Prognose: Was der Arbeitsmarkt 2024 braucht

Kellnerin trägt Teller an einen Tisch. Symbolbild für den Arbeitsmarkt 2024.
Was braucht der Arbeitsmarkt der Zukunft? Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, erklärt es in ihrer Prognose. | © Adobe Stock/Synthex
Attraktivere Arbeitsplätze, endlich mehr Ausbildung für Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft und mehr Chancen für Frauen und Langzeitarbeitslose: Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, beschreibt in ihrer Prognose für 2024, was der Arbeitsmarkt von morgen braucht.
Die Arbeitsmarktlage der letzten Jahre war eine einzige Berg- und Talfahrt. Auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit zum Ende der 2010er Jahre folgte die Pandemie mit einem All-Time-High der Arbeitslosigkeit, danach der außerordentliche Wirtschaftsaufschwung mit Rekordbeschäftigung und 2023 der erneute Beginn einer Rezession. Das Jahr 2024 und auch das darauffolgende Jahr werden voraussichtlich eine gemäßigtere Entwicklung nehmen.

Laut Prognosen des WIFO und auch der Oesterreichischen Nationalbank wird die Rezession 2024 deutlich milder ausfallen, das Bruttoinlandsprodukt soll wieder leicht wachsen. Die Rezession hat in den letzten Monaten zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Das Arbeitskräftepotenzial wächst, die Zahl der offenen Stellen geht wieder zurück. In Summe steigt die Zahl der Arbeitslosen jedoch nicht der Rezession entsprechend, da Unternehmen offensichtlich aus Sorge vor schwierigen Suchprozessen, ihre derzeitige Belegschaft eher halten. Zusätzlich ist der Rückgang der Pro-Kopf-Arbeitszeit nach der Pandemie für den hohen Beschäftigungsstand verantwortlich. Auch für das kommende Jahr rechnen die Forschungsinstitute nur mit einem leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit auf etwa 6,8 %. Der scheinbar nahe liegende Schluss, dass damit keine größeren Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten sind, ist jedoch falsch.

Arbeitsmarkt 2024: Existenzsicherung im Vordergrund

Nachdem das Konsumverhalten derzeit vor allem wegen der hohen Inflation sehr zurückhaltend ist, prognostiziert das WIFO mehr Impulse aufgrund der hohen Kollektivvertragsabschlüsse. Dies gilt jedoch nicht für Arbeitslose. Der Einkommensverlust aufgrund der Nettoersatzrate von 55 % wird dadurch verstärkt, dass bei Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht das letzte Gehalt, sondern das Einkommen im Vorjahr für die Berechnung herangezogen wird. Aktuelle Lohnerhöhungen werden somit bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes nicht wirksam. Dies bewirkt eine tatsächliche Nettoersatzrate gegenüber dem Letztgehalt von weniger als 50 %. Die ohnehin schon deutlich erhöhte Armutsgefährdung im Falle von Arbeitslosigkeit wird dadurch noch weiter erhöht. Die Anhebung der Nettoersatzrate auf 70 %, eine Inflationsanpassung aller Leistungen bei Arbeitslosigkeit und eine Neuregelung der Berechnung sind daher ein absolutes Muss.

Portrait von Silvia Hofbauer. im Interview über Zwischenparken beim AMS.
Langzeitarbeitslose sind besonders von Armut bedroht, betont AK-Expertin Silvia Hofbauer. Lösungen liegen auf dem Tisch. | © Markus Zahradnik

Endlich mehr Ausbildung

Da die Zunahme des Arbeitskräftepotenzials fast ausschließlich auf Zuwanderung zurückzuführen ist, stellt die Qualifizierung von Menschen mit Migrationshintergrund, in hohem Ausmaß mit einer nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft, eine der großen Herausforderungen für 2024, aber auch für die Folgejahre dar. Vor allem jenen, die sich bereits in Österreich befinden, muss die Politik einen guten Zugang zum Arbeitsmarkt und den notwendigen Kompetenzen ermöglichen. Die Vermittlung von guten Deutschkenntnissen und die Anerkennung von mitgebrachten formalen oder informell erworbenen Kompetenzen müssen erleichtert werden. Die jüngsten Anstrengungen der Bundesregierung, wie das Aufstocken der Mittel für das Arbeitsmarktservice für Flüchtlinge oder höhere Förderungen für Anerkennungen, sind ein richtiger Schritt, aber es braucht noch mehr an Unterstützung, nicht nur im Jahr 2024.

