In einer Wiener Supermarktfiliale kaufen wir Fleisch. Zweimal frisch und aus dem Kühlregal, zweimal vom Rind, zweimal aus Österreich. Das erste Produkt: Rindsgulasch-Fleisch geschnitten. Kilopreis: 9,98 Euro. Das Vergleichsprodukt: Weiderind Rinder-Gustowürfel. Kilopreis: 19,99 Euro. Auf beiden Verpackungen klebt ein Etikett mit Informationen zur Herkunft. Das muss so sein. Denn seit dem Jahr 2002 muss auf der Verpackung von Rindfleisch, das in der EU verkauft wird, eine Herkunftsbezeichnung aufgedruckt sein. Es sei denn, das Fleisch wird in verarbeiteter Form oder unverpackt verkauft, also zum Beispiel als Tiefkühlschnitzel oder in der Gastronomie. Auf der Verpackung von frischem Fleisch aus dem Supermarkt müssen KonsumentInnen allerdings nachlesen können, wo die verarbeiteten Tiere aufgezogen und geschlachtet wurden. Seit dem Jahr 2015 gilt dies im Übrigen auch für Fleisch von Schwein, Schaf und Geflügel. Für die genaue Rückverfolgbarkeit sorgt eine sogenannte Partie- oder Chargennummer.
Die Chargennummer ist auf beiden Vergleichsprodukten schnell gefunden. Beim günstigeren Fleisch ist gleich daneben ein QR-Code aufgedruckt. Scannt man ihn mit dem Smartphone, gelangt man noch im Supermarkt zur Website frischfleisch.at. Diese soll Aufschluss über die Herkunft des Rindfleisches geben. Betrieben wird die Seite von der Grazer Norbert Marcher GmbH. Der Marktführer vertreibt Fleisch unter verschiedenen Markennamen und verarbeitet nach eigenen Angaben jährlich das Fleisch von 110.000 Rindern und 800.000 Schweinen. Von welchem Hof das gekaufte Fleisch stammt, verrät die Website allerdings nicht. Dort sieht man lediglich eine Österreich-Karte, auf der Teile Niederösterreichs, des Burgenlands, Kärntens und die komplette Steiermark dunkelgrün eingefärbt sind. Von hier könnte das Fleisch also stammen. Konkret in Erfahrung bringen kann man nur, dass es in den Villacher Walcher Fleischwerken zerlegt wurde.
Das Bio-Fleisch hingegen verrät mehr über seine Herkunft. Auf der Verpackung ist neben der Partienummer der Name des Bauern angegeben: Michael Janker, 3203 Rabenstein an der Pielach. Also setzen wir uns ins Auto und fahren ins Mostviertel. Im verschneiten Rabenstein ist der Hof von Michael Janker nach einer Nachfrage im örtlichen Bio-Laden schnell gefunden. Als wir ihr das Fleisch präsentieren, das wenige Stunden zuvor in einer Wiener Supermarktfiliale gekauft wurde, ist die Tochter des Hauses ziemlich überrascht. Sofort wird ein Handyfoto gemacht.
