Doch halten die angekündigten Maßnahmen in ihrem Programm diesem Versprechen stand? Wie positioniert sich unsere zukünftige Regierung grundsätzlich gegenüber den 4,3 Millionen Beschäftigten und ihren Familien, also der großen Mehrheit in Österreich? Droht sie uns mit ähnlichen Angriffen wie zuvor unter Türkis-Blau, oder hat sich die ÖVP von den Grünen tatsächlich besänftigen lassen?
Schöne Worte machen nicht satt.
Michaela Moser, Dozentin am Department Soziales der FH St. Pölten
Auf diese Fragen finden aktuell gerade sämtliche NGOs, Interessenvertretungen und Kammern in ihren im Stundentakt erscheinenden Stellungnahmen und Analysen Antworten. Alle der arbeitenden Bevölkerung und ihren Angehörigen freundlich gesinnten Institutionen zeichnen darin ein nahezu deckungsgleiches Bild. Aus gutem Grund, denn „schöne Worte machen nicht satt“, wie die Dozentin am Department Soziales der FH St. Pölten, Michaela Moser, es so überaus treffend auf den Punkt gebracht hat.
Es ist schmerzvoll, dass Arbeit nicht mehr bei Soziales ist, wo sie hingehört. Diese beiden Bereiche gehören zusammen.
Judith Pühringer, Armutskonferenz und Geschäftsführerin arbeit plus
Das grundsätzliche Bekenntnis der Regierung unterscheidet sich stark von den tatsächlichen Umsetzungsvorhaben, denn diese sind sehr oberflächlich und erscheinen nicht ausreichend, um die gesetzten Ziele zu erreichen, erklärt es der ÖGB in seiner Stellungnahme. Einen weiteren wichtigen Punkt, der zwar nicht unmittelbar das Regierungsprogramm, jedoch die Zusammensetzung und Machtverteilung in der Regierung betrifft, ergänzt auch Judith Pühringer von der Armutskonferenz: „Es ist schmerzvoll, dass Arbeit nicht mehr bei Soziales ist, wo sie hingehört. Diese beiden Bereiche gehören zusammen.“ Sie bezieht sich damit auf den Plan, das Sozialministerium zu zerstückeln, um der ÖVP in der Regierung noch mehr Macht zu sichern.
Die Zerschlagung des Sozialministeriums
Schon ein paar Tage bevor das Regierungsprogramm präsentiert wurde, sickerte nämlich bereits die Nachricht über die Beschneidung des Sozialministeriums durch. Die beiden Sektionen für Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsrecht sollen in das türkise Familienministerium wandern, geführt von der steirischen Unternehmensberaterin Christine Aschbacher. Das hat zur Folge, dass die bekanntermaßen wenig arbeitnehmerInnenfreundliche ÖVP für die Arbeitsmarktpolitik, das Arbeitsrecht, das AMS, die Gleichbehandlung, das Bundeseinigungsamt und das Arbeitsinspektorat zuständig sein wird.
Ein herber Rückschlag also für alle, die darauf gehofft hatten, dass die Grünen zumindest im Sozialministerium und in der Arbeitsmarktpolitik eine entscheidende Rolle spielen würden.
Eine ähnliche Konstellation gab es bisher nur unter der ersten schwarz-blauen Regierung unter Wolfgang Schüssel, der die Arbeitsagenden damals wenig erfolgreich ins Wirtschaftsministerium holte. Ein herber Rückschlag also für alle, die darauf gehofft hatten, dass die Grünen zumindest im Sozialministerium und in der Arbeitsmarktpolitik eine entscheidende Rolle spielen würden.
Im Regierungsprogramm:
- Bürokratieabbau
- Beraten vor bestrafen
- Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen
- Reform der Zumutbarkeitsbestimmungen im AMS
Durch die im Regierungsprogramm angekündigten begleitenden Maßnahmen des „Bürokratieabbaus“ im Arbeitsinspektorat, unter dem Motto „Beraten vor bestrafen“, der „Weiterentwicklung des Arbeitslosengeldes mit Anreizen, damit arbeitslose Menschen wieder schneller ins Erwerbsleben zurückkehren“, und einer Reform der Zumutbarkeitsbestimmungen im AMS ist eine gewisse Sorge über die Machtverschiebung mehr als berechtigt.
