Ihre Branche leidet besonders unter den Folgen des Corona-Virus. Restaurants, Bars und Hotels sind geschlossen – viele schon lange. 108.416 Lehrlinge gab es im Jahr 2020 insgesamt. Manche sind in Kurzarbeit, andere in der Berufsschule, wieder andere sitzen in leeren Betrieben oder haben ihre Lehrstelle längst verloren. Ob und wie ihre Betriebe die Krise überstehen, ist fraglich. Im vergangenen Jahr gingen die Insolvenzen wegen der zahlreichen Unterstützungen stark zurück. Enden diese, könnte das aktuellen Einschätzungen zufolge 15.000 mögliche Insolvenzen mit sich bringen.
Ich dachte mir, im Tourismus wird es in Österreich immer Jobs geben.
Christina, Lehrling zur Hotel- und Gastgewerbeassistentin
Dass sie einmal ohne Betrieb dastehen würde, das hätte sich Christina nie gedacht. Sie wählte die Hotellerie aus, weil sie diese Branche für besonders sicher hielt. „Ich dachte mir, im Tourismus wird es in Österreich immer Jobs geben.“ So begann die 20-Jährige eine Lehre zur Hotel- und Gastgewerbeassistentin kurz vor Weihnachten 2019. Heute würde sie sich nicht mehr dafür entscheiden. Ja, heute würde sie so einiges anders machen.
Wenn das Hotel plötzlich Wohnungen weicht
Christina muss in ihrem Job früh aufstehen, lange auf den Beinen sein und liebt das. Nach wenigen Monaten Lehre erschüttern dann die ersten Corona-Fälle das Land. Schließlich muss ihr Hotel in der Wiener Altstadt vorübergehend schließen. Manchmal darf sie noch in den Betrieb – zum Putzen oder wenn doch mal Gäste kommen. In der Kurzarbeit beginnt Christina die Matura nachzuholen und auf Hunde aufzupassen. „Ich musste irgendetwas tun!“ Während des Videogesprächs streicht sie ihre Haare mit einem Seufzen nach hinten. „Ich saß den ganzen Tag zu Hause und war abends nie müde. Das hat mich verrückt gemacht!“ Die Frage, ob sich der Betrieb in der schweren Zeit adäquat um sie bemüht habe, lässt sie auflachen. Lange wusste sie überhaupt nicht, wie es weitergehen könnte. Lange hörte sie vom Betrieb gar nichts. Im Oktober saßen dann alle zusammen im Hotel an einem Tisch. Es sei nicht mehr profitabel, hieß es, es werde abgerissen und durch Wohnungen ersetzt. Der Hoteldirektor erklärte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, sie könne ihre Lehre fertig machen.
Bereits in den Monaten zuvor überlegte Christina immer mal wieder, bei der Gewerkschaft vida anzurufen, in der sie Mitglied ist. „Ich hatte Angst, mein Hotel damit zu verraten.“ Heute muss sie auch über diesen Gedanken lachen. Im Februar bekommt sie dann plötzlich kein Gehalt mehr auf ihr Konto und erfährt, dass sie rückwirkend vom Hotel abgemeldet wurde. Christina holt sich Hilfe von der Gewerkschaft, spricht mit dem AMS und macht nun ihre Lehre in einer überbetrieblichen Werkstätte weiter. In einem ehemaligen Hotel übt sie jeden Tag mit anderen Lehrlingen, die ebenfalls ihren Betrieb verloren haben. Christina bewirbt sich weiter, findet aber kein Hotel, das sie aufnehmen möchte.
Ein Einzelfall? – Laut AMS suchten im Februar über 10.000 Menschen eine Lehrstelle. Sumit Kumar ist Bundesjugendsekretär bei vida, der österreichischen Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft, und betont, das Wichtigste sei, dass Ausbildungen aktuell nicht abgebrochen werden. „Jede Ausbildung ist sinnvoll. Natürlich macht es aber einen Unterschied, ob man in der Praxis draußen lernt oder in einer Lehrwerkstatt“, so Kumar. Der Sinn einer überbetrieblichen Maßnahme sei, die Lehrlinge aufzufangen, bis sie eine Lehrstelle am ersten Lehrstellenmarkt finden. „Das Problem ist, dass es diese Lehrstellen aufgrund der Hotel- und Gastronomieschließung aktuell nicht gibt.“
Brief an den Bundeskanzler
Soraya Safai Aminis weiße Turnschuhe leuchten. Wenn sie mit ernster Miene von den Problemen der Lehrlinge spricht, wirkt sie älter als 20 Jahre. Sie ist Lehrling im Hilton Wien und Schulsprecherin der Berufsschule für Gastgewerbe. Sie weiß, was die jungen Menschen rund um sie gerade beschäftigt. Sie wird von ihnen angerufen, erfährt von Existenzängsten, hört sie weinen.
In meiner Schule haben die Lehrlinge das Gefühl, nicht ordentlich von der Regierung vertreten zu werden.
