Jugendliche im Schatten des Scheinwerferlichts

Inhalt

  1. Seite 1 - Psychische Belastungen
  2. Seite 2 - Lehrlinge als Schüler:inne zweiter Klasse
  3. Seite 3 - Mitgestalten und Mitentscheiden gewünscht
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Sie fühlen sich vergessen und übersehen. Gerade junge Menschen sehen sich während der Pandemie von der Politik viel zu wenig vertreten. Vier junge Menschen erzählen.

Pandemie und Lehre

Thomas Moldaschl ist Geschäftsführer des Bundesberufsausbildungsbeirats und Experte für Lehrlingswesen der AK. Er bestätigt: „Vonseiten der Regierung überwog der Eindruck, dass Maturant:innen deutlich mehr zählen als Lehrlinge.“ Arbeitsmarktpolitisch hätten viele Lehrlinge in den letzten zwei Jahren ein extremes Auf und Ab erlebt. So waren 2020 und 2021 viele auf der Suche nach einer Lehrstelle. In diesem Jahr würden nun eher die offenen Lehrstellen überwiegen – besonders stark in Bereichen wie Tourismus, Gastronomie und Handel, die sich durch geringe Bezahlung und unattraktive Arbeitsbedingungen auszeichnen würden. „Die Pandemie war vielfach ein Verstärker bestehender Trends.“ Zugleich konkurriere die Lehre mit anderen Bildungswegen um eine sinkende Anzahl an jungen Menschen. Seit Jahrzehnten gibt es den Trend, dass immer weniger Betriebe bereit sind, Jugendliche als Lehrlinge auszubilden.

Nach Lehre doch Studium

Lea Gajdusek entschied sich nach der Matura für eine Lehre im Buchhandel in Wien. Eineinhalb Jahre davon fielen in die Pandemie. „Wir haben uns in der Berufsschulklasse überhaupt nicht von der Politik vertreten gefühlt“, erzählt die heute 20-Jährige. Lange sei ihnen nicht einmal der Termin für ihre Lehrabschlussprüfung mitgeteilt worden. Zur Matura lernte Gajdusek die Textform des offenen Briefs. Zwei Jahre später beschließt sie, zusammen mit den Lehrlingen des Abschlussjahrgangs 2021 in Buch- und Medienwirtschaft in Wien diese Textform anzuwenden. Sie adressieren ihren Brief direkt an die Regierung. „Wir wollten auf uns aufmerksam machen, weil wir das Gefühl hatten, unwichtiger zu sein als alle anderen Schüler:innen.“

Für Gajdusek geht sich das nicht aus, dass man nach außen stolz auf die duale Ausbildung ist und dann auf die Auszubildenden vergisst. Sie wechselte während der Pandemie in der Wiener Buchhandlung vom täglichen Kontakt mit Menschen zum Online-Versand. „Für mich war das interessant zu sehen, wie man ein kleines Online-Geschäft ausbaut.“ Sie fühlte sich aber während der Pandemie auch oft allein gelassen.

„Mir hätte es geholfen, wenn ich face to face mit jemandem mit den gleichen Problemen sprechen hätte könnte.“ Dass ständig auf sie vergessen wurde, kann sie sich nur damit erklären, dass Menschen Entscheidungen treffen, die zu weit weg sind, um zu verstehen, was eine Berufsschule und Lehre braucht. „Man fühlt sich als junger Mensch sowieso nicht gehört. Es wäre wichtig, dass wir mitentscheiden können, denn wir wissen, was wir brauchen.“ Lea Gajdusek ging nach dem Abschluss ihrer Lehre ihrer zweiten großen Leidenschaft nach: Gletscher, Eis, Schnee und Klima. Sie studiert nun Atmosphärenwissenschaften in Innsbruck.

Dass ständig auf sie vergessen wurde, kann sich Lea Gajdusek nur damit erklären, dass Menschen Entscheidungen treffen, die zu weit weg sind, um zu verstehen, was eine Berufsschule, die Lehre und Jugendliche brauchen.

Auch Jugendliche mitdenken

Christina Ritter ist Bundesjugendsekretärin der Gewerkschaft vida. Sie ist direkt in den Berufsschulen, in den Betrieben und überbetrieblichen Einrichtungen, die junge Menschen für die Tourismusberufe ausbilden. „Junge Menschen waren und sind von der Pandemie definitiv am stärksten betroffen gewesen“, sagt sie. „Was ich aber in meiner täglichen Arbeit mit jungen Menschen immer wieder sehe und spüre, ist die Energie, das eigene Leben in die Hand zu nehmen und etwas daraus zu machen, und ein optimistischer Blick in die Zukunft, so schwierig dieser auch manchmal erscheint.“ Gerade in den Betrieben und in den Schulen seien ihnen der Rückhalt und das Miteinander sehr wichtig. „Es wurde viel zu selten an alle gedacht, viel zu selten wurden alle Betroffenen mit eingebunden.“ Die Folge könnte möglicherweise sein, dass Jugendliche zu wenig Perspektive sehen, den erlernten Beruf weiter auszuüben. „Wer Fachkräfte will, muss sie auch ausbilden wollen.“

Wer Fachkräfte will, muss sie auch ausbilden wollen. 

Christina Ritter, Bundesjugendsekretärin der Gewerkschaft vida

Dass in der Zukunft endlich anders mit den jungen Menschen umgegangen werden muss, zeigt sich immer deutlicher. Die Forderungen dazu liegen auf dem Tisch. Damit sich endlich etwas ändert, braucht es einen stärkeren Ausbau der psychosozialen Versorgung, bessere Ausbildungsbedingungen und mehr Mitspracherecht für die Jugendlichen. Dazu zählt auch die Forderung des Wahlrechts für in Österreich geborene und sich dauerhaft aufhaltende Jugendliche. Expertin Schmid betont noch einmal, wie wichtig es wäre, Jugendlichen Stimme und Perspektive zu geben. „Wir müssen Jugendliche ernst nehmen und an Lösungen mitarbeiten lassen. Sie sind schließlich die Hauptbetroffenen der folgenschweren Entscheidungen von heute.“

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Über den/die Autor:in

Eva Reisinger

Freie Journalistin und Autorin in Wien. Sie schrieb für den ZEIT-Verlag über Österreich, Feminismus & Hass. War Korrespondentin und lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählte euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist.

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