Reportage: Erntehelfer. Es geht um das Mindeste

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Erntearbeit gibt es, seit es Menschen gibt. Bis heute ist sie wichtig für die Versorgung mit Lebensmitteln. Gleichzeitig wird die Arbeit auf dem Feld oft lächerlich gering entlohnt. Auch in Österreich.

Keine genauen Zahlen

Genaue Zahlen zur Anzahl der Saisonkräfte liegen nicht vor, erklärt Sónia Melo: „Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele ErntearbeiterInnen überhaupt in Österreich tätig sind. Die Gewerkschaft schätzt, dass österreichweit jedes Jahr ungefähr 10.000 Menschen im Ernteeinsatz sind.“

EU-BürgerInnen saisonal anzustellen ist bürokratisch recht unkompliziert. Allein für BürgerInnen des EU-Mitgliedstaates Kroatien ist der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt noch beschränkt. ArbeiterInnen aus Staaten außerhalb der EU für den Ernteeinsatz anzustellen verursacht für landwirtschaftliche Betriebe mehr Aufwand. Senol Alic meint, das sei den meisten Betrieben zu kompliziert. Denn für Beschäftigte aus Drittstaaten ist eine Beschäftigungsbewilligung des AMS nötig. Und die wird nur in bestimmter Anzahl erteilt. Denn für SaisonarbeiterInnen von außerhalb der EU legt das Arbeits- und Sozialministerium Kontingente fest. 2017 durften österreichweit nur 2.510 SaisonarbeiterInnen aus Drittstaaten in Österreich beschäftigt werden – und das nur maximal sechs Monate lang. Ein zweites Kontingent betrifft kurzfristig beschäftigte ErntehelferInnen, die nur sechs Wochen in Österreich beschäftigt werden dürfen – also während des Höhepunkts der Erntesaison. Im Jahr 2017 wurde diese Quote mit 375 festgelegt. Für beide Quoten gilt dabei jeweils ein Verteilungsschlüssel für die einzelnen Bundesländer, der an Faktoren wie die lokale Arbeitslosigkeit angepasst wird. Bereits in Österreich lebende AsylbewerberInnen wurden 2017 bei der Erteilung der Beschäftigungsbewilligungen bevorzugt behandelt – genau wie kroatische StaatsbürgerInnen. Für Saisonkräfte aus anderen Drittstaaten wie Bosnien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien oder auch der Ukraine ist der Zugang zum Arbeitsmarkt somit auch in der Saisonarbeit stark eingeschränkt. Eine weitere Ausnahme stellen sogenannte registrierte Stammsaisonniers dar. Das sind ErntehelferInnen aus Drittstaaten, die in den vergangenen Jahren wiederholt durch österreichische Betriebe beschäftigt waren. Sie fallen nicht unter die Bevorzugungsregelung und das festgelegte Kontingent.

Der eingeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt führt auch dazu, dass auf österreichischen Feldern immer wieder Menschen in prekärer Aufenthaltssituation arbeiten. Für ihre Rechte setzt sich UNDOK ein, die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender.

Es bleibt die Frage, wie man als KonsumentIn selbst dazu beitragen kann, dass ErntehelferInnen so entlohnt und behandelt werden, wie es ihnen zusteht. Das ist nicht einfach. Schließlich kann man dem Gemüse im Supermarkt nicht ansehen, unter welchen Bedingungen es geerntet wurde – und in der Gastronomie schon gar nicht.

Aber: Es gibt Gütesiegel. Zum Beispiel das AMA-Gütesiegel von Agrarmarkt Austria. Es schreibt landwirtschaftlichen Betrieben in seinen Richtlinien vor, einen Verantwortlichen zu benennen, der sich um „Einhaltung und Umsetzung bezüglich Gesundheitsschutz, Sicherheit und Wohlbefinden der Dienstnehmer (laut der bestehenden Gesetzgebung)“ kümmert. Jährlich dokumentierte Mitarbeiterbesprechungen sind ebenfalls vorgeschrieben. Außerdem heißt es in den Kriterien zur Vergabe des Gütesiegels: „Die Unterkünfte für die Dienstnehmer am Betrieb müssen bewohnbar sein (Dach, Fenster, Türen etc. intakt) und über Trinkwasser, Toiletten, Abflüsse und Elektrizität verfügen.“

Foto (C) Robert Newald / picturedesk.com

Angst vor Skandalen reicht nicht

Gewerkschaftssekretär Senol Alic ist überzeugt, dass viele landwirtschaftliche Betriebe sich sehr genau an die Bestimmungen zur Versorgung und Bezahlung ihrer ErntehelferInnen halten. Und er erklärt, dass auch mehr und mehr Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie Wert darauf legen, dass ihre Zulieferbetriebe und Vertragsbauern sich an geltende Regeln halten. Schließlich scheuen es Lebensmittelfirmen, mit Skandalen rund um Ausbeutung in Verbindung zu geraten. Damit prekäre Arbeit vollends aus der Landwirtschaft verschwindet, wird aber die Angst vorm aufgeflogenen Skandal nicht reichen. Dafür ist letztlich wohl ein groß angelegter Wandel nötig, an dessen Ende eine Landwirtschaft steht, die sich nicht als System zur möglichst billigen Produktion auf Effizienz getrimmter Lebensmittel versteht. Schließlich sind es nicht nur ArbeiterInnen, die von einer Dumping-Landwirtschaft ausgebeutet werden, sondern auch die natürlichen Ressourcen und am Ende die BäuerInnen selbst.

Der Autor Thomas Stollenwerk ist Chefredakteur des Magazins BIORAMA. Diese Reportage entstand in einer Koproduktion mit dem Magazin.

Von
Thomas Stollenwerk

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/17.

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