Erfolgreiche Kooperative
thESGala – es heißt übersetzt „Willst du Milch?“ oder kann auch als Abkürzung von „Thessalien“ und dem griechischen Wort für „Milch“ verstanden werden – begann 2013 mit den Verkaufsautomaten. Heute arbeiten 165 Menschen in dem Unternehmen, rund 50 Milchbetriebe gehören der Kooperative an. Thanasis Vakalis, dem jungen Unternehmensgründer, kam die Idee, als er Milchautomaten für DorfbewohnerInnen in Norditalien sah. 25 Millionen Euro Umsatz machte das Unternehmen im vergangenen Jahr, zehn Prozent sollen es dieses Jahr werden.
Einen normalen Job zu finden ist gleichwohl schwer in Larisa. thESgala ist sicherlich eine Ausnahme, ebenso wie die Karatzis-Gruppe, die in Larisa einen Teil ihrer Plastikfolien herstellt und Netze für Obst und Gemüse – sie soll sogar weltführend mit diesem Produkt sein. Die Normalität, so sagt Giorgos Katsiantonis, ein anderer Parlamentarier aus der Region Larisa, sind zwei, drei kleine Jobs parallel: Man kellnert in einer Bar, parkt Autos, verteilt Werbung und macht damit vielleicht 500 oder 600 Euro im Monat. „Die Armut gibt es hier, aber sie ist nicht so leicht zu sehen“, sagt Katsiantonis. Er setzt die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent an. Bei dieser Zahl sind diejenigen dabei, die sich schon nicht mehr arbeitslos melden, sondern zu Hause verkriechen. Und jene, die einen so geringen Verdienst haben, dass sie davon unmöglich allein leben können, aber gleichzeitig doch nicht mehr in den Arbeitslosenstatistiken aufscheinen.
Giorgos Katsiantonis selbst ist eine Ausnahmefigur. Acht Jahre, von 2006 bis 2014, saß der US-Grieche für die Demokraten im Repräsentantenhaus im Bundesstaat New Hampshire. Bei einem Sommerurlaub in Griechenland lernte er seine Frau kennen, siedelte um ins Land seiner Eltern und versprach seiner Frau, nie wieder in die Politik zu gehen. Das hat nicht geklappt. 2015, nach der Neuwahl im September jenes Jahres, die Alexis Tsipras herbeiführte und sogar gewann, wurde Katsiantonis als Abgeordneter einer kleinen Zentristenpartei angelobt, die erstmals ins Parlament in Athen kam. Katsiantonis ist jetzt 39. Die Jungen in Larisa haben ihn gewählt. Sie sitzen in den Bars und Cafés der Stadt, vom Vormittag bis spät in die Nacht. „Schauen Sie sich nur um“, sagt der Abgeordnete mit dem amerikanischen Akzent, „keiner von denen hat einen Job.“
Flucht ins Studium
Die meisten der Gäste sind in Wahrheit StudentInnen, denn Larisa ist auch eine Universitätsstadt. Doch nur der kleinere Teil dieser jungen Leute ist so fixiert darauf, das Studium so rasch wie nur möglich hinter sich zu bringen wie Rania Kyrozis. Die Tochter eines Athener Bauunternehmers ohne Aufträge hat ein schlechtes Gewissen. „Es sind die Ausgaben meines Vaters“, sagt sie. Rania hat noch zwei Schwestern, die in den letzten Schuljahren stecken. Sie ist die älteste der drei, und sie glaubt daran, dass sie einen Job finden wird. Viehzucht ist ihr Studium, einen eigenen Betrieb könnte sie vielleicht einmal aufmachen; sie mag die Tiere mittlerweile sehr. Eigentlich wollte Rania einmal Anwältin werden.
Die junge Griechin führt ein zurückgezogenes Leben als Studentin. Sie geht kaum aus, des Geldes wegen. Politik und die Nachrichten interessieren sie nicht. „Ich will nur mein Studium beenden“, sagt sie. Dieses Jahr wird ihr letztes sein. Aber Rania fühlt sich wohl, trotz der ärmlichen Bedingungen auf dem Campus. Alle sind glücklich, in Larisa zu sein und nicht im Moloch Athen, so scheint es zumindest. „Gerade klein genug, gerade groß genug“, sagen die Leute in der Stadt. Sie igeln sich ein, tauchen unter, warten, bis diese Wirtschaftskrise eines Tages vielleicht doch vorbei ist.
Die Familie ist das Rückgrat der Gesellschaft in Griechenland, sagt Giorgos Katsiantonis. Der Vater finanziert die Familie, oft sind es jetzt gar die Großeltern, weil sie noch eine Pension bekommen und alle anderen keine Arbeit haben. „Der Vater gibt seinen erwachsenen Kindern 20, 30 Euro, damit sie ins Café gehen können“, sagt Katsiantonis. „Jeder fühlt sich schlecht dabei, die Eltern wie die Jungen, und eines Tages wachen sie auf, sind 35 und können keine Familie gründen, weil sie kein Geld haben und keinen Job.“ Am Nebentisch im Café beugt sich derweil eine Gruppe von Freunden über ein Smartphone und kommentiert ein Foto. Nachdenklich ergänzt der Abgeordnete: „Das ist vielleicht das schlimmste Problem in diesem ganzen Drama hier.“
Markus Bernath
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.
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