Weidehaltung
Rund vierzig Rinder werden auf dem Hof der Familie Janker in einem offenen Stall gehalten. Das heißt: Die Tiere können jederzeit ins Freie, um frisches Weidegras zu fressen. Im Winter bekommen die Tiere nichts anderes zu fressen als Heu. „Ich bin silagefrei“, erklärt Michael Janker. Weidehaltung nennt man das, und nur diese Form der Haltung erlaubt es, das Fleisch im Handel als Bio-Weiderind zu vermarkten. Die Jankers führen ihren Hof schon seit über zwanzig Jahren als Bio-Betrieb. „Es wird ja immer wieder behauptet, die Welt könnte nicht durch Bio-Landwirtschaft ernährt werden. Das kann ich mir nicht vorstellen, wenn ich gleichzeitig höre, dass ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen wird. Lebensmittel sind meiner Meinung nach zu billig“, erklärt Janker seine landwirtschaftliche Überzeugung. Seit er den Hof von seinen Eltern übernommen hat, führt er ihn nicht mehr als Vollerwerbs-Landwirt. Im Hauptberuf arbeitet er als Installateur, seine Frau arbeitet für eine Bank. In Summe kommt dadurch einiges an Arbeit zusammen: „Im Schnitt arbeite ich für den Betrieb wohl mehr als 40 Stunden pro Woche. Aber man macht die Arbeit ja nur, weil man sie gern macht.“ Die Einnahmen aus der Landwirtschaft fließen zum Großteil zurück in den Betrieb. Anders sind Investitionen in moderne Technik kaum möglich. Das Heu wird in Jankers Kuhstall automatisch vom darüberliegenden Speicher hinab zu den Tieren transportiert. Und auch das Ausmisten passiert automatisiert. „Nur durch diese zeitsparenden Entlastungen lässt sich der Hof in der Form betreiben. Das kostet natürlich Geld“, erklärt der Landwirt, der zugleich eingesteht: „Unser Betrieb ist schon recht bequem.“
Alle paar Wochen werden einige der Jungrinder vom Hof Janker abgeholt. Für ein Tier von 280 bis 320 Kilogramm erhält der Landwirt zwischen 1.500 und 1.600 Euro. Dann geht es per Lebendtiertransport ins 100 Kilometer entfernte Unterweißenbach zur Firma Sonnberg Biofleisch. Der Schlachtbetrieb ist auf der Verpackung ebenfalls angegeben.
Auf die Nummer kommt es an
In Unterweißenbach steht Manfred Huber in einem modernen Gebäude zwischen Rinderhälften, die an Fleischerhaken vom Fördersystem herabhängen, und erklärt seine Unternehmensphilosophie. Der Geschäftsführer von Sonnberg Biofleisch hat den Betrieb in den vergangenen Jahren zu einem großen Player im Handel mit Fleisch aus ökologischer Landwirtschaft gemacht. Damit ist er in der Region kein Exot, denn im Mühlviertel wird rund ein Drittel der Höfe nach Bio-Kriterien bewirtschaftet. Huber erklärt, wie es möglich ist, dass auf einer Packung Kurzbratfleisch aus dem Kühlregal die Adresse des Kuhstalls angegeben wird: „Die Einzeltierzerlegung ermöglicht die Zurückverfolgung.“ Jedes Tier trägt eine Nummer am Ohr. In der Verarbeitung wird die Nummer als Schlachtkörperetikett direkt aufs Fleisch gepinnt. Letztlich ermöglicht es diese Nummer, dass auf dem fertig verpackten Produkt der Bauernhof und die Ortschaft aufgedruckt werden können. In der konventionellen – also Nicht-Bioproduktion – werden nicht einzelne Fleischteile, sondern Chargen nummeriert. So kann nach der Zerteilung nicht mehr das einzelne Tier oder der einzelne Bauernhof, sondern nur noch ein Gebiet ermittelt werden.
Hubers Offenheit ist in der Fleischbranche nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit. Denn sie hat nicht den besten Ruf. Die intensive Tierhaltung und die weltweit rasant wachsende Nachfrage nach billigem Fleisch verursachen hohe Umweltkosten, gehen zulasten des Tierwohls und schaffen an vielen Stellen eine Konkurrenz zwischen Lebensmittel- und Futtermittelproduktion.
Dass immer mehr Fleisch durch immer weniger große Player des Lebensmitteleinzelhandels vermarktet wird, unterwirft ein traditionsreiches Handwerk einem rasanten Strukturwandel. Das hat Folgen, auch für die Beschäftigten in der Fleischbranche. Vor allem die deutsche Fleischbranche mit ihren riesigen, exportorientierten Schlachtbetrieben sorgte in den letzten Jahren für immensen Preisdruck in Europa. Durch geringe Lohnkosten für die zahlreichen Beschäftigten aus Polen, Bulgarien und Ungarn konnten die deutschen Großschlachter zwischenzeitlich gewaltige Preisvorteile gegenüber den Schlachtern aus anderen EU-Staaten erreichen. Das haben auch österreichische Betriebe und Beschäftigte gespürt.
