Reportage: Interessenvertretung hautnah

Foto (C) MIchael Mazohl
„Ursprünglich wurde uns zugesichert, dass sich für mich und meine drei Kollegen nichts ändern wird. Dann wurden wir alle gekündigt, und die Wiedereinstellung zu deutlich schlechteren Bedingungen wurde uns angeboten.“
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Inhalt

  1. Seite 1 - Telefonischer Kontakt
  2. Seite 2 - Persönliche Beratung
  3. Seite 3 - Vor Gericht
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Ob am Telefon, im Internet, bei persönlichen Beratungen in der Prinz-Eugen-Straße oder vor Gericht: Tag für Tag bietet die AK ihren Mitgliedern punktgenaue Serviceleistungen. Arbeit&Wirtschaft blickte hinter die Kulissen.
Vergleichsweise unscheinbar wirkt das Arbeits- und Sozialgericht in der Althanstraße, jedenfalls im Vergleich zum riesigen Gebäudekomplex von Wirtschaftsuniversität und Franz-Josephs-Bahnhof auf der anderen Straßenseite. Im Inneren erinnert praktisch nichts mehr an das WU-Institut, das lange Zeit hier untergebracht war. Wer in einem der 31 Verhandlungssäle einen Termin hat, sollte nicht allzu knapp dran sein, denn im Eingangsbereich muss man ähnlich wie am Flughafen Taschen und Metallgegenstände abgeben und anschließend durch eine Sicherheitsschleuse gehen. Danach folgt die Taschenkontrolle: „Haben Sie eine Feile oder Schere mit?“ Wir nicht. Doch 2017 wurden österreichweit an ordentlichen Gerichten und Staatsanwaltschaften 278.600 Waffen, gefährliche Gegenstände etc. abgenommen.

Wir haben den „Checkpoint“ passiert und gleich dahinter im Café-Bereich wartet Harald S. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) mit seiner Vertreterin, AK-Juristin Marion Chwojka, auf den Beginn seiner Verhandlung. Sichtlich nervös und angespannt fasst er kurz zusammen, warum er heute hier ist. Fast 25 Jahre hindurch war er als Platzwart im Freizeitzentrum eines Großunternehmens angestellt. Dann wurde der betreibende Verein von einer Immobilienverwaltungsgesellschaft übernommen, weil die Einrichtungen für die Allgemeinheit geöffnet werden sollten. „Ursprünglich wurde uns zugesichert, dass sich für mich und meine drei Kollegen nichts ändern wird. Nur wenige Wochen später hieß es, dass bei mir nicht mehr länger der Gastgewerbe-Kollektivvertrag gelten wird. Ich sollte in Zukunft ohne KV arbeiten.“ Das wäre eine deutliche Schlechterstellung gewesen, erklärt AK-Arbeitsrechtlerin Chwojka – nicht nur, weil man ohne KV jedes Jahr selbst verhandeln muss, sondern auch, weil Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld nicht gesetzlich verankert, sondern Teil des Kollektivvertrages sind.

Kein Einzelfall

Harald S. schaut unruhig auf die Uhr und erzählt weiter: „Dann wurden wir alle gekündigt. Die Wiedereinstellung zu schlechteren Bedingungen wurde uns angeboten. Bei mir hätte das unter anderem bedeutet, dass ich in Zukunft an verschiedenen Standorten eingesetzt werden könnte.“

Für Marion Chwojka ist das ein typischer Fall: „Verschlechterungen im Zusammenhang mit Betriebsübergängen kommen sehr häufig vor, obwohl im Gesetz genau geregelt ist, dass Beschäftigte mit allen Rechten und Pflichten übernommen werden müssen. Auch Kündigungen kurz vor dem letzten Abfertigungssprung nach 25 Jahren sind alles andere als selten.“

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„Verschlechterungen im Zusammenhang mit Betriebsüber­gängen kommen sehr häufig vor, obwohl im Gesetz genau geregelt ist, dass Beschäftigte mit allen Rechten und Pflichten übernommen werden müssen. Auch Kündigungen kurz vor dem letzten Abfertigungssprung nach 25 Jahren sind alles andere als ­selten.“

Jetzt öffnet sich die Tür von Verhandlungssaal 16 und wir treten ein. Schon bald stellt sich heraus, dass es heute weder ein Urteil noch einen Vergleich geben wird. Denn es handelt sich nur um eine vorbereitende Tagsatzung, an deren Ende der Richter die Anklageschrift in sein Diktiergerät spricht. Der nächste Verhandlungstermin: 6. Dezember, also in mehr als drei Monaten.

