Wie aus Minenarbeiter:innen von Prodeco grüne Rebellen wurden

Ein dreckiger Helm liegt am Rande einer Kohlemine in Kolumbien.
Aus den Beschäftigten der Kohleminen von Prodeco wurden Genossenschaftler:innen. | © Adobestock/Daniel
In Kolumbien schließt ein Großkonzern plötzlich mehrere Kohleminen. Die Geschichte des Gewerkschafters Robinson Baez erzählt, wie die Beschäftigten so Pionier:innen einer grünen Wende wurden.
Nordkolumbien. Ein Vormittag im April 2020, inmitten der COVID-Pandemie. Tausende Beschäftigte des Kohlekonzerns Prodeco, einer zwielichtigen Tochterfirma des Schweizer Bergbauriesen Glencore, werden telefonisch vor die Wahl gestellt. Entweder sie stimmen dem Kündigungsplan „freiwillig“ zu, oder sie werden entlassen. Zwei Stunden haben sie Zeit, um zu entscheiden. Zusätzlich zur offenen Drohung lockt der Konzern mit einer Einmalzahlung von umgerechnet 11.000 Euro. Aus Angst und Verzweiflung stimmen viele Arbeiter:innen zu. Doch einige bereits im Vorfeld gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte halten dagegen. Um die 50 Personen, darunter auch Robinson Baez aus der Gewerkschaft Sintracarbón, entschließen sich, gegen den Konzern und für einen sozial gerechten Ausstieg aus dem ausbeuterischen Kohlesektor zu kämpfen. So machten sie sich zu Pionier:innen einer „Just Transition von unten“.

Prodeco: Wenn der Kohleausstieg zur Katastrophe wird

Die plötzlichen Minenschließungen im Norden Kolumbiens zeigen auf dramatische Weise, wie die Energiewende nicht geschehen sollte. Neben den verzweifelten Beschäftigten hinterließ Prodeco den lokalen Gemeinschaften eine zerstörte Umwelt und gravierende Gesundheitsschäden. Der Abzug des internationalen Konzerns verursachte zudem ein wirtschaftliches Desaster, denn das Leben in der Region war vom Kohlebergbau abhängig, sagt Robinson Baez. „Viele Menschen verließen das Gebiet. Die Häuser wurden verkauft. Die Restaurants teilten die Öffnungszeiten unter sich auf, um zu überleben.“

Landschaft rund um eine Kohlemine in La Guajira im Norden Kolumbiens.
Eine Kohlemine in La Guajira im Norden Kolumbiens. | © Adobestock/camaralucida1

Die Regierung war vollkommen überrumpelt und aufgrund fehlender gesetzlicher Schließungsregelungen machtlos. Somit konnte sich der Konzern einfach aus der angerichteten sozialen und ökologischen Katastrophe zurückziehen. Aber nach Angaben von Robinson Baez nutzte Prodeco die Schließung nur als Vorwand, um die Ausbeutung noch zu verstärken. So schuf der Konzern angeblich ein Netzwerk aus Kleinunternehmen, welche die Minen weiterbetrieben, und nutzte dafür auf perfide Weise die Not der gefeuerten Arbeiter:innen aus. „Sie fragten: ‚Willst du Arbeit? Ja? Aber du wirst nicht mehr direkt bei der Firma arbeiten. Außerdem werde ich dein Gehalt kürzen. Wenn nicht, bleibst du eben auf der Straße‘“, erzählt Robinson. Die Kleinunternehmen würden die Kohle dann billig an den Konzern verkaufen, der damit auf dem Weltmarkt satte Gewinne einstreiche – auf Kosten der Umwelt und der verzweifelten Beschäftigten.

