Wertvolles Wissen weitergeben
Trautenberger ist 59 Jahre alt, der ehemalige Werkstattleiter eines Lkw-Servicebetriebs wechselte vor zwei Jahren zum Verein Jugend am Werk. Seine Schützlinge – sie befinden sich derzeit im zweiten Lehrjahr (insgesamt dauert die Ausbildung dreieinhalb Jahre) – haben auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt keinen Lehrplatz gefunden und damit auch noch keine abgeschlossene Berufsausbildung.
Wir haben viele Lehrlinge, die es im Leben ein bisschen schwerer haben.
Josef Trautenberger, Kfz-Technik-Ausbilder
Ausbilder Trautenberger winkt einen der jungen Männer herbei und präsentiert seinen Schützling. „Ich wollte ursprünglich Bankkaufmann werden, aber der Job gefiel mir dann nicht“, erzählt Ahjad Halkaev. Er lebt seit 15 Jahren in Österreich und wurde in Tschetschenien geboren. Der 21-Jährige lernt gerade für den Führerschein und wird vermutlich bald beim Fahrzeug- und Maschinenbaukonzern MAN seine Lehre weiterführen – dorthin wurde Halkaev von Jugend am Werk vermittelt. In der Gruppe sind freilich nicht nur junge Männer, sondern auch ein Mädchen. „Es gibt keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die Frauen sind nur körperlich schwächer“, sagt Trautenberger.
Hier am Standort Brünner Straße im Norden von Wien werden aber nicht bloß Kfz-TechnikerInnen ausgebildet: In der Werkstätte, einer weitläufigen Halle, erlernen auch MaschinenbautechnikerInnen, ElektrikerInnen, TischlerInnen und DamenkleidermacherInnen ihren Beruf. Aktuell wollen hier 300 Lehrlinge ihre Chance nutzen.
Josef Trautenberger hat viele Gespräche mit den jungen Leuten geführt. „Wir haben viele Lehrlinge, die es im Leben ein bisschen schwerer haben“, erklärt der Ausbilder und betont, wie sehr ihm „das soziale Wirken“ hier gefällt. Es sind oft Schicksale von langer Flucht und Gewalt bis zu fehlender Zuneigung und Nestwärme. „Es ist nachvollziehbar, dass sich viele der jungen Menschen schwertun“, erklärt Trautenberger. Grund genug, die Berufsausbildung nicht allein in den Mittelpunkt zu stellen: „Ich sehe es als meine Aufgabe an, nicht nur Technik zu unterrichten, sondern auch Menschen zu formen.“
Miteinander mit Motivation und Migration
Unter den auszubildenden Kfz-TechnikerInnen finden sich die unterschiedlichsten Nationen: etwa Moldawien, Österreich, Philippinen, Serbien, Syrien, Tschetschenien, Türkei. Dabei ist auch ein junger Mann aus Italien. „Um sich miteinander zu verständigen, müssen sie Deutsch reden“, weiß Trautenberger und hält diese Tatsache auch für einen wichtigen Integrationsbaustein. Die Basis sind allerdings ein „respektvoller Umgang untereinander“ und gemeinsame Regeln.
Zu den Strukturen, die eingehalten werden müssen, gehören etwa regelmäßige schriftliche Wochenberichte der Lehrlinge. Trautenberger: „Die Lehrlinge müssen pünktlich sein, sauberes Arbeitsgewand tragen und auch den Willen zum Lernen mitbringen. Mein Auftrag ist nicht nur, ihnen beizubringen, wie man ein Auto repariert, sondern auch, wie sie erwachsen werden können.“ Trotz unterschiedlicher Voraussetzungen beweist die Gruppe Teamgeist und hält fest zusammen. „Ich sage auch jedem Einzelnen in der Gruppe, dass er seine individuellen Qualitäten hat“, macht Josef Trautenberger deutlich.
35 Stunden bei vollem Lohn
Während Ausbilder Josef Trautenberger bei Jugend am Werk unter den Kollektivvertrag für die Sozialwirtschaft (SWÖ) fällt, gilt für ähnliche Institutionen wie bfi, Mentor oder Volkshochschulen der Kollektivvertrag für private Bildungseinrichtungen (BABE, Berufsvereinigung der ArbeitgeberInnen privater Bildungseinrichtungen). „Diese zwei Kollektivverträge sind wesensverwandt. Das heißt, im Idealfall können wir uns immer gegenseitig pushen“, sagt Nerijus Soukup, Betriebsratsvorsitzender des Bildungs- und Beratungsinstituts Mentor. Gemeinsam mit Senad Lacevic, dem Betriebsratsvorsitzenden bei den Wiener Volkshochschulen, ist er Verhandlungsleiter im Kollektivvertrag für private Bildungseinrichtungen (BABE) auf der ArbeitnehmerInnenseite. Auch die Hauptforderung deckt sich mit dem Kollektivvertrag für die Sozialwirtschaft: die Einführung einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich.
Bei mir geht es nicht mehr ums Geld, sondern eher darum, einen Sinn in der Arbeit zu finden und auch mehr Freizeit zu haben.