Alle Verfahren am Arbeits- und Sozialgericht sind öffentlich; neben dem Richter oder der Richterin bilden jeweils ein/e stimmberechtigte/r VertreterIn von AK und Wirtschaftskammer den Senat. Doch Gerichtsverfahren sind eigentlich das letzte Glied in der Kette von AK-Serviceleistungen. Denn sie sind zeitaufwendig, und das bedeutet, dass die Betroffenen unter Umständen lange auf ihr Geld bzw. ihr Recht warten müssen.

1. Der telefonische Kontakt

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Pro Jahr werden am Arbeits- und Sozialgericht in Wien-­Alsergrund mehr als 15.000 Verfahren durchgeführt. Es ist österreichweit das einzige Gericht mit dieser Speziali­sierung. In den ­Bundesländern sind dafür die Landes­gerichte zuständig.

„Telefonisch gut erreichbar zu sein ist wichtig“, erklärt Hans Trenner, Leiter des Bereichs Arbeitsrecht-Beratung und Rechtsschutz in der AK Wien. „Längere Wartezeiten wollen wir unseren Mitgliedern nicht zumuten. Wir haben es jetzt geschafft, dass rund 80 Prozent der Anrufenden prompt durchkommen und auch zum richtigen Ansprechpartner.“ Ein Teil der Anfragen ist mit dieser ersten Auskunft auch erledigt. Viele Ratsuchende sind schon vorinformiert via Internet. Auf der AK-Website stehen unter anderem Musterbriefe als Download zur Verfügung. Onlineanfragen nehmen zu, doch komplexe juristische Sachverhalte lassen sich in der Regel telefonisch oder persönlich besser klären. In welcher Form auch immer die Beratung erfolgt: „Wir arbeiten nach dem Grundsatz ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Damit sollen Mitglieder in die Lage versetzt werden, ein Problem, das sie mit der AK erörtert haben, beim nächsten Anlassfall gleich selbst richtig in Angriff nehmen zu können“, so Trenner. Falls das nicht möglich ist, können die AK-ExpertInnen intervenieren. Das führt in rund 50 Prozent der Fälle auch tatsächlich zum Erfolg.

2. Persönliche Beratung

Wenn nötig, dann ist auch sofortiges Eingreifen direkt nach der ersten Kontaktaufnahme mit der AK möglich. Das ist allerdings selten der Fall. Ratsuchende erhalten normalerweise innerhalb von ein bis zwei Wochen einen Termin. In der Regel ist diese Wartezeit auch sinnvoll, weil sie eine Art „Abkühlphase“ für die Betroffenen darstelle, erklärt Hans Trenner und appelliert an die Geduld. „Wir können die Emotionen zwar gut verstehen, als Juristen aber wenig damit anfangen. Mit einigen Tagen Abstand können die Probleme dann wesentlich sachlicher dargestellt und mit unseren ExpertInnen entsprechend besprochen werden.“ Neben Einzelberatungen, die im Normalfall rund 30 Minuten dauern, werden auch Gruppenberatungen zu bestimmten Themen wie etwa Schwangerschaft, Karenz oder Teilzeit angeboten.

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Seit 2009 setzt sich AK-Jurist Hans ­Trenner als Leiter des Bereichs Arbeits­recht-Beratung und Rechtsschutz für mehr Gerechtigkeit ein: „Im Allge­meinen sind ­UnternehmerInnen gut im Verhandeln, dadurch sind sie gegenüber den meisten ArbeitnehmerInnen im Vorteil. Auch dieses Ungleichgewicht auszugleichen, das ist die Aufgabe der AK-ExpertInnen.“

Eindeutig unerfreulich ist der Anlass, aus dem sechs (ehemalige) Mitarbeiter einer Baufirma auf einer Bank im Wartebereich der Arbeiterkammer Wien sitzen. Sie sind gemeinsam zu einer Gruppenberatung gekommen, weil sie nach einem Betriebsübergang praktisch über Nacht ihre Jobs verloren haben. „Außer uns sind noch einige andere Kollegen betroffen, die waren heute verhindert“, erzählt der Techniker und Bauleiter Michael K. (Name von der Redaktion geändert, Anm.) „Manche waren schon mehr als 20 Jahre beim alten Unternehmen angestellt. Kurz nachdem der Juniorchef am Ruder war, wurde der Betrieb verkauft, an wen wissen wir nicht. Dann wurden alle gekündigt.“ Ausständig sind noch die Löhne und Gehälter für mehrere Monate. Der neue Eigentümer ist unbekannt und Briefe an den früheren Besitzer kommen als unzustellbar wieder zurück. „Wir wollen das Geld, das uns zusteht, und gehen dafür falls nötig auch vor Gericht, mit Unterstützung der Arbeiterkammer.“