Schon die grausamen Einschnitte der letzten Regierung, wie der 12-Stunden-Tag und die Zerschlagung der Sozialversicherung, gingen zulasten der Beschäftigten. Abgesehen davon müssen wir deswegen auch gerade um unsere Krankenversicherung und medizinische Versorgung zittern, folglich sind weitere Deregulierungen das Letzte, was wir gerade brauchen können.
Weiters stellt sich die Frage, wie gelockerte Kontrollen des Arbeitsinspektorats und erhöhter Druck auf Erwerbslose zu dem Bekenntnis, dass „Arbeit mit einem Einkommen, von dem man leben kann, ein wesentlicher Schlüssel der Armutsbekämpfung ist“, passen soll. Wo wir doch spätestens seit der Einführung von Hartz IV in Deutschland wissen, dass derartige Strategien eher dem Wachstum des Niedriglohnsektors als jenen Menschen dienen, die von ihrer Arbeit leben können müssen.
Leere Versprechen in der Arbeitsmarktpolitik und Armutsbekämpfung
Weiter geht es mit der wenig überraschenden Feststellung, dass existenzsichernde Arbeit, angemessene Löhne und entsprechende Pensionen eine präventive Wirkung haben: „Sie verhindern, dass Menschen überhaupt erst in Armut geraten. Ein gerechter Lohn ist die Basis, dass Menschen ein gutes Leben führen können.“ Die Ableitung davon beschränkt sich allerdings auf das Vorhaben, die Lücke in den Bereichen, in denen kein kollektivvertragliches Mindestgehalt gilt, mithilfe der Sozialpartner zu schließen. Nun liest sich das natürlich nett, allerdings unterliegen 98 Prozent aller Arbeitsverhältnisse in Österreich einem Kollektivvertrag, diese Maßnahme betrifft also weniger als 2 Prozent aller Erwerbstätigen.
Die rund 300.000 „Working Poor“, Menschen, die unter Armut leiden, obwohl sie arbeiten gehen, werden von diesem Auftrag von symbolischer Qualität kaum profitieren, schließlich liegt die Hauptursache für Erwerbsarmut in prekären Arbeitsverhältnissen. Es sind Kurzzeitbeschäftigte, die von Job zu Job springen müssen und zwischendurch immer wieder arbeitslos sind, die rund ein Viertel schlechter bezahlt werden als stabil Beschäftigte.
€ 505 Mio.
pro Jahr für das
AMS Zwischenparken
1/8
der registrierten
Arbeitslosigkeit
1 %
der 8,5 %
Arbeitslosenquote
Es sind Arbeitgeber, die systematisches „Heuern und Feuern“ betreiben und ihr Personal in umsatzschwächeren Zeiten beim AMS „zwischenparken“; die Beschäftigte in die Armut treiben und rund 500 Millionen Euro pro Jahr – exklusive Sozialversicherungsbeiträgen – des AMS-Budgets für ihre Profitgier verbrennen. Selbst wenn Beschäftigungsunterbrechungen unter einem Jahr berücksichtigt werden, verwendete das AMS 2008 rund 350 Millionen Euro und in den Folgejahren zwischen 424 und 505 Millionen Euro für diese geparkten Arbeitslosen. Im Jahr 2017 entfiel mehr als ein Achtel der registrierten Gesamtarbeitslosigkeit auf diese zwischengeparkten Beschäftigten. Damit waren sie für rund einen Prozentpunkt der Arbeitslosenquote von 8,5 Prozent verantwortlich. Doch davon findet sich im Regierungsprogramm: nichts.
Kein Wort zu den 100.000 Leiharbeitskräften, den 200.000 PraktikantInnen oder den 100.000 Neuen Selbstständigen im Regierungsprogramm.
Es sind ebenso atypisch Beschäftigte, Beschäftigte in Leiharbeitsverhältnissen, Teilzeitjobs, befristeten Dienstverhältnissen und Scheinselbstständige, die wesentlich schlechter bezahlt werden als reguläre Angestellte und maßgeblich von Armut bedroht sind. Würden ÖVP und Grüne tatsächlich etwas gegen Armut und Erwerbsarmut unternehmen wollen und sich nicht nur mit Lippenbekenntnissen begnügen, dann müssten sie genau dort ansetzen. Allerdings findet sich auch kein Wort zu den 100.000 Leiharbeitskräften, den 200.000 PraktikantInnen oder den 100.000 Neuen Selbstständigen im Regierungsprogramm. Einzig und allein an Teilzeitbeschäftigte scheinen ÖVP und Grüne gedacht zu haben.
