Kein Geld, um essen zu gehen
„Hier in der Kärntner Straße habe ich vor 15 Jahren als stellvertretende Filialleiterin begonnen“, erzählt Eva. „Mein Mann hat gesagt: Du kaufst hier dreimal in der Woche ein, das wird ganz schön teuer. Möchtest du nicht gleich hier arbeiten?“ Seit elf Jahren ist sie Betriebsrätin, seit sechs Jahren Vorsitzende.
„Es ist traurig“, seufzt sie und deutet auf die unbelebte Straße, die solche Zeiten noch nicht erlebt hat. „Normalerweise haben wir sehr viele Kund*innen am Tag, vor allem Tourist*innen. Jetzt kommt nur ein Bruchteil.“ Der Tourismus ist eingebrochen. Wer sich jetzt ein Backfisch-Baguette mit Remouladensauce oder Fish and Chips einpacken lässt, ist entweder Stammgast oder sucht nach Abwechslung zum Social Distancing. „Die meisten aber haben kein Geld, um essen zu gehen. Oder sind verunsichert, haben Angst vor Ansteckung und kochen zu Hause“, so Eva.
Kurzarbeit auf null Prozent
Als am 16. März alle 32 NORDSEE-Filialen österreichweit schließen mussten, war die Kündigung von 250 Mitarbeiter*innen nur einen Knopfdruck entfernt. „Ich hab’ sofort den Andi von der Gewerkschaft vida angerufen, um das Vorgehen zu beraten. Andreas hat jede unserer Fragen professionell beantwortet, er war rund um die Uhr für uns da und hat die Gesch.ftsführung überzeugt, gemeinsam ein Kurzarbeitsmodell auszuarbeiten.“
Ich hab’ sofort den Andi von der Gewerkschaft vida angerufen, um das Vorgehen zu beraten. Andreas hat jede unserer Fragen professionell beantwortet, er war rund um die Uhr für uns da und hat die Gesch.ftsführung überzeugt, gemeinsam ein Kurzarbeitsmodell auszuarbeiten.
Eva Eberhart, Betriebsratsvorsitzende Nordsee
NORDSEE hat sich für die Variante 0/90 entschieden: null Prozent Arbeit bei 90 Prozent Lohnausgleich für Beschäftigte mit einem Bruttolohn bis 1.700 Euro. Das betrifft die meisten der 366 Mitarbeiter*innen.
Die Löhne in der Systemgastronomie sind niedrig. 1.540 Euro beträgt ein Bruttolohn für 40 Stunden, hinzu kommen Zuschläge für Arbeiten am Wochenende und an Feiertagen. Die meisten Mitarbeiter*innen sind Frauen, vorwiegend mit Migrationshintergrund – aus Bangladesch, Afghanistan, aus der Türkei. „Bei dem Einkommen – wie sollen sich die Kolleg*innen Geld für risikoreiche Zeiten zur Seite legen?“ Einige seien allein erziehend, die Ex-Partner können wegen Arbeitslosigkeit die Alimente nicht zahlen. Jetzt stehen sie allein da und wissen nicht, wie sie über die Runden kommen.
„Manche konnten sich keine Laptops für ihre Kinder leisten“, erzählt Eva. Corona habe gezeigt, wie dringend es 1.700 Euro Mindestlohn braucht. Und mindestens ein arbeitsfreies Wochenende im Monat.
