„Wollt ihr unsere Schokokammer sehen?“, fragt Sabine Gabath schmunzelnd. „Nervennahrung“ hält die Betriebsrätin immer bereit, denn gerade Pflegekräfte oder ÄrztInnen können diese bei der anspruchsvollen Arbeit am Landesklinikum Salzburg oft genug gebrauchen. Auch die Räume des Betriebsrats nutzen Beschäftigte durchaus als Rückzugsraum, um sich auszuruhen oder einen „Break zu machen, wenn sie nimmer können“, wie es Gabath formuliert. Dann können sie sich mit Obst, Kaffee oder Tee oder anderen guten Dingen versorgen. Das Betriebsratsgebäude liegt gleich am Eingang zum großen Krankenhauskomplex, auf dem sich ein Gebäude an das andere reiht.
All diese Gruppierungen mit ihren verschiedenen Interessen als Betriebsrätin unter einen Hut zu bringen: Darin sieht Gabath eine große Herausforderung. Ein weiteres großes Spannungsfeld beschreibt sie als „Klagemauer“ oder „lösungsorientiertes Arbeiten“. „Manche wollen alles erzählen können, und dann gehen sie wieder“, sagt sie. Es ist der Betriebsrätin aber sichtlich lieber, wenn sie die Situation eines Kollegen oder einer Kollegin tatsächlich verbessern kann. Wie so oft findet sie auch hier pointierte Worte: „Das ist wie ein Kriminalfall: Warum sitzt der da?“ Man müsse also herausfinden, ob die Person gerne ihr Herz ausschütten wolle oder sich eine Lösung wünsche. „Das ist auch immer schwierig. Es ist wichtig dass die MitarbeiterInnen kommen und im Vertrauen ihre Situation beschreiben. Ideal finde ich, wenn wir eine Lösung finden, manchmal reicht einfach nur zuhören.“
Wenn man mit Sabine Gabath über das Gelände des Klinikums spaziert, bekommt man einen Eindruck, wie groß das Gebiet ist, auf dem sie sich bewegt. „Wir haben ein Pavillonsystem“, erklärt sie. Insgesamt stehen fast 2.000 Betten für die PatientInnen bereit. Von Augenheilkunde bis Unfallchirurgie findet man nahezu alle Fachgebiete der Medizin. „Du rennst eine Viertelstunde von einem Ende zum anderen“, schätzt Gabath. Das macht die Weitergabe und das Einholen von Informationen logischerweise zur Herausforderung. Während die Betriebsrätin über das Gelände führt, kommentiert sie das System, mit dem man versucht hat, die verschiedenen Pavillons alphabetisch zu beschriften, dass man sich leicht orientieren kann: „D steht zum Beispiel für Dermatologie, H für HNO und F für Frauenheilkunde.“
Persönliches Gespräch im Zentrum
Die schiere Größe des Betriebs bedeutet für den Betriebsrat eine enorme Herausforderung, was die Informationspolitik betrifft. Umso umtriebiger müssen die Betriebsrätin und ihre KollegInnen sein. Ob bei Mitarbeitereinführungen oder in der Krankenpflegeschule, bei Kursen oder Kindergartenfesten: Überall versuchen sie, präsent zu sein, wie Gabath erzählt. Einen eigenen Newsletter hat der Betriebsrat nicht. Dafür sind sie auf den Newslettern der Abteilungen vertreten. Das wichtigste Kommunikationstool ist das Schwarze Brett – und natürlich das persönliche Gespräch.
Das wichtigste Kommunikationstool ist das Schwarze Brett – und natürlich das persönliche Gespräch.
Die Probleme, mit denen Beschäftigte sich an den Betriebsrat wenden, sind so vielfältig wie die Belegschaft selbst. Am häufigsten aber würden sie bei Umstrukturierungen angesprochen, erzählt Gabath: „Wenn der Dienstgeber Dienstpläne ändert, Teams zusammenlegt oder wer wo einspringen muss oder Überstunden entstehen: Das kriegen wir gleich einmal mit. Weil das die Leute zwar schon kompensieren, aber nicht lang.“ Hier unterstützend zu wirken ist eine ihrer Aufgaben. Wogegen sich Gabath klar und deutlich verwehrt: Von der Führungsebene dafür missbraucht zu werden, Sparpläne zu kommunizieren oder gar daran mitzuwirken, das System zu „optimieren“. Dennoch findet sie gute Worte für ihre Chefs: „Der Dienstgeber ist nicht leicht, aber er bietet immer auch Lösungen an.“
Vielfältige Lebensgeschichten
Während des Spaziergangs über das Gelände der Salzburger Klinik begegnet Gabath immer wieder bekannten Gesichtern und bleibt kurz stehen, um ein paar Worte zu wechseln. „Du erlebst bei 5.000 Leuten natürlich wesentlich mehr Schicksalsschläge, Krankheiten, Partner, die sterben – wirkliche Notfälle“, erzählt sie. „Da muss man natürlich anders agieren, als wenn jemand kommt und meint: Wir haben zwei in unserer Abteilung, die furchtbar streiten“, erläutert sie. „Man muss alleweil schauen: Was ist hilfreich?“
Die Sorgen und Nöte der KollegInnen zu lindern, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, Folgen von Einsparungen abfedern: Das sind wohl die zentralen Aufgaben von BetriebsrätInnen.
