„Das geht sich eben nicht aus, ganz einfach“

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  1. Seite 1 - Inflation und kein Ende
  2. Seite 2 - Ein besserer Sozialstaat
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Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer, bringt im Interview die Probleme der Inflation auf den Punkt. Und bietet Lösungen an.

Renate Anderl im Interview über den Sozialstaat

Portrait Renate Anderl. AK-Präsidentin im Interview mit Arbeit&Wirtschaft
Renate Anderl: „Es wäre jetzt an der Zeit, dass die Politik beweist – und damit meine ich alle – dass sie in Krisenzeiten geschlossen etwas für das Land tun wollen.“ | © AK/Sebastian Philipp
Am 3.8.2022 war Equal Pension Day, also jener Tag, an dem Männer bereits so viel Pension erhalten haben, wie Frauen erst bis zum Ende des Jahres erhalten werden. Die durchschnittliche Pension bei Frauen beträgt 1.239 Euro. Wie kommt es zu so niedrigen Pensionen und was ist zu ändern?

Wir sprechen immer davon, dass Frauen die niedrigste Pension haben. Wir müssen aber den Blick schon auf das Erwerbsleben der Frauen richten. Denn wenn ich im Erwerbsleben ein durchschnittliches Einkommen in der Höhe meines Partners habe, dann habe ich am Ende auch eine Pension, von der ich leben kann. Und es sind noch immer die Branchen mit hohem Frauenanteil, in denen am wenigsten bezahlt wird. Da stellt sich die Frage, was ist es uns wert, dass eine bestens ausgebildete Pädagogin auf unser wertvollstes Gut, das wir haben, unsere Kinder, aufpasst? Für mich viel zu wenig.

Daher müssen Frauen nicht nur einen gutbezahlten Job haben, unabhängig von der Branche, für die sie sich entscheiden, sondern auch jede Frau ein Anrecht auf eine Vollzeitstelle haben. Männern wird viel seltener bis gar nicht ein Teilzeitjob angeboten, bei Frauen ist es selbstverständlich. Ein weiterer Punkt, für den ich schon lange kämpfe ist, dass gerade Teilzeitkräfte kein Spielball der Wirtschaft sind. Jede Stunde, die eine Teilzeitkraft mehr arbeitet, muss auch als solche ausgeglichen werden. Davon sind wir weit entfernt. Heute ist es so, wenn viel zu tun ist arbeiten viele Teilzeitkräfte mehr und das Unternehmen erspart sich dadurch einiges. Für Teilzeitkraft gilt jedoch Drei-Monate-Durchrechnung. Sie wird wenn weniger zu tun ist, in Freizeit geschickt. Und damit ist sie ein Spielball der Wirtschaft. Es braucht einen Rechtsanspruch auf einen Kindergarten ab dem 1. Lebensjahr für jedes Kind, ähnlich wie für die Schule. Damit wird der Kreislauf ich bekomme einen Job nicht, weil ich keinen Kindergartenplatz habe und ich kriege keinen Kindergartenplatz, weil ich keinen Job habe, durchbrochen.

Damit sind wir beim Thema Sozialstaat, denn genau das wird nicht von alleine passieren. In unterschiedlichen Wellen wird in der marktliberalen Diskussion immer wieder versucht, den Sozialstaat klein zu reden, die Bedeutung abzusprechen. Was antwortworten Sie?

Der Sozialstaat wird bei vielen unterschätzt. Es hat bisher jeder in seinem Leben den Sozialstaat gebraucht. Denn das würde etwa bedeuten er war noch nie in seinem Leben krank und hat keine Schule besucht. Und gerade wenn man auf die Pandemiezeit zurückblickt, dann haben wir gesehen, was ein gut funktionierender Sozialstaat leistet und wie er uns durch die Krise geführt hat, etwa bei der medizinische Versorgung oder die Förderung und Unterstützung von Betrieben. Daher ist es jetzt vor dem Hintergrund von Klimakrise, Teuerung, Pandemie an der Zeit, dass wir den Sozialstaat nicht nur so wie wir ihn jetzt haben erhalten, sondern ihn weiter ausbauen, damit wir einen wirklich gut funktionierenden, finanziell abgesicherten, also den besten Sozialstaat haben.

Wie sieht der beste Sozialstaat aus?

Es ist der Sozialstaat, in dem ich mir persönlich keine Sorgen machen muss, dass ich unabhängig vom Geldbörsel, die besten Leistungen erhalte, wenn ich morgen krank werde und die beste Bildung ab dem ersten Lebensjahr erhalte. Der beste Sozialstaat sorgt dafür, dass es in unserem Land Armut einfach keinen Platz hat.

Die Aussichten für die kommenden Monate sind nicht rosig und es gibt bereits jetzt eine hohe Frustration in der Bevölkerung. Wie kann dieser Frustration entgegengewirkt werden?

Die Frustration kann ich nur dann wegbekommen, wenn wir eine Bundesregierung haben, die geschlossen auftritt und auch arbeitet. Jedes Mal, wenn ich die Zeitung aufschlage, lese ich wieder der Politiker hat dies getan, jene Politikerin jenes – egal von welcher Partei. Das macht die Menschen auch politikverdrossen und sie sagen, die sind eh alle zum Vergessen, da tut niemand was. Es wäre jetzt an der Zeit, dass die Politik beweist – und damit meine ich alle – dass sie in Krisenzeiten geschlossen etwas für das Land tun wollen. Das fehlt mir jetzt und in vielen Bereichen. Es geht dabei um Maßnahmen, die gesetzt werden, die auch bei den Menschen ankommen.

Die Diskussion um den Energiegutschein etwa, erinnert mich an die Pandemiezeit, wo wir in jedem Bundesland unterschiedliche Maßnahmen hatten. So ähnlich kommt es mir jetzt bei der Teuerung vor. Jeder macht sein Süppchen und jedes Bundesland schaut dann, wie kann ich in meinem Bundesland die Menschen entlasten. Aber genau das ist Aufgabe einer Bundesregierung, dafür zu sorgen, dass für alle vom Bodensee bis zum Neusiedler See die gleichen Maßnahmen gelten.

Es gehört Ruhe hinein. Das gilt für alle Parteien. Denn wenn selbst aus einer Partei immer unterschiedliche Ideen kommen, wie jetzt etwa zu den Sanktionen gegen Russland. Das sind alles Diskussionen, die im Wohnzimmer geführt werden sollten, aber nicht, dass ich es in den Medien lese. Denn das verunsichert die Menschen, da es ganz viele gibt, die sich wirklich Sorgen machen, wie sie etwa im Winter heizen sollen, kann ich mir die Miete noch leisten und wo kann ich einsparen. Und wenn Menschen Ängste haben, gibt es mehr Unruhe. Daher ist es jetzt an der Zeit, dass wir für Stabilität sorgen. Zu zeigen, dass wir in diesem Land eine Bundesregierung und Politiker und Politikerinnen haben, denen tatsächlich die Menschen am Herzen liegen. Dieses Gefühl haben die Menschen im Moment nicht. Ich auch nicht.

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Über den/die Autor:in

Eva Winterer

Eva Winterer ist Kommunikationsstrategin und war von 2022 bis 2023 Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft.

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