Alle 30 Minuten Hände waschen
Seit der Wiedereröffnung der Filiale am 15. Mai herrschen verschärfte Hygienemaßnahmen: Alle 30 Minuten müssen die Beschäftigten Hände waschen. Alle zwei Stunden werden die Tische desinfiziert – und nach jedem Gast. Auf jedem zweiten Sitzplatz weist ein Zettel darauf hin, dass dieser Platz aus Sicherheitsgründen frei bleiben muss. Ein Kunde betritt das Restaurant und schaut sich nach einem geeigneten Sitzplatz um. „So wie dieser Herr tragen viele keine Maske, wenn sie ins Restaurant gehen. Wo bleibt hier der Arbeitnehmer*innenschutz?“, fragt Eva. „Manche gehen, wenn wir sie auf die Maskenpflicht hinweisen. Die denken sich: ‚Dann eben nicht!‘“
So wie dieser Herr tragen viele keine Maske, wenn sie ins Restaurant gehen. Wo bleibt hier der Arbeitnehmer*innenschutz?“, fragt Eva. „Manche gehen, wenn wir sie auf die Maskenpflicht hinweisen. Die denken sich: ‚Dann eben nicht!‘
Eva Eberhart, Betriebsratsvorsitzende Nordsee
„Ich brauch‘ die Leute!“
Während ein Mitarbeiter den Boden wischt, richtet Lisa Scholle vom Grill mit Erdäpfeln an. Sie ist im dritten Lehrjahr und steht kurz vor der Lehrabschlussprüfung. „Die Kärntner Straße ist meine liebste Filiale, weil hier so viel los ist. Ich liebe es, mit Leuten zu reden.“ Lisa will selbst einmal eine Filiale von NORDSEE führen, deswegen legt sie sich jetzt ins Zeug: Marketing, Rechnungswesen, Einkauf und Rezepturen lernen. „Da muss man alles ganz genau wissen: Wie viel Lollo verde ins Brötchen kommt, wie viel Zwiebel, Gurke, Tomate und natürlich die Hauptkomponente Fisch.“
Die Berufsschule, die sie sonst einmal wöchentlich besucht, hat bis Ende Mai auf Online-Unterricht umgestellt. „Die ersten zwei Wochen zu Hause waren wie Urlaub. Aber dann ist es mühsam geworden. Ich brauch’ die Leute!“
Am Naschmarkt – die älteste Filiale Österreichs
Zehn Gehminuten von der Kärntner Straße entfernt, am Wiener Naschmarkt, liegt die älteste NORDSEE-Filiale Österreichs. Die späte Mittagssonne brennt mittlerweile auf den Asphalt, das angenehme Wien-Lüftlein lässt heute aus. Nur wenige Leute schlendern durch die engen Gassen zwischen den Marktständen. „Heute waren erst wenige Gäste da, und es ist schon 14 Uhr“, erzählt Harald Prerost, Filialleiter und Betriebsrat. Am Naschmarkt sind elf Kolleg*innen beschäftigt. Momentan arbeiten zwei bis drei pro Schicht, drei Tage die Woche. Auch sie wollen vor allem eines: arbeiten. Mitarbeiter Emmanuel nimmt zwei Schollenfilets vom Tablett, legt sie auf die Waage und verpackt sie. Er arbeitet als 40-Stunden-Kraft momentan nur 16 Stunden. Dennoch ist er positiv gestimmt. „Die Leute beginnen langsam, mehr rauszugehen, wieder einzukaufen. Ich hoffe, dass es bald wieder normal sein wird.“
Zurück in die Normalität
„Wir versuchen, Kosten zu sparen. Das heißt: keine Fremdfirmen, die Reinigung machen wir selbst“, so Eva Eberhart. Die Stundung der Miete helfe, um über die Runden zu kommen. „Aber Stundung heißt ja nur, dass die Kosten später gezahlt werden müssen. Wie soll das gehen?“ Was es dringend braucht? Gäste. Viele Gäste! Das geht nur, wenn die Grenzen für den Tourismus wieder geöffnet sind. Aber was, wenn eine zweite Corona-Welle kommt?
NORDSEE hat zwei Weltkriege überstanden – wir werden auch Corona überstehen
Eva Eberhart, Betriebsratsvorsitzende Nordsee
Alle hier freuen sich jetzt auf das, was sie als „Normalität“ kennen. Bis dahin dauere es noch, aber Eva Eberhart ist zuversichtlich: „NORDSEE hat zwei Weltkriege überstanden – wir werden auch Corona überstehen.“