Soraya Safai Amini, Schulsprecherin der Berufsschule für Gastgewerbe
Es war kurz vor Weihnachten, als es Soraya Safai Amini reichte und sie einen Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz verfasste. „In meiner Schule haben die Lehrlinge das Gefühl, nicht ordentlich von der Regierung vertreten zu werden“, schreibt die Schulsprecherin dem Kanzler. Einige Betriebe seien bereits geschlossen, die Auszubildenden würden unter psychischen Problemen leiden. Sie macht klar: „Sehen Sie diesen Brief als Hilfeschrei der Jugend!“ Auf diesen reagierte erst einmal lange niemand. Schließlich erhielt sie eine E-Mail vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort mit dem Verweis auf die Maßnahmen der Regierung – wie etwa den Lehrlingsbonus – und dem Tipp, sich an die Lehrlingscoaches zu wenden. Soraya Safai Amini enttäuscht das. „Ich hätte mir zumindest eine persönliche Antwort erwartet.“ Dass man aktuell auf die Lehrlinge vergesse, werde man noch bitter bereuen, meint sie. „Wir sind doch die so dringend gebrauchten Fachkräfte von morgen.“
Für uns wäre es denkbar, jetzt zusätzliche Lehrlinge aufzunehmen, damit sich die Betriebe für die Öffnungen rüsten und die Lehrlinge im Herbst schon etwas können.
Erich Loskot, Direktor der Berufsschule für Gastgewerbe
Schon vor der Corona-Krise herrschte ein Fachkräftemangel. So gilt der Koch beziehungsweise die Köchin in Oberösterreich, Salzburg und Vorarlberg längst als Mangelberuf. Im Jahr 2018 gaben 37 Prozent der Unternehmen an, gerne mehr Lehrlinge auszubilden, wenn sie passende Kandidat*innen finden würden. Es braucht also dringend Maßnahmen – auch ohne Corona. Aktionen wie etwa der Lehrlingsbonus seien leider nur Symptomtherapie, sagt Veronika Bohrn Mena, Arbeitsmarktexpertin und Gewerkschafterin. Man müsse sich die aktuellen Reformen so vorstellen: „Wie ein Deckel auf dem überlaufenden Topf, doch die Suppe läuft ja trotzdem aus.“
Auffangnetze
Normalerweise kommen im März immer viele neue Schüler*innen in die Berufsschule im zwölften Wiener Gemeindebezirk. „Wir haben noch Platz“, betont Direktor Erich Loskot. „Für uns wäre es denkbar, jetzt zusätzliche Lehrlinge aufzunehmen, damit sich die Betriebe für die Öffnungen rüsten und die Lehrlinge im Herbst schon etwas können.“ Wenn man fragt, wie die Stimmung an der Schule sei, antwortet der stellvertretende Direktor Christian Rußbacher: „Für die extrem angespannte Situation ist die Stimmung gut. Wir halten alle sehr zusammen. Die Schüler sind unheimlich froh, da sein zu können.“ Es gebe auch weniger disziplinäre Probleme. Die Mischung zwischen Präsenz- und Online-Unterricht stelle sie aber vor Herausforderungen.
Die Lehrlingsausbildung muss endlich modernisiert werden. Einige Lehrlinge sind schon über ein Jahr im Homeschooling, und es fehlt immer noch an den Basics.
Sumit Kumar, Bundesjugendsekretär der vida
Auch für Sumit Kumar stellt die Digitalisierung eines der größten Themen aktuell dar: „Die Lehrlingsausbildung muss endlich modernisiert werden. Einige Lehrlinge sind schon über ein Jahr im Homeschooling, und es fehlt immer noch an den Basics.“ Es brauche mehr EDV-Ausrüstung, mehr Laptops, aber auch Fördermaßnahmen. Er weist darauf hin, dass viele Lehrlinge mit Eltern zu Hause sitzen, die ihnen gar nicht helfen können. Diese Lehrlinge brauchen jetzt Unterstützung, um sich auf die Lehrabschlussprüfungen vorzubereiten.
Sehnsucht
Aktuell warten alle sehnsüchtig auf eine Öffnung. Doch auch wenn die Hotels und Restaurants wieder öffnen, muss der Tourismus zurückkommen. Bis dahin gilt es, die Zeit möglichst sinnvoll zu nutzen. Nun wäre ein guter Zeitpunkt, um seine Lehrlinge zu unterstützen, für zusätzliche Einschulungen und vor allem, um nicht auf sie zu vergessen, so Kumar. Bohrn Mena sieht die Verantwortung auch bei der Politik: „In Wirklichkeit wäre es die Aufgabe der Politik, Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und gerade die Gruppen zu unterstützen, die es aktuell besonders schwer haben.“
In Wirklichkeit wäre es die Aufgabe der Politik, Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und gerade die Gruppen zu unterstützen, die es aktuell besonders schwer haben.
Veronika Bohrn Mena, Arbeitsmarktexpertin und Gewerkschafterin
Soraya Safai Amini will weiter für die Jungen einstehen. Sie selbst freut sich darauf, die Turnschuhe bald gegen Lackschuhe tauschen zu können und endlich wieder mit Gästen zu tun zu haben. Ja, sogar auf die Beschwerden der Gäste freue sie sich, sagt sie.