Werbung für Gleichstellung statt echte Gleichstellung
„Die Bundesregierung wird zahlreiche Maßnahmen setzen, um Fraueneinkommen zu erhöhen. In der Pension kommen besonders auf Frauen oft finanziell sehr große Herausforderungen zu. Mit gezielten Maßnahmen für diese Gruppe wollen wir die Frauenaltersarmut mindern. Um Altersarmut vor allem von Frauen zu bekämpfen, überprüfen wir partnerschaftliche Formen der Elternteilzeit und Pensionssplittingmodelle“, heißt es im Regierungsprogramm weiter. Und auch diese schönen Worte sind grundsätzlich richtig, obwohl durchaus eine gewisse Ignoranz aus ihnen spricht.
Frauen werden am Arbeitsmarkt auch heute noch benachteiligt, sie werden schlechter bezahlt, und rund eine viertel Million von ihnen wird in Teilzeitjobs gedrängt, obwohl sie lieber Vollzeit arbeiten würden.
Immerhin beträgt die durchschnittliche Frauenpension in Österreich ganze 40 Prozent weniger als die der Männer. Das ist schon mehr als eine finanzielle Herausforderung, das ist ein grober Missstand. Frauen werden am Arbeitsmarkt auch heute noch benachteiligt, sie werden schlechter bezahlt, und rund eine viertel Million von ihnen wird in Teilzeitjobs gedrängt, obwohl sie lieber Vollzeit arbeiten würden. Insbesondere in Branchen, in denen vor allem Frauen beschäftigt sind, wie dem Handel oder dem Gesundheits- und Sozialbereich, sind Teilzeitjobs die Regel und nicht die Ausnahme. Ein schlechtes Kinderbetreuungsangebot, niedrige Löhne und viel zu lange Arbeitstage, die kaum mit kleinen Kindern vereinbar sind, leisten einen weiteren Anteil dazu, dass Frauen den Löwenanteil der unbezahlten Arbeit leisten, während Männer überwiegend Vollzeit arbeiten.
[infogram id=“aandw-online-pensionen-frauen-unterschiede-1hdw2jq57zpp4l0?live“]Diese ungleiche und ungerechte Verteilung von Erwerbsarbeitszeit und unbezahlter Familienarbeit und somit der Einkommen stellen zweifelsfrei das größte Problem auf unserem Arbeitsmarkt dar. Neben anderen Gründen, führt daher kein Weg an einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung vorbei, um es zu lösen. Auch die Grünen haben das schon lange erkannt und im Wahlkampf die Verkürzung unserer Arbeitszeit gefordert. Was hat sich also unsere zukünftige Regierung dazu einfallen lassen? Eine „Info-Kampagne“ zur Sensibilisierung über die Auswirkungen von Teilzeit auf die soziale Absicherung in Arbeitslosigkeit und im Alter. Punkt.
Ungerechte Verteilung der Erwerbsarbeitszeit und unbezahlter Familienarbeit und somit der Einkommen stellen zweifelsfrei das größte Problem auf unserem Arbeitsmarkt dar.
Zwar soll das bisher freiwillig mögliche Pensionssplittung zwischen Eltern für Kindererziehungszeiten automatisch zur Anwendung kommen, mit der Möglichkeit, es abzulehnen, allerdings entspricht auch das eher einem Pflaster auf einer Wunde als einer Heilung der Krankheit. Alles in allem eine Ernüchterung: Sozialpolitik, der Arbeitsmarkt, Gleichstellung und Verteilungsgerechtigkeit waren eindeutig beiden Parteien kein großes Anliegen. Zwar scheinen die Grünen weitere große Verschlechterungen wie die Abschaffung der Notstandshilfe und eine radikale Kürzung des AMS-Budgets verhindert zu haben, aber das war es dann auch schon.
Mit Fortschritten für die Beschäftigten ist vonseiten der Regierung demnach nicht zu rechnen – für diejenigen, die es noch nicht sind, ist es höchste Zeit, Gewerkschaftsmitglied zu werden!