Josef Trautenberger, Kfz-Technik-Ausbilder
Denn die Lage in der Erwachsenenbildungsbranche ist keineswegs rosig. „Viele TrainerInnen sind Frauen, und die meisten arbeiten als Teilzeitkräfte“, erklärt Soukup. „Dass die meisten relativ wenig verdienen, ist jetzt schon besorgniserregend – doch in Zukunft wird sich das auch noch negativ auf die Pensionen auswirken.“
Dementsprechend begehrt sind die Vollzeitjobs bei den privaten Bildungseinrichtungen. „Viele hätten gerne mehr Geld, um besser über die Runden zu kommen. Aber vor allem die Teilzeit muss besser bezahlt werden“, fordert Soukup.
Kollege und VHS-Betriebsratsvorsitzender Senad Lacevic verdeutlicht: „Deshalb ist die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich so ein wichtiges Thema – für Teilzeitkräfte würde sie eine saftige Gehaltserhöhung bedeuten.“
Die Bezahlung war nicht die Hauptmotivation für Josef Trautenberger, zu Jugend am Werk zu wechseln. In seinen zwölf Jahren als Werkstattleiter hat Trautenberger gut verdient, das Doppelte gegenüber seinem jetzigen Gehalt als Ausbilder für Kfz-Technik. „Bei mir geht es nicht mehr ums Geld, sondern eher darum, einen Sinn in der Arbeit zu finden und auch mehr Freizeit zu haben.“ Der Deutsch-Wagramer ist passionierter Sportler, läuft und radelt. „Mit 27 Jahren habe ich das Rauchen aufgegeben und als Ausgleich mit dem Laufen begonnen, ab 35 habe ich intensiv trainiert.“
Seine Marathon-Bestzeit beträgt 3:02 Stunden, aber eigentlich hoffte er auf eine noch bessere Leistung: „Meine Halbmarathon-Bestzeit ist 1:22 Stunden, ich dachte, ein Marathon unter drei Stunden wäre möglich, aber das ist sich leider nicht ausgegangen.“ Auch im Beruf war er ehrgeizig: Der Mechaniker besuchte zahlreiche Fortbildungen, dem Werkstattmeister folgte der Werkstattleiter.
Doch die Arbeit „schaukelte sich immer mehr auf, und es wurden ständig Höchstleistungen verlangt“, erinnert sich Trautenberger. „Ich bin aus dem Büro nicht mehr in die Werkstatt rausgekommen, habe nur mehr Bildschirme angestarrt, Zahlen beobachtet und geschaut, dass alles läuft.“ Besonders die Monats- und Jahresabschlüsse waren immer mit viel Stress verbunden. Diesem Druck zu entkommen, etwas anderes zu machen war sein Ziel: Im Herbst 2017 bewarb sich Trautenberger auf eine Annonce von Jugend am Werk und war überzeugt, mit 57 Jahren keine Chance zu haben, trotz seiner Qualifikationen und der inzwischen absolvierten Ausbildung als Lebens- und Sozialberater.
Von ursprünglich 15 Lehrlingen wurden immerhin fünf innerhalb eines Jahres an Firmen vermittelt.
Den Job hat er freilich bekommen und neben seiner Arbeit auch noch die Trainerausbildung bestanden: Das Unterrichten fiel ihm am Anfang eher schwer: „In der ersten Unterrichtsstunde war ich sehr nervös, und ich war froh, als sie dann vorbei war.“ Auf Nutzfahrzeuge spezialisiert, musste der ehemalige Werkstattleiter auch sein Wissen über Autos auf den neuesten Stand bringen. „In unserem Fach ist es wichtig, immer am Laufenden zu bleiben. Außerdem gehören Geduld, soziale Kompetenz und die Bereitschaft, Neues zu lernen, dazu“, erklärt Trautenberger.
Seine Arbeit wird durch eine Supervision begleitet, die schwierige Fälle in einer kleinen Gruppe bespricht und reflektiert. Doch über gravierende Probleme in der Gruppe kann der Ausbilder zum Glück nicht klagen – es gibt Unaufmerksamkeit, Jugendliche, die „nicht richtig mitarbeiten wollen“, und bisweilen stören manche den Unterricht. Trautenberger begegnet dem Ungemach mit Ruhe.
Vom Sorgenkind zum Vorbild
Wenn jemand aus seiner Gruppe von der überbetrieblichen Lehre in eine Firma wechselt und die Ausbildung im ersten Arbeitsmarkt weiterführt, ist Josef Trautenberger auf ganzer Linie zufrieden. Von ursprünglich 15 Lehrlingen wurden immerhin fünf innerhalb eines Jahres an Firmen vermittelt – Ahjad Halkaev wird bald Nummer sechs sein.