Die Sorgen und Nöte der KollegInnen zu lindern, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, Folgen von Einsparungen abfedern: Das sind wohl die zentralen Aufgaben von BetriebsrätInnen. Eine mindestens so wichtige Baustelle, bei der sie tatkräftig mitmischen, sind die Kollektivverträge (KVs) bzw. die Verhandlungen mit den Arbeitgebern.
Hier stehen gerade BetriebsrätInnen in großen Häusern, noch dazu mit ausgegliederten Bereichen, vor großen Herausforderungen. Unter anderem müssen sie sich mit verschiedenen KVs auseinandersetzen, das größte Spannungsfeld sind naturgemäß historisch gewachsene Ungerechtigkeiten, wenn etwa die einen Beschäftigten deutlich schlechter verdienen als andere.
Richtungweisender KV
Besonders zufrieden ist Johann Hubmann, Konzernbetriebsrat in der Energie Steiermark, dass es ihm und seinem Team gelungen ist, dass in seinem Haus ab April nur noch ein einziger KV für alle gelten wird. Ausgangspunkt dafür waren die KV-Verhandlungen für die Energiewirtschaft. Dabei haben sich ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber darauf geeinigt, dass diese Harmonisierung in der ganzen Branche erreicht werden soll. Eine der treibenden Kräfte auf Betriebsratsseite war Hubmann selbst, der in der GPA-djp Vorsitzender des Wirtschaftsbereichs Energie ist.
„Wir haben mehrere unterschiedliche KVs gehabt“, erinnert sich Hubmann, „und wir haben erreicht, dass sofort diverse Firmen in den neuen Kollektivvertrag übertreten. Dann sind alle Beschäftigten im EVU-KV, also Fernwärme, die Gasbereiche, die Handelsbereiche, dann gibt es einen kaufmännischen Servicebereich und so weiter. Ein paar hundert Leute sind jetzt direkt in den KV gekommen.“ Arbeiter gibt es formal in der Energie Steiermark keine mehr, vielmehr sind alle Beschäftigten als Angestellte eingestuft.
Zurück zum Kollektivvertrag der gesamten Branche. Darin sind nämlich einige innovative Zugänge enthalten, die auf die Veränderungen der Wirtschaftswelt Rücksicht nehmen. Auch hier war Hubmann eine treibende Kraft. So gibt es beispielsweise die Position „Koordinationsverantwortung für externe Auftragnehmer“. „Hinter dem verbirgt sich, wenn bei uns zum Beispiel ein Monteur eine Baustelle mit Fremdfirmen leitet“, erläutert Hubmann. Bisher war die Person als „normaler Monteur“ eingestuft, weil sie keine Personalverantwortung oder jedenfalls kein Team an internen MitarbeiterInnen geführt hatte. „Mit dem neuen Titel kann die Person jetzt finanziell weiterkommen.“ Anders ausgedrückt: Mit den neuen Positionen sollen Beschäftigte beim Gehalt größere Sprünge machen können, auch wenn sie keine „klassische“ Karriere machen (wollen).
Ein weiteres Beispiel ist die Position „Leitung und Mitarbeit an Projekten“, die für Personen gedacht ist, die in verschiedenen Projekten quer über Abteilungen oder Gesellschaften hinweg mitarbeiten oder diese koordinieren. „Die haben oft keine Zeit für ihre eigene Karriere. Mit diesem Titel können sie in sehr hohe Gruppen kommen“, so Hubmann.
Noch ein Beispiel sind „Fachexperten“, die keine Leitungsfunktion haben, aber großes Fachwissen. Auch sie haben nun die Chance, besser zu verdienen, ohne dass sie eine Leitungsaufgabe übernehmen müssen. Hubmanns Betriebsratskollege Steinberger, der selbst als Techniker arbeitet: „Das ist ganz wichtig, weil so drängst du den Experten nicht, ohne dass er das möchte, in eine Führungsrolle. Der wäre eigentlich Techniker mit Leib und Seele, muss aber noch Personalführung machen, und das liegt ihm vielleicht gar nicht. “
Nicht nur am Papier
Um zu erreichen, dass der KV nicht nur auf dem Papier eine Gleichstellung der Beschäftigten in der Energiebranche vorsieht, ist ein Mechanismus vorgesehen. „Im Anhang des KV gibt es eine eigene Liste, welche Unternehmen den KV anwenden. Die wird jedes Jahr evaluiert, und es wird angeschaut, wer dazukommen muss“, erklärt Gewerkschafter Hubmann.
