Das Oligopol der Ratingagenturen
Sind Ratingagenturen die Henker ganzer Staaten? Oder doch nur der Sündenbock für eine verfehlte Finanzpolitik? Fakt ist, dass ein schlechtes Rating die Zinsaufwendungen für einen Staat derart nach oben treiben kann, dass es einem Todesstoß gleichkommt. Fakt ist aber auch, dass ein schlechtes Rating ein Versagen der Wirtschaftspolitik widerspiegelt. Es lohnt sich jedenfalls, einen Blick darauf zu werfen, wie Staaten und die Öffentlichkeit so abhängig von gerade einmal drei amerikanischen Privatunternehmen werden konnten. Eine Spurensuche.
Postkutschen-Überfälle, Schießereien in Saloons und überhaupt eine recht wilde Besiedelung eines neuen Kontinents. Das ist das Fundament der ersten Ratingagentur. Zumindest in groben Zügen. Lewis Tappan unterhielt im Jahr 1857 ein Netz aus Informanten, die für eine wirtschaftliche Prüfung der Kreditnehmer zuständig waren. Halfen die Analysen dabei, Verluste zu vermeiden, gab es eine Provision. Tappan verdiente recht gut und nutzte seine Mittel unter anderem dafür, Sklaven zu befreien und ihnen Rechtsbeistand zu finanzieren.
Geschichte der Ratingagenturen
Im Jahr 1860 schlossen sich Henry Poor und das Standard Statistics Bureau zur ersten echten Ratingagentur zusammen. Es folgten 1909 John Moody und 1924 Fitch Ratings mit einem ähnlichen Modell. In den USA gab es enormen Bedarf an solchen Einrichtungen. Denn dort hatte sich eine kapitalmarktorientierte Wirtschaft durchgesetzt. Banken vergaben eher selten Kredite, sie vermittelten allerdings zwischen Kreditnehmer:in und Investor:in. Anders als in Europa, wo sich Banken und Kunden mit Kreditverträgen über Jahrzehnte banden und entsprechend enge Geschäftsbeziehungen pflegten. Während in Europa das Bild des „ehrbaren Kaufmanns“ entstand, setzte sich in den USA eben die überzeugendste Person durch. Gerne auch mal mit bewusster Täuschung.
In den 1970er Jahren verabschiedete die USA ein Gesetz, wonach Firmen ein Rating bräuchten, wenn sie an der US-Börse gelistet werden wollten. Es gab genau drei Einrichtungen, die diese Leistung anboten: Moody’s, Fitch und Standard and Poor’s. Auch „Big Three“ genannt. Dieses Oligopol hat einen Marktanteil von 91 Prozent. Lediglich ein paar kleinere lokale Institute haben sich in einzelnen Staaten ein paar Krümel des Kuchens gesichert. Der bekannteste Konkurrent ist Dagong Global Credit. Eine chinesische Agentur.
Das Scheitern einer Europäischen Ratingagentur
Nach der Finanzkrise sollte auch eine Europäische Ratingagentur ins Leben gerufen werden, um weniger abhängig von den amerikanischen Unternehmen zu sein. Die EU erhoffte sich neutralere Daten. Zwischen den Jahren 2011 und 2013 gab es Pläne und Sitzungen, bis das Projekt im April 2013 offiziell als gescheitert galt. Grund dafür war, dass die unabhängige Stiftung, die das Projekt hätte finanzieren sollen, nicht ausreichend Geld sammeln konnte. 300 Millionen Euro wären insgesamt notwendig gewesen. Jetzt hat die Berliner Ratingagentur Scope immerhin das Mandat bekommen, Anleihen der Europäischen Union zu bewerten. Beispielsweise zur Finanzierung des Green Deal.
Was sind Ratingagenturen?
