Der Dieselskandal hat der Automobilindustrie einen bleibenden Imageschaden verpasst, auf die immer drängender werdende Klimakrise versuchen die Konzerne mit der Einführung von Elektroautos zu reagieren.
Hinzu kommt, dass sich die Automobilindustrie insgesamt in unsicherem Fahrwasser befindet. In jedem Land und bei fast jedem Autobauer drohen Fabriksschließungen. Der Dieselskandal hat der Branche einen bleibenden Imageschaden verpasst, auf die immer drängender werdende Klimakrise versuchen die Konzerne mit der Einführung von Elektroautos zu reagieren.
Für die Belegschaft aktiv – gegen alle Hindernisse

Ein Instrument, mit dem dies probiert wird, ist der Europäische Betriebsrat. Er soll Belegschaftsvertretungen aller Standorte aus allen Ländern eines multinationalen Konzerns an einen Tisch bringen. „Bei Opel haben wir seit 1996 einen Europäischen Betriebsrat. Ich bin seit 2009 dabei“, sagt Renate Blauensteiner.
Der Europäische Betriebsrat soll Belegschaftsvertretungen aller Standorte aus allen Ländern eines multinationalen Konzerns an einen Tisch bringen.
Europäische Betriebsräte haben inzwischen eine lange Geschichte hinter sich. 1983 wurde erstmals eine informelle Struktur gegründet, um ArbeitnehmervertreterInnen aus unterschiedlichen Ländern zusammenzubringen. Es war der Konzernbetriebsrat des französischen Unternehmens Saint-Gobain, der eine entsprechende Initiative in Gang setzte.
„Unsere europäischen Betriebsratssitzungen finden meistens bei Opel in Rüsselsheim statt“, sagt Renate Blauensteiner. „Über die Jahrzehnte sind da zwischen manchen von uns echte Freundschaften entstanden.“
Internationale Bekanntschaften
Ein großer Vorteil dieser internationalen Verbindungen sei die Herstellung von Informationsflüssen zwischen den Betriebskörperschaften. „Wir besprechen uns immer zuerst gemeinsam, bevor wir in Verhandlungen mit der Unternehmensführung gehen. Und wir haben einen gemeinsamen Newsletter, mit dem wir Infos an alle verteilen können. Es fällt dem Unternehmen jetzt viel schwerer, uns anzulügen. Wenn die bei uns in Wien behaupten, die Einführung einer neuen Arbeitsmethode sei überhaupt kein Problem, auch an den anderen Standorten werde das schon längst so gemacht, können wir jetzt kurz bei den KollegInnen dort nachfragen, ob das stimmt oder ob man versucht, uns hinters Licht zu führen“, erzählt die Betriebsrätin.

Renate Blauensteiner kann auch von europaweiten Aktionen berichten, die auf Ebene des Europäischen Betriebsrats organisiert wurden. „Als es 2008/09 um Werksschließungen ging, haben wir einen gemeinsamen Aktionstag organisiert, um den betroffenen Standorten zu helfen. Wir sind alle gemeinsam nach Antwerpen gefahren, um dafür zu sorgen, dass die von Kündigung und Arbeitsplatzabbau betroffenen KollegInnen wenigstens eine gute Abfindung bekommen.“ 2.500 Jobs gingen 2010 in Antwerpen als Teil der damals von Opel und General Motors betriebenen Umstrukturierung verloren. „Auch hier in Wien haben wir damals Flugblattaktionen gemacht“, so Blauensteiner.
Selbst bescheidene Solidarisierungsversuche auf internationaler Ebene werden von den Konzernspitzen skeptisch beäugt.
Selbst bescheidene Solidarisierungsversuche auf internationaler Ebene werden von den Konzernspitzen skeptisch beäugt. Sophia Reisecker, die bei der Gewerkschaft GPA-djp für die Bereiche Europa, Konzerne und internationale Beziehungen verantwortlich ist, kann ein Lied davon singen. Grundsätzlich hält sie aber fest: „Die Europäischen Betriebsräte sind ein Erfolgskonzept. Sie sind weltweit einzigartig und geben Betriebsräten die Möglichkeit, sich zu vernetzen, Perspektiven zu entwickeln und sich auf lokale Veränderungen einzustellen.“
Konzerne behindern Solidarität
Deshalb, so ist Reisecker überzeugt, werden Europäische Betriebsräte in ihrer Arbeit behindert. „Viele Konzerne kommen ihrer Informationspflicht nicht nach. Sie erschweren den BelegschaftsvertreterInnen auch die Kommunikation zwischen den Standorten.“ Wie machen sie das genau? „Die argumentieren immer mit den Kosten. So ist ihnen die Übersetzung oft zu teuer, weshalb sie diese einsparen wollen. Ohne Übersetzung kann es für die KollegInnen aber zu sehr hohen Sprachbarrieren kommen.“ Auch der Sinn physischer Treffen werde von den Unternehmen oft angezweifelt. „Natürlich gibt es Möglichkeiten, sich über Skype oder durch Videokonferenzen auszutauschen“, sagt Sophia Reisecker. „Aber die können ein echtes Treffen und den direkten Austausch eben nicht ersetzen.“
Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“.
Europäische Gewerkschaftsverbände und Zusammenschlüsse fordern deshalb schon seit Längerem eine neue EU-Richtlinie zum Thema „Europäischer Betriebsrat“. So kämpft die globale Gewerkschaftsföderation „IndustriAll“ unter anderem für eine stärkere Durchsetzbarkeit der Rechte von Europäischen Betriebsräten sowie für schlagkräftigere Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen, welche diese Rechte brechen oder nicht ernst nehmen.
Auch die Hans-Böckler-Stiftung kritisiert in ihren Publikationen eine mangelnde Verbindlichkeit der bestehenden EU-Richtlinie. Genau wie Sophia Reisecker bemängelt die Stiftung in dem Artikel „Was Europa für Arbeitnehmer tun muss“: „Bei Entscheidungen der Unternehmensleitung werden die Europäischen Betriebsräte jedoch häufig zu spät informiert oder erhalten nicht alle nötigen Informationen.“ Neben „spürbaren Sanktionen“ fordert die Stiftung, dass sichergestellt werden müsse, „dass auch die europäischen Gewerkschaften mit den Unternehmensleitungen verhandeln können und nicht betriebliche Mitbestimmung gegen gewerkschaftliche Interessenvertretung ausgespielt wird“.
Die Europäische Kommission sieht derzeit keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie.
Für Sophia Reisecker besteht das Problem darin, dass gerade multinationale Konzerne viele Sanktionen leicht abschütteln können. „Bei vielen Konzernen fallen zum Beispiel Geldstrafen nicht ins Gewicht. Man muss an anderen Stellen ansetzen, zum Beispiel dass für einen Konzern wichtige Projekte auf Eis gelegt werden, wenn sich dieser Konzern nicht an Regeln hält.“ Die Europäische Kommission sieht derzeit übrigens keinen Bedarf an einer neuen Richtlinie. „Vielleicht ändert sich das ja, wenn die neue Kommission kommt“, meint Reisecker, überzeugt klingt sie aber nicht.
Unterschiedliche gewerkschaftliche Kulturen
Renate Blauensteiner kennt diese Pro-blematik aus eigener Erfahrung. „Peugeot ist viel weniger an einer Zusammenarbeit mit dem Europäischen Betriebsrat interessiert, als dies bei General Motors der Fall war.“ Ein weiteres Hindernis seien die teils sehr unterschiedlichen gewerkschaftlichen Praktiken in den jeweiligen Ländern: „Peugeot hat seinen eigenen Europäischen Betriebsrat, bei dem die verschiedenen Opel-Standorte auch mitmachen. Aber Frankreich kennt keine Betriebsräte wie bei uns. Stattdessen sind in jedem Betrieb verschiedene Gewerkschaften mit durchaus unterschiedlichen politischen Ansätzen vertreten. Das reicht von eher unternehmerfreundlichen Gewerkschaften bis zu sehr radikalen Kräften. Im Unterschied zur Praxis bei General Motors gibt es bei Peugeot keine gemeinsamen Vorbesprechungen der BeschäftigtenvertreterInnen. Dort sitzen die UnternehmerInnen immer gleich dabei.“

