Reportage: Keine Frage des Alters

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Regelmäßige AMS-Termine, unzählige Bewerbungen, seltene Vorstellungsgespräche: Wer arbeitslos ist, muss sich mitunter auf eine längere Jobsuche einstellen. Sandra Knopp und Udo Seelhofer gingen der Frage nach, warum immer mehr Menschen langzeitarbeitslos sind und wie man diesem Problem entgegenwirken kann.

Umdenken ist notwendig

Beim österreichweiten Netzwerk „arbeit plus“ (www.arbeitplus.at) sind 200 soziale Unternehmen, darunter viele sozialökonomische Betriebe, vernetzt. Rund 40.000 Menschen erhalten dort via AMS-Vermittlung jährlich einen befristeten Arbeitsplatz. „Da diese Unternehmen in der jetzigen Situation gefragt sind, wurde das Modell ausgebaut“, erklärt „arbeit plus“-Geschäftsführerin Judith Pühringer. Im Schnitt schaffen nur etwa 30 bis 40 Prozent der Transitarbeitskräfte den Sprung in den primären Arbeitsmarkt. Pühringer fehlt es an Anschlussperspektiven. „Vor der Krise 2008 gab es mehr Verständnis dafür, wenn jemand nicht 100 Prozent leisten konnte. Dieser Spielraum fehlt nun.“ Eine Möglichkeit wäre es, mehr und dauerhafte Arbeitsplätze in sozialökonomischen Betrieben zu forcieren. Dazu bräuchte es mehr Förderungen und auch mehr Kooperationen mit der Wirtschaft.

Im Regierungsübereinkommen wird die Senkung der Arbeitslosigkeit forciert, etwa mit dem Beschäftigungsbonus, bei dem Betrieben pro neuen Arbeitsplatz die Hälfte der Lohnnebenkosten ersetzt wird. 20.000 Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose über 50 sollen in Gemeinden und gemeinnützigen Organisationen entstehen. Bleibt die Arbeitslosigkeit der Generation 50 plus weiterhin so hoch, tritt ab 1. Jänner 2018 ein Bonus-Malus-System für Unternehmen in Kraft. Einige Betriebe haben den Vorteil von vielfältigen Teams in Zeiten des Fachkräftemangels bereits erkannt: Brigitte Nagy, Personalchefin der Supermarktkette „denn’s Biomarkt“ (www.denns-biomarkt.at), hat mit älteren Arbeitskräften durchwegs positive Erfahrungen gesammelt: „Sie sind nicht öfter krank als jüngere Mitarbeiter, haben oft keine Betreuungspflichten mehr und Erfahrung, die ihnen im Kundenkontakt nutzt.“ Der Kündigungsschutz für über 50-Jährige soll gelockert werden. Für Nagy ist das nicht so zentral: „Wenn ich Menschen ausschließe, weil sie einen erhöhten Kündigungsschutz haben, würden wir uns bei der Personalauswahl stark einschränken.“ In den Filialen-Teams arbeiten sowohl zwei asylberechtigte Lehrlinge wie auch Menschen mit Behinderung. „Aktuell haben wir auch einige gehörlose Mitarbeiter. Das funktioniert sehr gut.“

Foto (C) Michael Mazohl
Franz Reisecker arbeitet seit vier Monaten als Transitarbeitskraft in der Radstation am Wiener Hauptbahnhof. Er wurde zum Fahrradtechniker ausgebildet. Die Umschulung ist bereits von Erfolg gekrönt: Ab März tritt Reisecker mittels Arbeitskräfteüberlassung einen Job in einer Fachwerkstatt an.

Chancen mit Elektromobilität

Einige Unternehmen greifen bei der Integration von Langzeitarbeitslosen auf die geförderte und betreute Arbeitskräfteüberlassung zurück. Dabei übernehmen vom AMS Wien geförderte Anbieter, wie Job-TransFair GmbH oder Trendwerk (www.trendwerk.at), die kostenlose Personalrekrutierung und -Entwicklung. Auch Trendwerk ist Träger sozialökonomischer Projekte. Dazu zählt die 2016 eröffnete Radstation (www.dieradstation.cc) am Wiener Hauptbahnhof. In der Werkstätte werden Fahrräder von Transitarbeitskräften repariert, ein Arbeitsplatz ist für Menschen mit Behinderung adaptiert. Es gibt bewachte Fahrradabstellplätze, einen Shop und einen Verleih für Elektrobikes, Räder und Roller. Der jüngste Mitarbeiter ist 34 Jahre alt, der älteste über 60. Sie werden von erfahrenen Kollegen betreut. Pro Jahr gibt es 119 Transitarbeitsplätze, den Großteil zur Hochsaison im Sommer. Gerade Elektromobilität ist eine große Chance, wie Trendwerk-Chef Mario Moser erklärt. „Das ist ein Zukunftsthema. Der Markt wächst und es gibt in dieser Branche noch Bedarf an qualifizierten Mechanikern.“ Die Transitarbeitskräfte werden von „Schlüsselarbeitskräften“, also fix Beschäftigten, geschult. Einige davon waren früher selbst Langzeitarbeitslose. Auch aufgrund dieser Erfahrung können sie authentisch auf die Bedürfnisse ihrer KollegInnen eingehen. In der Radstation wird auf schnelles und genaues Arbeiten Wert gelegt. „Wir schulen Mitarbeiter mit der Stoppuhr. In der Privatwirtschaft dürfen sie für einen Reifenwechsel nur eine gewisse Zeit brauchen“, erklärt Projektleiterin Lena Pieber.

Foto (C) Michael Mazohl
Lena Pieber, die Projektleiterin der Radstation, legt Wert auf schnelle und genaue Arbeit. Bei der Ausbildung der Arbeitskräfte wird auch ­gestoppt, wie lange MitarbeiterInnen für einen Arbeitsschritt brauchen: „In der Privatwirtschaft darf das auch nur eine gewisse Zeit dauern.“

Hoffnung und Perspektive

In der Bar der Sargfabrik herrscht Hochbetrieb, Walter und sein Kollege Anton bewirten die Gäste. Für die beiden ist es einer der letzten gemeinsamen Dienste. Antons Arbeitsverhältnis läuft noch bis Ostern, Walter ist dann schon wieder am freien Arbeitsmarkt. Bereits während des sechsmonatigen Jobs hat er mithilfe eines Personalberaters Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern aufgenommen. Wenn möglich, will Walter in der Gastronomie bleiben, er hofft auf Vorstellungsgespräche: „Im persönlichen Gespräch weiß ich zu überzeugen.“

Von
Sandra Knopp und Udo Seelhofer

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.

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