppen, Aktionskomitees etc. Eine rege Szene links der SPÖ entstand. Der VSM, eigentlich als Kaderschmiede der SPÖ gedacht, stand immer häufiger im Gegensatz zur Mutterpartei. Neben dem gegenüber der SPÖ loyalen VSStÖ entstand der Sozialistische Österreichische Studentenbund SÖS (Organisator der „Uni-Orgie“). Stärker als etwa in Deutschland engagierte sich in Österreich auch die künstlerische Avantgarde. Robert Schindel, Schriftsteller und aktives KPÖ-Mitglied, war Mitbegründer der „Kommune Wien“, dem radikalsten Teil der Studentenbewegung.

Es brodelte allerorts: In Happenings, Teach-ins, Sit-ins etc. wurde gefeiert, diskutiert und provoziert. Slogans der neuen Jugendbewegung wie „Trau keinem über 30“ zeigten nicht nur allgemeine Unzufriedenheit, sondern auch, dass Respekt vor Älteren nicht mehr selbstverständlich war.

Die Aufbruchstimmung hielt noch bis weit in die 1970er-Jahre an. Obwohl die 68er Tabuthemen wie Sexualität öffentlich machten, waren die Frauenrechte damals noch kaum Thema. Die in Wien legendäre linke Buchhändlerin Brigitte Salanda war damals beim SÖS aktiv: „Zumindest dort war es nicht so, dass Frauen nur für Hilfsdienste wie Kochen und Tippen eingesetzt wurden. Da gab es durchaus Frauen, die sich immer wieder zu Wort gemeldet und weder gestrickt noch gekocht haben.“

Was von damals geblieben ist? „Es war eine schöne Zeit“, so Salanda, die vielen noch unter ihrem früheren Namen Herrmann bekannt ist. „Alle haben viel gelesen, was für mich als junge Buchhändlerin auch sehr positiv war. Das Gemeinschaftsgefühl war groß. Wir hatten fast täglich Kontakt und haben über alles diskutiert. Natürlich hatten wir auch viele Illusionen, was wir alles bewirken können, doch das ist normal. Ich gehöre nicht zu denen, die beklagen, dass wir kaum etwas erreicht hätten.“

Revolutionsharlekine

Auch Fritz Keller ist keiner, der mit nostalgisch-verklärtem Blick zurückschaut. Auch klagt er nicht über mangelnde Erfolge. Erfreulich ist für ihn, dass sich durch die 68er-Bewegung der Umgang mit der NS-Zeit verändert hat.

Und er findet sogar in der jüngeren Vergangenheit eine positive Spätfolge, denn für ihn waren die Studierendenproteste 2009 eine logische Fortsetzung von 1968. „Die Audimax-Besetzung 2009 mit 24-Stunden-Streaming und Berichten in internationalen Medien hat gezeigt, dass Wien nicht mehr Krähwinkel ist.“

Und er erwähnt ein weiteres Novum: „Damals ist Sabine Oberhauser im Audimax gewesen und hat dort ihre Solidarität bekundet. Ich kenne sonst kein studentisches Ereignis, bei dem ein Spitzenfunktionär des ÖGB anwesend war.“ Es hat ja eigentlich schon fast Tradition, dass studentische Anliegen und Proteste bei den etablierten Parteien, PolitikerInnen, Gewerkschaften und meist auch beim Rest der Bevölkerung nicht so gut ankommen. Bruno Kreisky, der an sich der Studierendenbewegung nicht negativ gegenüberstand, bezeichnete sie dann auch schon mal als Revolutionsharlekine.

Repressive Toleranz

Österreich sei, so Fritz Keller, schon immer ein Ort der ausgeprägten repressiven Toleranz gewesen. Und Bruno Kreisky war Großmeister darin, Revolutionä­rInnen in ReformistInnen zu verwandeln. Er habe damals „auffällige“ Personen zu sich nach Döbling eingeladen.

Dort hat er dann von seiner Bekanntschaft mit Che Guevara oder Ho Chi Minh erzählt. Und nach der Frage: „Und was machen wir jetzt mit dir?“, habe er eine Visitenkarte gezückt und gemeint: „Geh dorthin und sag, dass du von mir kommst“. Auf diese Weise wurden revolutionäre Wogen elegant geglättet. Immerhin folgten irgendwann tatsächlich Reformen, allerdings erst nach einigen Jahren: die Fristenlösung kam 1973, die Familienrechtsreform, das Zivildienst- und Universitätsorganisationsgesetz 1975.

Buchtipp: Fritz Keller: Wien, Mai 68 Eine heiße Viertelstunde
Von
Astrid Fadler
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/18.

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