Zudem gilt: Wird in einer Firma eine gesellschaftsrechtliche Änderung vorgenommen, überprüfen die dortigen Sozialpartner, ob nun der neue KV für alle angewendet werden soll oder nicht. Nach den Beratungen auf Firmenebene geht der Prozess auf KV-Ebene weiter.
Verschiedene Kulturen
Ein Blick von Graz zurück nach Salzburg: Die Arbeitsplätze von Sabine Gabath und Johann Hubmann könnten unterschiedlicher kaum sein. Schon wenn man das große Hochhaus des steirischen Strom- und Gasanbieters in Graz sieht, weiß man: Das ist ein Konzernsitz. Trifft man im Salzburger Krankenhaus auf viele Frauen, sind es an den Grazer Standorten in erster Linie Männer. Während bei den einen die Menschen im Vordergrund stehen, ist es bei den anderen die Technik. Mit verschiedenen Menschen haben freilich auch die steirischen Betriebsräte zu tun.
„Wir haben viele große Standorte von Schladming bis Feldbach mit unterschiedlichsten Kulturen und auch unterschiedlichsten Dialekten.“ Entsprechend müssen auch die Betriebsräte darauf Rücksicht nehmen. „Wennst in Feldbach mit den Oststeirern redest und in Knittelfeld mit den Obersteirern, wo man den Dialekt natürlich auch merkt – das ist schon ein Unterschied. Wenn du dann noch die Ennstaler hast, da ist die ganze Kultur noch einmal ein bisschen anders.“
Was beide Arbeitsplätze und somit auch die Arbeit der BetriebsrätInnen zudem verbindet: Da wie dort treiben die Führungskräfte Auslagerungen voran, da wie dort geht dies meist mit Personalabbau einher. Im Fall der Energiewirtschaft etwa galt der Kollektivvertrag Mitte der 1990er-Jahre noch für 55.000 Beschäftigte. Mittlerweile sind es nur noch um die 20.000. Umso mehr freut sich Johann Hubmann, dass er erreicht hat, dass Auslagerungen inzwischen auf den Prüfstand gestellt werden. Beliebterweise wird Outsourcing mit dem Kostenargument begründet. Doch ob das auch wirklich stimmt, ist zumindest die Frage wert. Denn oftmals werden in betriebswirtschaftlichen Kostenrechnungen nicht alle Faktoren berücksichtigt. Genau hier hat Johann Hubmann angesetzt, und zwar, als er wieder einmal mit dem Arbeitgeber über ein Sparpaket verhandelte. Man einigte sich auf einen formalisierten Insourcing-Prozess.
Bemerkenswert
Zunächst aber wurde berechnet, ob Outsourcing wirklich billiger ist. Das Ergebnis ist bemerkenswert: Versucht man möglichst viele Faktoren zu berücksichtigen und legt den Berechnungen sogar den teureren Kollektivvertrag zugrunde, so ist es oftmals deutlich billiger, wenn man die Tätigkeiten im eigenen Haus ansiedelt.
Einmal im Jahr setzt man sich im Betrieb zusammen und stellt jene Bereiche, die outgesourct sind, jedes Mal aufs Neue auf den Prüfstand. Gelten soll dies für die gesamte Branche, für die Energie Steiermark kann Hubmann schon von Erfolgen berichten: „Wir haben mehr als zehn Job-Descriptions ingesourct.“
Anders als die Krankenpflegerin Sabine Gabath ist Hubmann nicht freigestellt, und auch nicht seine 59 weiteren Betriebsratskollegen. Zugute kommt ihm dabei klarerweise, dass er so manche Arbeit auch aus der Ferne per Computer via Netz erledigen kann. Das ist bei Sabine Gabaths Tätigkeitsfeld natürlich undenkbar.
Johann Hubmann und sein Kollege Stefan Steigenberger sehen den großen Vorteil darin, dass sie dadurch nahe dran am Geschehen sind. „Es kann dir niemand erzählen, dass etwas ganz klass und super ist, umgekehrt kann man auch sagen, dass etwas nicht funktioniert – und du musst das halt glauben“, erzählt Steigenberger. Zudem würden sie so auch eher mitbekommen, welche Bereiche etwa wieder eingegliedert werden könnten.
Ob in Salzburg oder Graz, ob Pflegerin oder Techniker: Alle drei machen die Betriebsratsarbeit sichtlich gern. Und alle machen sich ganz grundsätzliche Gedanken, nicht nur über die Arbeit selbst, sondern auch über Gesundheits- oder Energiepolitik.
Menschen begleiten
Während Sabine Gabath über den absehbare Pflegenotstand spricht und den finanziellen Engpass im Sozialbereich anprangert, erzählen Hubmann und Steigenberger von Energiepolitik, technischen Lösungen und Verteilungsfragen. Für Gabath ist das Schöne daran, Betriebsrätin zu sein: „Dass man die Leute begleiten kann, bei schönen Dingen, wenn sie sich wohlfühlen, verändern, schwanger werden, Babys kriegen – und dass man ihnen eine Hilfestellung geben kann, wenn es ihnen nicht gut geht.“
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/19.
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