Laut Österreichischem Gewerkschaftsbund hat sich der Preisdruck für Beschäftigte in österreichischen Schlachthöfen zum Beispiel darin niedergeschlagen, dass Überstunden nicht vergütet wurden oder dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht ausbezahlt wurde. Schichtarbeit, unbezahlte Überstunden, unvereinbarte Wochenendarbeit – darüber klagen auch ehemalige MitarbeiterInnen der Walcher Fleischwerke auf einer Online-Bewertungsplattform für Arbeitgeber. In vielen Betrieben wurden außerdem FacharbeiterInnen durch ungelernte Kräfte ersetzt. Die Einführung des Mindestlohns in Deutschland hat die Situation zuletzt allerdings entspannt. Am unattraktiven Image der Fleischbranche hat sich jedoch wenig geändert. „Dass jemand von sich aus Fleischer wird, das ist heutzutage schon sehr selten“, weiß auch Manfred Huber zu berichten.
Betriebsrat „in Diskussion“
In Unterweißenbach setzt man nicht zuletzt deshalb auf Transparenz, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. „Gläserne Produktion“ bedeutet hier: große Fenster, Offenheit gegenüber BesucherInnen und interessierten Nachfragen. Obendrauf gibt es einen Schaubetrieb namens „Bio-Wurst- Erlebnis“, inklusive „Speckhimmel“ und „Kuhglockenrondell“. Ob Tiere und MitarbeiterInnen gleichermaßen von der transparenten und ökologischen Produktionsweise profitieren, wollen wir wissen.
Die „Top-Leute“ unter den über 70 MitarbeiterInnen an den zwei Produktionsstandorten in Unterweißenbach würden zwischen 1.600 und 2.300 Euro netto verdienen, erklärt Huber. Ungelernte kämen auf 1.200 bis 1.600 Euro Nettogehalt. Einen Betriebsrat hat das Unternehmen nicht. „Dafür sind wir einfach zu schnell gewachsen“, meint Huber. Mit dem örtlichen Bauunternehmer habe er sich allerdings schon darüber ausgetauscht, wie es sich mit einem Betriebsrat zusammenarbeiten lässt: „Die arbeiten sehr gut zusammen. Es muss nur für beide Seiten passen.“
Die transparente Produktion von Lebensmitteln: Es gibt sie also. Wer bereit ist, etwas tiefer ins Portemonnaie zu greifen, kann beim Discounter Produkte kaufen, deren ProduzentInnen bereit sind, sich auf die Finger schauen zu lassen. Damit einher geht auch ein Qualitätsversprechen. Was für Fleisch gilt, gilt in ähnlicher Weise für Eier und Milchprodukte. Und auch bei Obst und Gemüse bestimmen die VerbraucherInnen mit, welche Form der Landwirtschaft sie mit ihrer Wahl im Supermarkt unterstützen.
KonsumentInnen entscheiden
In der Produktion von Lebensmitteln gibt es zwei Modelle, die miteinander konkurrieren. Die kleinteilige, bäuerliche Landwirtschaft, heute meist mit Bio-Zertifikat; und die industrielle Landwirtschaft, die unter immensem Effizienzdruck arbeitet – zulasten der Transparenz, oft zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und zulasten von LandwirtInnen, die den Weg des schnellen Wachstums nicht mitgehen wollen oder können. Landwirt Michael Janker bringt den Einfluss der Verbraucherinnen und Verbraucher in dieser Situation auf eine simple Formel: Was im Regal liegt, das entscheiden die KonsumentInnen.
Der Autor Thomas Stollenwerk ist Chefredakteur des Magazins BIORAMA.
Diese Reportage entstand in einer Koproduktion mit dem Magazin.
Thomas Stollenwerk
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/17.
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