(K)eine Endstation für Ex-Häftlinge
„Straße der Verlierer?“, fragt das Schild am Eingang des „’s Häferl“ in der Nähe der U4-Station Margaretengürtel in Wien. „’s Häferl“-Leiter Norbert Karvanek würde diese Frage eindeutig mit Nein beantworten. 220 Gäste werden dort pro Tag gratis bewirtet. Karvaneks Motto: „Ich bin kein Sozialarbeiter, ich bin ein Armenwirt.“
„’s Häferl“ wurde vor fast 30 Jahren von der evangelischen Gefangenenseelsorgerin Gerlinde Horn gegründet.
Eines der größten Probleme von Häftlingen, die mehrere Jahre abzusitzen hatten, ist, dass sie nicht nur Arbeit und Wohnung, sondern auch ihr soziales Umfeld verlieren. „Übrig bleiben oft nur die Eltern, und die sterben meistens weg“, so Karvanek. Um solche Menschen kümmerte sich Gerlinde Horn erst in ihrer Wohnung und später in der Tagesstätte „’s Häferl“. „Wir sind so etwas wie die ‚evangelische Gruft‘. Hier arbeiten nur Ehrenamtliche, nur ich bin fix für zwölf Stunden angestellt.“
Laut Karvanek kommt ein Problem selten allein: „Obdachlose kommen leichter in Haft, Ex-Häftlinge werden leichter obdachlos.“ Ihnen fehle es an Betreuung, auch wenn sich die Verhältnisse diesbezüglich gebessert haben. Norbert Karvanek ist seit 15 Jahren fixer Bestandteil der „Häferl“-Crew. Die Einrichtung habe er durch Zufall kennengelernt: „Ich habe einen verrückten Künstler getroffen, mit dem habe ich Backgammon gespielt. Einmal haben wir gesagt: ‚Treffen wir uns im Häferl, dort ist der Kaffee billiger.‘“ Sein Freund sei nicht gekommen, aber er lernte dort Gründerin Gerlinde Horn kennen. Nach einem Gespräch mit ihr fasste Karvanek, der selbst sieben Jahre in Haft gewesen war, einen Entschluss: „Ich habe mir gesagt: ‚Norbert, du hast jetzt 20 Jahre am Stammtisch dahergeredet. Jetzt kannst du was tun!‘“
Im Jahr 2002 ging Gerlinde Horn in Pension, Norbert Karvanek übernahm und entwickelte das Angebot weiter. „In erster Linie sind wir ein Wirtshaus. Die Menschen fragen uns auch nach Gewand und Schuhen.“ Vor allem das Schuhwerk sei bei Obdachlosen immer wieder Thema. „Obdachlose brauchen ständig Schuhe. Wer wohnungslos ist, zieht diese auch in der Nacht nicht aus oder er hat sie im Schlafsack. Dadurch leidet das Schuhwerk mehr.“ Einmal im Monat bietet „’s Häferl“ gemeinsam mit seiner Trägerin, der Diakonie Wien, eine Sozialberatung an: „Hier wird der Erstkontakt zu den Menschen hergestellt.“
Unterschiedlicher Umgang
Laut Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie Wien, dreht es sich bei diesen Gesprächen häufig um Wohnprobleme wie Mietrückstände, gesundheitliche Nöte sowie den Verlust des Jobs oder der Mindestsicherung. Menschen gehen auf verschiedene Arten mit Wohnungsnot um, so Schenk: Frauen versuchen, irgendwo unterzukommen, bleiben auch in schwierigen Beziehungen, um sich den Wohnraum zu sichern.
Manches Ehepaar würde sich gerne scheiden lassen, bleibt jedoch zusammen, weil einer allein sich keine Wohnung leisten kann. Die Zahl an illegalen Substandard-Wohnungen steige: „Durch Arbeitsmigration aus Rumänien und Bulgarien gibt es viel Schwarzarbeit. Die Menschen leben ‚unsichtbar‘ in solchen Wohnungen. Dazu kommen Menschen aus dem Nahen Osten, die sich mit ihrem Einkommen am Wohnungsmarkt schwertun. Die geraten dann an Ausbeuter.“ Das Angebot an leistbarem Wohnraum müsse steigen, fordert Schenk. Die öffentliche Hand solle leistbaren Baugrund zur Verfügung stellen. Schenk betont die Wichtigkeit einer Delogierungsprävention: „In Wien gibt es hier bereits gute Entwicklungen. Diese braucht es flächendeckend in ganz Österreich.“
Jahrelang ging die etablierte Sozialarbeit davon aus, dass Menschen in einer Lebenskrise Wohnen erst wieder schrittweise erlernen müssten. Dafür wurden Übergangswohnangebote geschaffen. „Das ‚Housing First‘-Prinzip hingegen setzt auf Eigenverantwortung“, sagt Neunerhaus-Geschäftsführer Markus Reiter. Eigenständiges Wohnen steht im Vordergrund, die dazugehörige Betreuung richtet sich nach individuellen Bedürfnissen der Betroffenen. „Wenn jemand in einer Lebenskrise ist oder Unterstützung braucht, kann er das am besten in einer eigenständigen Wohnform bewältigen. Zwischenschritte wie betreutes Wohnen braucht es nicht, Menschen können von Beginn an wohnen“, sagt Reiter. Ist die Betreuung abgeschlossen, können die KlientInnen – anders als bei anderen Einrichtungen – in der Wohnung bleiben und müssen nicht wieder umziehen. „Es geht darum, Betreuung und Wohnform klar zu trennen. Das ist der Knackpunkt.“ Derzeit habe das Neunerhaus etwa 110 Wohneinheiten an Bedürftige vermittelt. Von diesen haben 97 Prozent ein aufrechtes Mietverhältnis, die meisten davon haben laut Reiter auch die Betreuung bereits abgeschlossen: „Diese Erfolgsquote ist beachtlich.“