Einen der Lehrlinge hat der Ausbilder sogar bei seiner ehemaligen Arbeitsstelle untergebracht: „Das funktioniert sehr gut, ich fahr öfter hin und schaue mir das selbst an.“ Auf ihn ist Trautenberger besonders stolz, denn „anfangs hat er nur gestört“. Der Jugendliche kam direkt nach der Schule zu Jugend am Werk, war einer der Jüngsten in der Gruppe. „Er war noch stark in der Pubertät, hat immer wieder Ermahnungen und Verwarnungen bekommen, doch als wir dann an den Fahrzeugen gearbeitet haben, sah ich, wie geschickt er sich anstellte.“
Der Ausbilder weiß, wie eng Beschäftigung und Entwicklung zusammenhängen können, mit der Zeit wurde der junge Mann ehrgeiziger und ruhiger. Jetzt arbeitet er bereits vier Monate in dem Lkw-Servicebetrieb, und Trautenberger hört „nur gute Sachen über ihn“. Freilich ist auch der Beruf als Ausbilder anstrengend, eine Verkürzung auf die 35-Stunden-Woche wäre wünschenswert: „Ich hätte dann mehr Zeit für die Erholung, das ist in meinem Alter wichtig.“
Integration durch Bildung
Auch die privaten Bildungseinrichtungen integrieren viele AbsolventInnen. „Sobald jemand eine Aus- oder Weiterbildung besucht, macht er auch einen Schritt in Richtung Integration. Denn der vorgegebene Rhythmus und die Möglichkeit, Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen, wirken sich positiv aus“, erklärt Nerijus Soukup. Was die Erwachsenenbildung gesellschaftlich leisten kann, hat sie auch im Jahr 2015, als Tausende Menschen auf ihrer Flucht vor Krieg nach Österreich kamen, eindrucksvoll bewiesen. „Allein was wir in Wien damals an Deutschkursen kurzfristig auf die Beine gestellt haben, war enorm“, erinnert sich Senad Lacevic von den Wiener Volkshochschulen. „Das waren Hunderte von Kursen und Tausende von Menschen, die von diesem Angebot profitiert haben.“
Aber inzwischen sind viele staatliche Maßnahmen unsicher geworden. Unter der türkis-blauen Regierung wurde bei vielen öffentlichen Aufträgen erst sehr kurzfristig über eine Verlängerung entschieden. Soukup und Lacevic erinnern sich an viele KollegInnen, die vorab gekündigt wurden, weil niemand wusste, ob die Kurse weitergehen. „Das verursacht großen Stress – einerseits betreust du Menschen, viele davon sind arbeitslos, andererseits hast du selbst Angst, bald keinen Job mehr zu haben.“ Ein Ausweg: „Eine unserer langjährigen Forderungen ist, Projekte auf fünf Jahre auszuschreiben. Das gäbe den MitarbeiterInnen Entspannung und Sicherheit“, erklärt Soukup. Lacevic ist erleichtert, dass die „Ibiza-Causa“ die zusätzlich angedrohten Kürzungen in der Branche verhindert hat.
Wesensverwandt mit Vorbildwirkung
Am 19. Februar begannen die KV-Verhandlungen. Die Forderungen wurden an die Arbeitgeber übergeben. Während 2019 fünf Verhandlungsrunden nötig waren, rechnen die Verhandler, dass es heuer länger dauern wird. Unvorbereitet setzten sich die Akteure freilich nicht an den Tisch. „Wir Betriebsräte bilden Arbeitsgruppen für spezielle Themenbereiche und treffen einander regelmäßig“, erklärt Nerijus Soukup. Dabei werden Forderungen, Strategien und Durchsetzungsmöglichkeiten ausgearbeitet.
Auf der Betriebsrätekonferenz, an der alle Betriebsräte aus ganz Österreich teilnehmen können, werden die Ergebnisse präsentiert und es wird über die Punkte abgestimmt. Die GPA-djp hilft bei der Organisation, die Rechtsabteilung unterstützt bei juristischen Fragen. Breite Unterstützung kommt von der Arbeiterkammer, die eine Branchenanalyse durchführt und die Bilanzen des letzten Geschäftsjahres analysiert. Senad Lacevic: „Da sehen wir, wie es der Branche geht, welche Entwicklungen und Veränderungen es gibt. Und wie sich die Umsätze oder das EBIT auch über Jahre hinweg darstellen.“
Verhandelt wird in einem kleinen Team, während ein großes Team zeitgleich in der GPA-djp sitzt und bei wichtigen Themen Input gibt oder entscheidet, welche Punkte das kleine Team weiterverfolgen soll. Heuer sind die Verhandlungen besonders spannend: Dass die Forderungen der SWÖ-Beschäftigten durch Warnstreiks unterstützt wurden, gefällt Nerijus Soukup: „Für uns ist es sehr motivierend, dass die Sozialwirtschaft bei der Arbeitszeitverkürzung sehr hartnäckig ist. Es ist generell wichtig, dass wir uns gegenseitig motivieren und an Themen dranbleiben. So wie die KollegInnen der Sozialwirtschaft auf die Straße gehen und streiken, wollen auch wir beharrlich sein und unsere Anliegen gemeinschaftlich durchsetzen.“
Sophia Fielhauer-Resei und Christian Resei
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/20.
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