Rechtzeitig schlaumachen

2017 haben die AK-ExpertInnen österreichweit rund zwei Millionen Beratungen durchgeführt, darunter mehr als 1,3 Millionen in arbeits-, sozial- und insolvenzrechtlichen Fragen. Wichtig sei, so Trenner, dass Betroffene im Konfliktfall nicht zu lange zögern, bevor sie sich beraten lassen. „Sich rechtzeitig schlauzumachen ist auch wichtig, damit nicht womöglich irgendwelche Fristen versäumt werden.“ Wird etwa gegen eine Kündigung in Zusammenhang mit einem Betriebsübergang nicht zeitnah Einspruch erhoben, kann dies vom Arbeitgeber als stillschweigendes Einverständnis gewertet werden.

Aus welchen Branchen kommen die meisten Ratsuchenden? Seit mehr als 25 Jahren ist das Bau(neben)gewerbe führend. Es gibt Probleme mit undurchsichtigen Konstruktionen in Verbindung mit Subunternehmen, Konflikte in Zusammenhang mit Konkursen und Betriebsübergängen. Die Beschäftigten sind oft gut bezahlt, aber nicht angemeldet. Auf Platz zwei liegt das Gastgewerbe. 80 Prozent der Mitglieder, die sich an die AK wenden, wurden schon längere Zeit nicht korrekt entlohnt oder angemeldet. „Viele Beschäftigte nehmen das so lange in Kauf, bis es zu einem akuten, oft persönlichen Konflikt kommt, der sozusagen das Fass zum Überlaufen bringt“, berichtet Trenner. An dritter Stelle der Hitliste für schwarze Schafe findet sich der Handel. Typisch in diesem Bereich sind unbezahlte Überstunden. Und nicht selten ist es schwierig, überhaupt festzustellen, wer eigentlich der Arbeitgeber ist.

Nach wie vor sei in diesen Branchen illegales Vorgehen an der Tagesordnung: „Köche werden nicht angemeldet, sondern bekommen nach zwölf oder mehr Stunden 90 Euro bar auf die Hand. VerkäuferInnen sind offiziell geringfügig beschäftigt und arbeiten regelmäßig wesentlich länger. Daher ist auch die 12-Stunden-Regelung so problematisch. Denn im Falle von unbezahlten Überstunden unter zwölf Stunden müssen Betriebe jetzt jedenfalls den Arbeitsinspektor nicht mehr fürchten, weil dies ja keine Übertretung im Sinne des Arbeitszeitgesetzes darstellt.“ Im Übrigen steht jeder dritte Fall von unbezahlten Überstunden, Nichtmeldung und Ähnlichem in Zusammenhang mit allgemeinen Zahlungsschwierigkeiten der Arbeitgeber. Nicht selten stellen daher die Krankenkassen oder die AK selbst Konkursanträge.

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Seit mehr als
25 Jahren kommen die meisten Rat­suchenden aus dem Bau(neben)gewerbe. Es gibt Probleme mit undurchsichtigen Konstruktionen mit Sub­unternehmen, Konflikte in Zusammenhang mit Konkursen und Betriebsübergängen. Die Beschäftigten sind oft gut bezahlt, aber nicht angemeldet.

3. Vor Gericht

Rund 231,9 Millionen Euro haben die Arbeiterkammern im Jahr 2017 für die Mitglieder in Arbeits- und Insolvenzrechtsangelegenheiten sowie im KonsumentInnenschutz herausgeholt – den größten Teil davon, nämlich 191,7 Millionen Euro vor Gericht und Behörden. Soweit die nüchternen Zahlen. Doch Gerichtsverfahren sind nicht nur mit Geld verbunden, sie kosten auch Zeit und Nerven. Für den oder die durchschnittliche/n ArbeitnehmerIn bedeutet es Stress, sich mit Gesetzestexten, ungewohnten juristischen Fragen und Spitzfindigkeiten zu beschäftigen, für die eigenen Rechte einzutreten, schließlich vor Gericht zu stehen. Nicht selten liegen die Nerven schon länger blank, weil es im Vorfeld Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz gab, Anfeindungen und psychischen Druck. Dazu kommt oft noch die persönliche Enttäuschung nach vielen Jahren Engagement für den Betrieb, mit Überstunden und Arbeiten trotz Krankheit. Häufig ist das Verhältnis zu manchen KollegInnen ebenfalls angespannt. Auch Platzwart Harald S. konstatiert, dass die Auseinandersetzungen „auf die Psyche“ geschlagen haben. Seine Gedanken kreisen auch in der Freizeit immer wieder um seine Arbeitsplatzsituation.

