Interview: Einstimmigkeit muss weg

Inhalt

  1. Seite 1 - Steuergerechtigkeit
  2. Seite 2 - Einstimmigkeit bei Steuerfragen
  3. Auf einer Seite lesen >
Das Einstimmigkeitsprinzip bringt keine Steuergerechtigkeit für die Europäische Union und ihre BürgerInnen, meint die EU-Parlamentarierin Evelyn Regner (SPÖ) im Interview – und fordert eine Abkehr davon.

„Wenn Google sagt: irgendwo, wo es keine Regeln gibt, wo es keinen Beschäftigten gibt, wo keine Produktion ist, wo einfach nichts ist, dort wird alles erwirtschaftet – das ist doch ein schlechter Scherz.“

 

Google sagt, ihre Wertschöpfung basiert auf einem Algorithmus, der auf den Bermudas versteuert wird…

Wir müssen Briefkastenkonstruktionen in den Griff bekommen.

Das ist keine Wertschöpfung. Wenn Google sagt: irgendwo, wo es keine Regeln gibt, wo es keinen Beschäftigten gibt, wo keine Produktion ist, wo einfach nichts ist, dort wird alles erwirtschaftet – das ist doch ein schlechter Scherz. Die nutzen eben ihren juristischen Spielraum, um ihr Geld in diesen Steuersümpfen verschwinden zu lassen. Dann müssen wir die Definitionen ändern, um solche Briefkastenkonstruktionen in den Griff zu bekommen.

Auf OECD-Ebene wird gerade ein globaler Mindeststeuersatz diskutiert.

Eine gute Idee!

Aber?

Es ist wie bei der Finanztransaktionssteuer. Das wäre auch das Allertollste, wenn es sie global gibt. Aber wenn man sagt, es soll erst einmal global kommen, dann kommt es nie. Das ist auch immer die Ausrede der Blockierer unter den Mitgliedsstaaten.

Die Europäische Union ist der wichtigste Wirtschaftsraum der Welt, wenn wir gemeinsam etwas beschließen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt.

Es ist schon wichtig, dass man auf der Ebene der G-20 die Dinge voranpusht, aber ich sage, das soll nicht davon abhalten, nationale Maßnahmen zu setzen, durch die Europäische Union Maßnahmen zu setzen, und global. Die Europäische Union ist der wichtigste Wirtschaftsraum der Welt, wenn wir gemeinsam etwas beschließen, hat das Auswirkungen auf die ganze Welt. Dann braucht man sich nicht abputzen und sagen: Alles erst global.

Wir haben innerhalb Europas einen dramatischen Steuerwettbewerb. Warum wird keine Mindestkörperschaftssteuer beschlossen?

Das verhindert wieder die Einstimmigkeit bei Steuerfragen. Im Prinzip sagen alle Staaten: Super Idee, sollten wir machen. Aber jeder Staat will es als letzter umsetzen.

Für Länder wie zum Beispiel Irland haben diese niedrigen Steuern schon fast etwas mit der nationalen Identität zu tun. Was für Österreich die Neutralität ist, sind für die irische Bevölkerung die niedrigen Steuern. Man darf das nicht unterschätzen, da gibt es oft sehr emotionale Gründe.

Wäre der Brexit eine Chance, an diesem Einstimmigkeitsmodell zu rütteln?

Nein, die Briten sollen bleiben, das wäre das Beste für Europa. Auch als Message gegen all die Rechten und ihre zerstörerischen Lügen.

Die Briten sollen bleiben, das wäre das Beste für Europa.

Was erwarten Sie sich vom neuen Kommissionspräsidenten?

Was erwarte ich mir? Ich hoffe zunächst einmal, dass die Wahlen so ausgehen, dass entgegen vieler Prognosen Freunde der Demokratie und des Rechtsstaats und auch die Freunde von einem Europa die Mehrheit bilden, in dem Menschen im Mittelpunkt stehen. Natürlich auch eine starke Sozialdemokratie, aber dass alle Kräfte stärker werden, die mehr echte Regeln für Konzerne festlegen. Das ist automatisch besser für die Menschen.

Es werden Grundrechte und Grundwerte der Europäischen Union in Frage gestellt.

Deshalb erwarte ich mir von dem neuen Kommissionspräsidenten – eine Präsidentin wird es wahrscheinlich nicht werden –, genau das anzugehen: den Rechtsstaat stärken. Das müssen wir. Es werden Grundrechte und Grundwerte der Europäischen Union in Frage gestellt. Das ist ganz wichtig, sonst kommen Länder wie Orbans Ungarn und holen sich die Rosinen, sprich das Geld. Sie treten das Recht mit Füßen, inklusive Pressefreiheit und Demokratie.

Wir brauchen faire Regeln für Konzerne.
Weiters erwarte ich mir – sowohl im Interesse der Einzelstaaten, als auch der EU als Ganzes – faire Regeln für Konzerne. Wirklich faire Regeln, es geht darum, dass wir in ein soziales Europa investieren – nicht, dass das Geld in die Verteidigungsindustrie hineingebuttert wird.

Das Worst-Case-Szenario für Europa wäre eine Troika für alle, mit Griechenland als Modell für alle. Wir wollen ein Europa, dass das lebt, was als soziale Säule im Raum steht: Mindestlöhne und soziale Standards heben.

Aber Standards werden eher gesenkt.

In Österreich, ja. In Europa haben wir Dinge durchgesetzt, die OK sind. Davon wünsche ich mir viel mehr. Das ist ein Armutszeugnis für Österreich, dass wir die Europäische Union brauchen, damit wir hier nicht unter diese Standards gehen. Das ist ein Aufruf für ein besseres Europa.

Inhalt

  1. Seite 1 - Steuergerechtigkeit
  2. Seite 2 - Einstimmigkeit bei Steuerfragen
  3. Auf einer Seite lesen >

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erschien ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.