Dies umso mehr, als eine kürzlich erschienene SORA-Studie im Auftrag des AMS zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund ebenso wie Ältere und Langzeitarbeitslose auch bei guter Arbeitsmarktlage größere Schwierigkeiten haben, eine Beschäftigung zu finden, da Diskriminierungen im Arbeitssuchprozess noch immer üblich sind. Und das, obwohl Unternehmen und Arbeitgebervertretungen permanent den Fachkräftemangel beklagen. Gleichzeitig nimmt auch die Aus- und Weiterbildungsbereitschaft der Unternehmen stark ab – wer aber Fachkräfte braucht, muss sie auch ausbilden.

Heben der Stillen Reserve

Um Arbeitskräfte zu finden, muss die Politik an mehreren Stellschrauben drehen. Neben guten Arbeitsbedingungen und fairer Bezahlung geht es beispielsweise auch um die öffentliche Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, bezahlbaren Wohnraum oder soziale Infrastruktur, wie Kinderbetreuung. Nur unter diesen Bedingungen können auch jene Menschen wieder in den Arbeitsmarkt kommen, die zur sogenannten „stillen Reserve“ zählen. Damit sind vor allem viele Frauen gemeint, für die die Aufnahme einer Arbeit aus den oben erwähnten Gründen derzeit de facto nicht möglich ist. In Summe betrifft dies laut einer WIFO-Studie etwa 312.000 Menschen, also deutlich mehr als derzeit beim Arbeitsmarktservice arbeitslos gemeldet sind.

Unternehmen und Arbeitgebervertretungen beklagen
permanent den Fachkräftemangel beklagen,
aber wer Fachkräfte braucht, muss sie auch ausbilden.

Silvia Hofbauer

Der Aktivierung dieser Personen schenkt die Politik derzeit zu wenig Aufmerksamkeit. Selbst jene Bundesländer, die derzeit eine geringe Arbeitslosigkeit haben, wie etwa Salzburg oder Tirol, verfügen über ein großes Potenzial, das es zu heben gilt. Dazu braucht es innovative Modelle, individuelle Angebote und eine proaktive Beratung durch das AMS. Mit dem derzeitigen Personalstand und dem aktuellen Budget wird es für das AMS schwierig, sich um diese Personengruppe zu kümmern. Massive Kürzungen konnten zwar verhindert werden, auch wurde der Personalabbau auf fünf Jahre gestreckt, was die Bewältigung der aktuellen Aufgaben erleichtert. Für eine Ausweitung der AMS-Agenden und die dafür notwendigen Mehrausgaben braucht es jedoch ein höheres AMS-Budget und mehr Personal für das AMS.

Bewältigung der Klimakrise auch am Arbeitsmarkt

Eine große Herausforderung ist auch der Beitrag der Arbeitsmarktpolitik zu den Herausforderungen der Klimakrise. Die Antwort muss eine soziale und ökologische Arbeitsmarktpolitik sein. Es geht darum, Arbeitnehmer: innen ausreichende Chancen zu geben und sie abzusichern, wenn neue Geschäftsfelder Arbeitsplätze gefährden oder sie deutlich verändern. Der Beitrag von Arbeitnehmer:innen ist unverzichtbar, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Der Erwerb der dafür notwendigen Qualifikationen, wie beispielsweise bei der Montage von Solarpaneelen oder der Installation von Wärmepumpen, muss ermöglicht und existenziell gut abgesichert erfolgen. Unternehmen müssen diese in während der Arbeitszeit anbieten, für Arbeitssuchende muss die Existenzsicherung während der Ausbildung deutlich verbessert werden.

Letztlich wird es auch im Jahr 2024 darum gehen, denjenigen Menschen eine Chance zu geben, für die der (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt schwierig ist. Das sind Langzeitbeschäftigungslose, die Möglichkeiten für den Wiedereinstieg, vor allem bei gemeinnützigen oder öffentlichen Arbeitgebern, also eine Jobgarantie brauchen (auch eine Europäische Jobgarantie wird angedacht). Ab 1.1.2024 kommt eine weitere Gruppe hinzu. Es sind handelt sich um junge Menschen mit Behinderungen, die bis zu ihrem 25. Geburtstag nicht mehr als arbeitsunfähig eingestuft werden dürfen, wenn sie dies nicht selbst beantragen. Für diese Menschen braucht es zusätzliche, individuell angepasste Angebote, damit die im Gesetz vorgesehenen Chancen auch tatsächlich zum Leben erwachen können. Auch dafür sind personelle und budgetäre Ressourcen nötigt.

Der demografische Wandel wird uns weiterhin beschäftigen und es wird notwendig sein, an besseren Rahmenbedingungen und der Attraktivität von Arbeitsplätzen zu arbeiten. Zusätzlich muss Qualifizierung für alle auf dem Arbeitsmarkt möglich und leistbar sein. Und es braucht gute Maßnahmen, um auch jenen, die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, die es schwer haben. Genug Herausforderungen für 2024!

Zur Autorin
Silvia Hofbauer ist Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien

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