Wichtig sei es, sich gemeinsam mit den internationalen KollegInnen neu aufzustellen. „Wir wollen den bestehenden Europäischen Betriebsrat bei Opel unbedingt erhalten, auch weil wir uns schon jahrzehntelang kennen und das Vertrauen einfach da ist.“ Gleichzeitig gelte es aber, auch im neuen Gesamtkonzern Pflöcke einzuschlagen. „Man muss schauen, dass die Produktion zwischen den verschiedenen Standorten so gut wie möglich aufgeteilt ist. Jedes Werk muss ausgelastet sein. Peugeot versucht, alle gegeneinander auszuspielen. Die fragen einfach in die Runde, welches Werk bereit ist, am billigsten zu produzieren. Der Rest ist denen egal. Da kann der Europäische Betriebsrat gegensteuern“, hält Blauensteiner fest.
Spaltungen überwinden
Technologischer Wandel ist auch in Aspern deutlich spürbar. In der riesigen Produktionshalle läuft fast alles automatisch. Motoren und Getriebeteile werden wie von Geisterhand von auf Schienen fahrenden Wagerln zu Robotern gefahren, deren Greifarme sodann zu Werke gehen. ArbeiterInnen sieht man auf den ersten Blick kaum. Und doch arbeiten hier noch weit über 1.000 Menschen, teilweise bei Innentemperaturen von weit über 30 Grad. „Was passiert denn, wenn die gut bezahlten Industriejobs wegfallen“, fragt sich Renate Blauensteiner. „Dann geht es doch auch mit dem Dienstleistungsbereich bergab. Eine Wirtschaft kann nicht nur mit Niedriglohnjobs funktionieren.“
Das Problem der nationalen Konkurrenz zwischen den Ländern beschäftigt Blauensteiner mit am meisten. „Wir können ja gegen Standortschließungen kaum etwas machen. Gegen niedrige Löhne in anderen Ländern kommen wir auch nicht an. Aber dieses dauernde Niederkonkurrieren ist ja keine Lösung. Die ArbeiterInnen müssen von ihren Produkten leben können.“ Auch über die Ungleichheit zwischen den Ländern müsse geredet werden: „Jedes Land muss die gleichen Chancen kriegen. Wir brauchen die gleichen Bedingungen untereinander. Dieses ewige Ausspielen muss beendet werden.“

Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein.
Eines ist klar. Österreich ist keine Insel, die österreichische ArbeiterInnenbewegung kann es genauso wenig sein. Internationale Prozesse, wirtschaftliche wie politische, haben auch bei Opel Aspern von Anfang an eine Rolle gespielt. Die Fabrik steht und fällt mit weltweiten Entwicklungen und Entscheidungen. In der europäischen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit zeigen sich für lohnabhängige Menschen sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen. Vor allem Letztere werden von den Unternehmen durchaus als Bedrohung gesehen. Ohne internationale Zusammenarbeit werden ArbeiterInnen und Angestellte zu Spielbällen der multinationalen Märkte.
Christian Bunke
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/19.
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