Kohlearbeiter:innen drücken die Schulbank

Trotz des massiven Machtungleichgewichts erzielten die Gewerkschaften Erfolge gegen den Konzern. Sie konnten Prodeco gerichtlich zur Rücknahme der Entlassungen sowie zu Lohnfortzahlungen für Gewerkschaftsmitglieder und kranke Arbeiter:innen zwingen. Das schuf erst mal Raum für einen Blick nach vorne. Und den nutzten Robinson Baez und seine Kolleg:innen. Ab dem Jahr 2021 entwickelten sie in Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam der lokalen Universität, der Universidad de Magdalena, ein Umschulungsprojekt und den ersten „Diplomlehrgang für eine gerechte Bergbau- und Energiewende“ Kolumbiens. Der Lehrplan setzt am Wissen der Beschäftigten an und thematisiert eine breite Palette an Inhalten. Zum Beispiel technische Kurse zu erneuerbaren Energien sowie ökonomische und juristische Kurse zu Unternehmensgründung und Management.

Finanzielle Hilfe kam dabei von der Heinrich-Böll-Stiftung und der niederländischen Gewerkschaft CNV. Der erste Lehrgang endete im November 2023. Neben 20 ehemaligen Kohlearbeiter:innen schlossen ihn auch 20 Frauen und indigene Menschen aus der Region ab. Einer der beteiligten Gewerkschafter sagt im Rückblick: „Wir bekamen eine klarere und umfassendere Vision davon, wie die Energiewende angegangen werden sollte – nicht nur in Kolumbien, sondern weltweit. Als Arbeiter:innen in der Industrie waren wir immer sehr auf technische Fragen konzentriert, aber im Diplomkurs wurde unser Blick für soziale, ökologische und globale Fragen der Energiewende geöffnet.“

Grüne Genossenschaft statt Konzern

Mit dem erlangten Wissen gründeten 23 der Absolvent:innen im März 2024 „Coomustier“ – eine grüne Genossenschaft. Die Unternehmensform ermöglicht nicht nur betriebliche Mitbestimmung für alle Mitglieder, sondern auch ein solidarisches Aufteilen der Einnahmen. Die Genossenschaft bietet technische Services an, vor allem im Bereich der erneuerbaren Energien, und nutzt dazu die breite Expertise und langjährige Erfahrung ihrer Mitglieder. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der Profit, sondern der soziale Beitrag für die lokale Gemeinschaft, betont Mitbegründer José María Ladeut. „Was wir mit dieser Genossenschaft wollen, ist, zur Gesellschaft etwas beizusteuern. Wenn es gut funktioniert, könnte es ein Pilotprojekt sein, sodass andere Gemeinden unserem Modell folgen können.“

So will die Genossenschaft nicht nur solide Arbeitsplätze schaffen, sondern auch den Energiezugang indigener Gemeinschaften vorantreiben. Darüber hinaus ist Bildung ein wesentliches Tätigkeitsfeld, unterstreicht Robinson Baez: „Die Genossenschaft erfüllt mich mit großer Hoffnung, darin sehe ich die Zukunft von Umschulung und beruflicher Bildung.“ Dabei geht es vor allem um die Ausbildung von Arbeitslosen und die Umschulung ehemaliger Kohlearbeiter:innen. Finanzielle Starthilfe gab es dazu von CNV, der Umweltorganisation 350.org sowie der Ford Foundation. Erster Kunde ist die Universidad de Magdalena, mit dem Auftrag, den Bildungsbedarf im Kohlesektor zu ermitteln und erste Umschulungskurse zu geben.

Prodeco: Kapital versus Kohle

Mit der Gründung einer grünen Genossenschaft haben die ehemaligen Kohlearbeiter:innen einen großen Erfolg erkämpft, der die Bedeutung gesellschaftlicher Solidarität und internationaler Zusammenarbeit unterstreicht. Dabei soll es aber nicht bleiben: Die Pionier:innen wollen ihre Genossenschaft zum Modell eines sozial gerechten Kohleausstiegs in Kolumbien machen. Möglichkeiten sieht Robinson Baez dafür viele. Er, ein Eisenbahner, könne beispielsweise im Ausbau öffentlicher Verkehrsnetze mitwirken: „Jetzt, wo Präsident Petro ein öffentliches Eisenbahnnetz schaffen will, könnten wir die nötigen Arbeitskräfte trainieren.“