Ratingagenturen sind Unternehmen, die Bonitätsprüfungen von Staaten, Unternehmen und Finanzinstrumenten durchführen. So soll Transparenz geschaffen werden. Üblicherweise zahlt die Einrichtung, die bewertet wird, den Vorgang selbst. Auch wer Zugang zu den Informationen möchte, muss dafür bezahlen. Mit den Daten sollen Risiken auf dem Finanzmarkt besser eingeschätzt werden können. Die Ratingagenturen stehen unter der Kontrolle staatlicher Aufsichtsbehörden (beispielsweise ESMA oder SEC).
Die Kriterien des Ratings und die vergebenen Noten variieren zwischen den einzelnen Ratingagenturen. Es handelt sich bei den Ratings aber grundsätzlich nicht um einen konkreten Wert, sondern um einen Wahrscheinlichkeitswert. Das Rating beantwortet die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Schuldverhältnis (Anleihe oder Kredit) bedient werden kann.
Wie funktioniert der Ratingprozess?
Wer ein Rating braucht, beauftragt eine Ratingagentur. Er muss sie auch bezahlen. Daraufhin teilt er mit den Ratingagenturen alle relevanten Daten, die für eine objektive Beurteilung benötigt werden. Beispielsweise Angaben über Kunden, Kosten- und Ertragsstruktur und Finanzpläne. Dazu kommen allgemeine Informationen wie zur Inflation. Die Agenturen erarbeiten dann ein Rating, dass dem Auftraggeber vorgelegt wird. Genehmigt er das Rating, wird es veröffentlicht. Einmal jährlich findet außerdem ein Rating-Update statt.
So zumindest die Theorie. In der Praxis kommt es aber zu massiven Problemen bei einem Rating. Zum einen ist ein Rating nur so gut, wie die zur Verfügung gestellten Daten. Oft kämpfen Ratingagenturen damit, die notwendigen Informationen zu kommen. Dazu kommt, dass Ratingagenturen von den Auftraggebern abhängig sind. Bei einem schlechten Rating könnten sie sich eine neue Ratingagentur suchen. Ein schlechtes Rating kann zudem zur Verschlechterung der Finanzsituation durch steigende Zinsen beitragen und die Situation eskalieren. Wie beispielsweise in Argentinien (2001) oder Griechenland, Portugal und Spanien 2008. Das stürzt die Menschen in Armut und ist ein Stresstest für den Sozialstaat.
Studie d Bruegel-Instituts zeigt: Reichtum hat große Auswirkungen auf Lebenschancen einer Person. Es analysierte Verteilung d Haushaltsvermögens i #EU & Rolle d Vermögens a soziale Mobilität. Ergebnis: Ö europäischer Spitzenreiter bei Ungleichverteilung: https://t.co/43VB1K2nZa
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) November 4, 2022
Die drei größten Irrtümer von Ratingagenturen
1994: Orange County – Der Finanzdezernent des Countys hatte Milliarden an Steuergeldern und zusätzliche Bankkredite in hochvolatile Aktiengeschäfte gesteckt und verloren. Die Gebietskörperschaft musste Konkurs anmelden. Obwohl Ratingagenturen bescheinigten, dass für die Geschäfte genug Geld da sei.
2001: Enron – Mit massiver Bilanzfälschung und Top-Ratings gaukelte der Energiekonzern Gläubigern, Politik und Öffentlichkeit eine vorbildliche Liquidität vor. Im Hintergrund bereicherten sich einige schamlose Manager (gendern nicht nötig). Insgesamt 60 Milliarden US-Dollar Börsenwert gingen mit dem Konkurs verloren.
2007: Hypothekenwertpapiere – Die Geschichte der (bisher) größten Finanzspekulationskrise ist weitestgehend bekannt. Investoren konnten in Anleihen investieren, in denen viele Immobilienkredite gebündelt waren. Viele davon waren allerdings vollkommen wertlos. Unentdeckt von den Behörden oder den Ratingagenturen. Das Platzen der Spekulationsblase war einer der Auslöser für eine der (bisher) größten Finanzkrise der Geschichte.