Reportage: Letzte Chance

Inhalt

  1. Seite 1 - Vermittlungshindernisse
  2. Seite 2 - Arbeit genug
  3. Seite 3 - Wiedergewonnenes Selbstvertrauen
  4. Seite 4 - Aufschwung spürbar
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Trotz derzeit sinkender Arbeitslosenzahlen finden am ersten Markt nicht alle Platz. Für viele bieten die Initiativen am erweiterten Arbeitsmarkt endlich wieder eine Perspektive.

Heute wird bei ASINOE mit Menschen gearbeitet, deren „oft komplexe Problemlagen sie hindern, am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“, erzählt Sozialarbeiter Thomas Schobel. Etwa Abhängigkeiten, prekäre Wohnsituationen, gesundheitliche Probleme oder Schulden. „Die sechs Monate Einkommen hier sind für so manchen die erste Möglichkeit, in Privatkonkurs gehen zu können.“ Etwa für den 46-jährigen Alfred Johann S., der sein Geschäft in Langenlois wegen Überschuldung zusperren musste. Bis zur Operation wegen eines Gehirntumors habe er von der Möglichkeit eines Krankenstandes für Selbstständige nichts gewusst. „Nur nicht bettlägerig“, war seine Devise, die oft gesellschaftliche Anerkennung bringt, ihm aber fast den Tod. Denn bald danach stand er erneut hinter dem Ladentisch, bis irgendjemand wieder die Rettung rief.

Ausgenommen bei „Pensionsantrittsplätzen“, also bei Menschen, die maximal 3,5 Jahre vor dem Ruhestand stehen, ist die Befristung von einem halben Jahr nur unter bestimmten Voraussetzungen verlängerbar. Christa G. hat Glück: Sie geht mit erstem Dezember in den Ruhestand. „Es war meine letzte Chance“, sagt sie, „sonst hätte ich keine Pension gekriegt.“ „Sie haben ja noch nie gearbeitet“, habe eine AMS-Beraterin mit Blick auf ihre Akte angemerkt. „Stimmt“, kommentiert Christa und schmunzelt jetzt. Ihre fünf Kinder hätten sich halt nicht ganz allein aufgezogen.

Heute sind diese zwar groß, aber ohne Führerschein in einer kleinen Gemeinde am Ostrand des Waldviertels Arbeit zu finden, ist dennoch nicht leicht bzw. eher unwahrscheinlich.

Oft wird (älteren) Menschen ohne Arbeit mangelnde Flexibilität unterstellt. „Man könnte aber auch flexibler darüber nachdenken, wo die Leute zum Vorteil aller am besten einzusetzen sind“, meint Sozialarbeiter Thomas Schobel. Etwaige körperliche Einschränkungen seien bei der Gruppe 50 plus durch Kompetenzen wie Verlässlichkeit, Engagement oder Lebenserfahrung mehr als wettzumachen. „Die Älteren ziehen die Jungen mit“, ergänzt seine Kollegin Wellemsen. Zipperlein lassen sie nicht gelten, Termine müssen eingehalten werden. Schließlich wird Arbeit hier nicht bloß gespielt.

Foto (C) Verein ASINOE
Die einseitige Wahrnehmung von Menschen als Teil einer Gruppe ohne Identität ist Resultat einer sozial bedingten „Blindheit“, die sich schleichend entwickelt.

Arbeit genug

Auch bei der Jobsuche werden die Teams heterogen zusammengestellt. Die persönlichen Fähigkeiten und Umstände werden da durchgegangen. Zusätzlich setzt man auf persönliche Netzwerke und Mundpropaganda. Wesentliche Zusatzfrage beim Brainstorming: Wen kennen wir noch? „Fast die Hälfte läuft über persönliche Kontakte“, berichtet Wellemsen. So war es etwa bei Sepp, der den Job im Lager fand, weil der Sohn vom Fußballtrainer wen kannte, der wen kannte.

Es gibt auch manche, die säßen im Bewerbungsraum und machten den Mund kaum auf, seien draußen aber die SuperarbeiterInnen, sagt die Sozialpädagogin Wellemsen. „Dann ist es unsere Aufgabe, zu den Firmen zu gehen.“ Sie hätten da einen guten Mann, eine gute Frau. Manchmal klappt’s, zumindest mit einem Praktikum. Der Vermittlungserfolg lässt sich nur anhand der Zahlen von Arbeitsaufnahmen direkt nach der Zeit bei ASINOE messen. Eine weitere Auswertung erfolgt über die Sozialversicherungsnummer am 92. Tag danach. Rund 30 Prozent hatten an diesem Stichtag noch den Job. „Das ist wirklich ein Erfolg“, meint Wellemsen, „und er dauert meist an: Man trifft die Leute ja auch später in der Stadt.“

Durchschummler

Foto (C) Volkshilfe Wien

Nicht die strukturellen Probleme am Arbeitsmarkt stehen heute im Zentrum aktivierender Arbeitsmarktpolitik. Betroffenen wird oft mangelnde Arbeitsbereitschaft unterstellt. Von „Sozialschmarotzern“ ist wieder die Rede. Zu diesen haben sich nun die „Durchschummler“ gesellt. Diese pauschalen Zuschreibungen haben tiefgreifende Folgen. Gerade wenn über sozial wenig anerkannte Gruppen gesprochen wird, wie „die Arbeitslosen“ oder „die Flüchtlinge“, herrschen schnell vereinfachte und oberflächliche Charakterisierungen vor, heißt es in der Ausgabe „Arbeit und Arbeitslosigkeit“, die das internationale Forschungszentrum (ifz) in Kooperation mit der Caritas Österreich in der Reihe „Fokus: Gutes Leben“ herausgibt. Die einseitige Wahrnehmung von Menschen als Teil einer Gruppe ohne Identität sei Resultat einer sozial bedingten „Blindheit“, die sich schleichend entwickle.

„Wir sehen ja, wie gerne die Leute arbeiten würden. Jeder weiß doch: Arbeit und selbst erworbenes Einkommen stiften Identität“, sagt Christoph Parak, Geschäftsführer von arbeit plus Wien, dem Dachverband gemeinnütziger arbeitsmarktpolitischer Unternehmen. „Niemand will mehr schlecht als recht leben. Jeder Mensch will sich gebraucht und als aktiver Teil der Gesellschaft fühlen. Die, die so wenig arbeiten wollen wie möglich, sind keine systemrelevante Größe.“

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