Zudem starten einige Mitglieder 2025 eine Ausbildung zum:zur Ingenieur:in für erneuerbare Energien. Darin lernen sie die Planung und Installation erneuerbarer Energiesysteme, womit die Genossenschaft unter anderem den Aufbau von Energiegemeinschaften in ländlichen Regionen unterstützen will. Dafür braucht es aber vor allen Dingen eine Finanzierung. Zwar sei der Austausch mit den staatlichen Stellen dazu im Grunde positiv, aber letztlich fehle dem Staat das Geld für die nötigen umfassenden Investitionen. Erschwerend komme hinzu, dass starke Kapitalinteressen den Kohleausstieg in Kolumbien blockieren. „In Wahrheit hängt das nicht an Kolumbien“, meint Robinson Baez. „Es hängt am globalen System und an den Ländern und Konzernen, die weiter von der Kohle profitieren wollen.“

Es geht nur gemeinsam

Für einen sozial gerechten Übergang braucht es also sowohl die Schaffung finanzieller Spielräume als auch ein Ende der Ausbeutung. Dafür muss der Globale Norden endlich schon lange notwendige Maßnahmen ergreifen. Vorschläge liegen auf dem Tisch: einen Schuldenschnitt für den Globalen Süden, strengere Regulierungen internationaler Konzerne, eine gerechte Handelspolitik sowie umfassende Klimakompensationen. Schlussendlich zeigen die Erfahrungen in Kolumbien, dass eine sozial gerechte Energiewende nur global erkämpft werden kann. Aber wie kommen wir dahin? Durch internationale Solidarität im Arbeitskampf, meint Robinson Baez. „Wenn wir Arbeiter:innen in der Welt nicht vereint sind, werden die notwendigen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Veränderungen nicht stattfinden.“

Eine kurze Geschichte über den Rohstoffabbau in Kolumbien
Die gewaltvolle Geschichte des Rohstoffabbaus für den Export geht in Kolumbien zurück bis in die Kolonialzeit. Zwangsarbeit, brutale Vertreibungen und Umweltzerstörung gelten als Treiber des internen Konflikts. Im Norden vertrocknen ganze Regionen wegen des Kohleabbaus, und vielerorts vergiftet Quecksilber für den Goldabbau Flora und Fauna. Es sind vor allem Gold, Smaragde, Öl und Kohle, aber zunehmend auch Mineralien wie Kupfer, die internationale Bergbaukonzerne wie Glencore oder AngloGold Ashanti anlocken. Fast alles davon wird exportiert.

Auch der Großteil der Profite fließt zu den Konzernen im Globalen Norden. Auf die geringen Steuereinnahmen ist die Regierung in der Hauptstadt Bogotá finanziell stark angewiesen. Noch abhängiger sind die betroffenen Regionen: Im Norden Kolumbiens macht allein der Kohlesektor bis zu 40 Prozent des BIP aus. Während die meisten Einnahmen abfließen, leiden die Abbauregionen umso stärker unter den bereits genannten Auswirkungen, allen voran indigene und afrokolumbianische Volksgruppen. Widerstand gegen die Ausbeutung unterdrücken die Konzerne regelmäßig mithilfe von Gangs und rechten Milizen, und so sind Entführungen und Morde an Gewerkschafter:innen und sozialen Aktivist:innen an manchen Orten fast alltäglich. In diesem zerrütteten Kontext gibt es nur eine Gewissheit: Wo der Bergbau ankommt, folgt die Zerstörung.

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Über den/die Autor:in

Jakob Rammer

Jakob Rammer studiert Internationale Entwicklung und forscht zu Rohstoffabhängigkeiten und grünem Wasserstoff in Lateinamerika. Im Jahr 2023 begleitete er den Widerstand gegen ein geplantes Kupferbergwerk in Jericó und beschäftigte sich zudem mit dem Kohleausstieg in Nordkolumbien und dessen sozial-ökologischen Folgen.

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