Weil im Allgemeinen Unternehmer gut im Verhandeln sind, sind sie gegenüber den meisten ArbeitnehmerInnen im Vorteil. Dieses Ungleichgewicht auszugleichen ist auch die Aufgabe der AK-ExpertInnen. Anderen AnwältInnen ist das normalerweise kein Anliegen, sie stehen immer auf der Seite ihrer MandantInnen – egal ob ArbeitnehmerIn oder Arbeitgeber.

Michael Mazohl
Gruppenberatung mit Handwerkern: „Können mich alle verstehen?“ Dank der Mehrsprachigkeit des AK-Arbeits­rechtsexperten ­Admir Bajric können die Ansprüche der sechs Männer rasch geklärt und entsprechende Schritte eingeleitet werden.

Langjährige Zusammenarbeit

Die Gerichtsverfahren werden nur zu rund 20 Prozent von AK-JuristInnen bestritten, die hauptsächlich bei rechtlich relevanten Verfahren eingesetzt werden. Die restlichen 80 Prozent erfolgen in Kooperation mit ArbeitsrechtsexpertInnen. Durch die meist langjährige Zusammenarbeit kann die AK auch ausgewiesene SpezialistInnen wie etwa für Arbeitsrechtsprozesse im Baubereich vermitteln.

Durch die konsequente Parteilichkeit können die von der AK eingesetzten JuristInnen mit ihrer Expertise eine Leistung bieten, die für die Mitglieder sonst so nicht abrufbar wäre. Nicht nur weil für die meisten Betroffenen ein Gerichtsverfahren ein zu großes finanzielles Risiko bedeuten würde, sondern auch weil sich die Fachleute der AK im Arbeitsrecht so gut auskennen wie nur wenige SpezialistInnen unter den AnwältInnen. Und selbst wer es sich finanziell leisten kann: Wie soll jemand wissen, welcher Anwalt bzw. welche Anwältin tatsächlich ausreichend Erfahrung im Arbeitsrecht hat?

„Unsere ExpertInnen“, so Hans Trenner, „haben den Vorteil, dass sie immer auf der Seite der Beschäftigten stehen, während andere ArbeitsrechtsexpertInnen schließlich auch Unternehmer bei Prozessen vertreten. Unsere Mitglieder bekommen also punktgenau das, was sie brauchen. In der Beratung erhalten sie Orientierung im Arbeitsrecht und in den späteren Stadien geht es darum, rechtzeitig genau das zu tun, was für die Rechtsdurchsetzung nötig ist.“

Auf diese Weise ist es möglich, dass von Insolvenzen Betroffene meist innerhalb weniger Wochen zu ihrem Geld kommen. So haben beispielsweise nach der Zielpunkt-Insolvenz alle Beschäftigten innerhalb von drei Wochen auch ihr rückständiges Geld bekommen.

Für die AK ist es egal, ob es in einem Verfahren darum geht, dass ein Arbeiter endlich wieder seinen Lohn bekommt oder ob ein leitender Angestellter in einer kniffligen Rechtsfrage per Gerichtsurteil eine Klärung seiner beruflichen Lage erreichen will. Es geht darum, punktgenau die Leistung zu bringen, die die Menschen brauchen. Dazu zählt auch die Beratung, ob ein Gerichtsverfahren überhaupt sinnvoll ist oder eine kurzfristige außergerichtliche Einigung nicht besser wäre. Hans Trenner nennt ein aktuelles Beispiel: „Der erste Prozess in Zusammenhang mit der Fusion zweier österreichischer Fluglinien wurde 1994 eingeleitet. Hier gab es vor wenigen Monaten ein Urteil über die Gehaltsfragen. Die Frage der Pensionsansprüche ist für die betroffenen Piloten allerdings noch immer nicht geklärt.“

Von
Astrid Fadler

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.

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