Eine App wird zum Kollegen
Technologisch betrachtet ist der Chatbot „Albert Patent Bot“ eine App, die sich aus mehreren kleineren, miteinander kommunizierenden Apps zusammensetzt, darunter eine Suchfunktionalität, eine Datenbank und ein Thesaurus. Für die MitarbeiterInnen im Callcenter des Patentamts ist Albert keine App, sondern „vom Prinzip her ein weiterer Kollege“, wie es Mandl ausdrückt. Auch die MarkenschützerInnen greifen für einfache Abfragen immer häufiger selbst auf Albert zu. „Albert arbeitet 24 Stunden täglich, an sieben Tagen in der Woche“, ergänzt Mandl. Damit kommt er auch etwaigen Start-up-GründerInnen entgegen, denn deren Bürozeiten weichen oft von jenen des Patentamts ab.
Albert ist nun seit rund einem Jahr im Patentamt tätig. In Zahlen gemessen hat er rund 6.600 Beratungsgespräche geführt, mit einer durchschnittlichen Dauer von siebeneinhalb Minuten. Dabei hat er rund 12.000 Fragen beantwortet. Umgerechnet auf Arbeitstage entspricht das einer Teilzeitstelle mit 17,5 Stunden pro Woche. Durch begleitende Werbemaßnahmen steigt die Nutzung, sein Potenzial ist praktisch nur technisch durch Serverkapazitäten begrenzt.
Albert hat gerade eine Weiterbildung oder technisch ausgedrückt ein Update erhalten: Seit Mitte Mai kennt er neue Usecases – dazu gehören die Abfrage von Förderungen und der Hinweis auf Seminarangebote.
Der Chatbot, das kleine Kind
Die Idee für einen Chatbot im Patentamt entstand im Rahmen eines internen Workshops im Dezember 2016. „Wir haben uns die Frage gestellt: Wie können wir neue Technologien für das Patentamt nutzen? Da sind wir sehr schnell auf Chatbots gekommen.“ Mit der Umsetzung des Projekts wurde die „Chatbots Agency“ rund um die Wiener Informatikerin Barbara Ondrisek beauftragt. Gemeinsam wurde der Name „Albert“ gefunden, mit Bezug zu Albert Einstein, der als Angestellter im Patentamt in Bern die Relativitätstheorie entwickelt hat. Zur Auflockerung wird Albert deshalb auch programmiert, zwischen der teils trockenen Materie Physikerwitze zu erzählen.
Wenn ich gefragt werde, ob Chatbots Menschen ersetzen, sage ich immer: ,Nein!‘ Vielmehr geht es um einen Shift von Anfragen in eine bestimmte Richtung.
Barbara Ondrisek, Chatbot Agency
Auch Ondrisek sieht den Sinn von Chatbots in der Ergänzung eines bestehenden Beratungsangebots: „Wenn ich gefragt werde, ob Chatbots Menschen ersetzen, sage ich immer: ,Nein!‘ Vielmehr geht es um einen Shift von Anfragen in eine bestimmte Richtung.“ Im Fall des Patentamts etwa wurde der Zero-Level-Support durch einen Chatbot überhaupt erst möglich. Deshalb ist Albert für die Informatikerin auch ein gutes Beispiel für die Herausforderungen, die ein Einsatz von Chatbots mit sich bringt. Denn weil sie mit normaler Sprache kommunizieren, wird von ihnen oft eine Intelligenz erwartet, die sie gar nicht besitzen. „Je klarer kommuniziert und abgegrenzt ihr Anwendungsgebiet ist, umso besser funktionieren sie“, so Ondrisek. Genau das ist bei Albert gegeben.
Albert vergleicht sie dabei – wie alle Chatbots – mit einem kleinen Kind. Er wird aufgezogen, seine Fähigkeiten werden ständig trainiert und weiterentwickelt. Sie gibt zudem zu bedenken: Nicht nur Chatbots allgemein müssen lernen, die Anfragen von UserInnen zu verarbeiten, sondern umgekehrt müssen sich UserInnen daran gewöhnen, Anfragen an Chatbots zu richten. Dazu erzählt sie eine Anekdote: „Bei einem Telekomanbieter war nach der Einführung eines Chatbots die häufigste Anfrage: ,Wie lautet die Nummer der Telefonhotline?‘“
Neue Berufsbilder
Das Team um Ondrisek ist als ARGE organisiert, mit ihr als Geschäftsführerin. Es ist eine Gruppe von selbstständigen Einzelunternehmen, die vernetzt höchst komplexe Aufgabenstellungen bearbeiten. Ein gemeinsames Büro gibt es nicht, Meetings finden in hippen Cafés statt. Nicht zufällig: Das Prestigeprojekt der Chatbots Agency ist „Mica, the Hipster Cat“, ein Chatbot, der ortsbezogen Tipps zu Szenecafés und trendigen Restaurants gibt. Die „Hipster Cat“ zeigt auch das Potenzial für einen spezialisierten Chatbot auf: Sie führt 250.000 Gespräche im Monat und bearbeitet damit 450-mal so viele Anfragen wie „Albert Patent Bot“. Ondrisek gibt allerdings zu bedenken, dass der Vergleich keinen Sinn macht: „Wichtig ist, dass der Chatbot seinem Publikum und Umfeld entspricht. Albert Bot ist beispielsweise in der Ansprache per Sie, die Hipster Cat per Du.“
Wichtig ist, dass der Chatbot seinem Publikum und Umfeld entspricht. Albert Bot ist beispielsweise in der Ansprache per Sie, die Hipster Cat per Du.
Barbara Ondrisek, Chatbot Agency
Die Entwicklung und der Einsatz dieser neuen Technologien lässt neue Berufe entstehen, auch innerhalb der Chatbots Agency. Damit der Dialog mit den UserInnen gut gelingt, wurde ein eigenes Berufsbild entwickelt: der/die „DialogdesignerIn“. Das Anforderungsprofil kombiniert verschiedene Kenntnisse, von Linguistik über Programmierung bis zur Psychologie. Klar ist: Das neue Berufsbild ist ein sehr hoch qualifiziertes, interdisziplinäres, das noch in keiner etablierten Ausbildungslaufbahn erlernbar ist. Die Geschwindigkeit, mit der diese neuen Qualifikationsprofile entstehen und sich auch wieder verändern, stellt Arbeitsmarkt und Bildungspolitik vor Herausforderungen.
Chatbots werden zu neuen Kollegen in der Arbeitswelt. In der Medienwelt wirbeln andere Player den Markt um das rare Gut Aufmerksamkeit auf. Sie werden „InfluencerInnen“ genannt und erreichen in sozialen Medien teilweise weit mehr Menschen, als mit traditionellen Leitmedien wie Radio, TV, Print und ihren Online-Kanälen angesprochen werden könnten. Damit ziehen sie auch das Interesse der Werbewirtschaft auf sich, und zwar zum Nachteil von klassischen Medien. Als InfluencerInnen werden einzelne Personen bezeichnet, die mit ihren Blogs und in Social-Media-Kanälen wie Instagram, YouTube, Pinterest und natürlich Facebook eine große Anzahl von FollowerInnen an sich binden. Ihre Themen sind auf den ersten Blick unpolitisch. Doch sie ziehen die Aufmerksamkeit gerade junger Menschen massiv auf sich und verändern die Gewohnheiten ihres Medienkonsums. Das macht es für politische AkteurInnen wie Gewerkschaften und AK notwendig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bei genauerem Hinsehen wird zudem deutlich, dass sie sehr wohl gesellschaftspolitisch relevant sind.