Die Herausforderung ist schnell erklärt: Österreichs Gesellschaft altert und das rasant. Bis 2050 wird der Anteil der Menschen über 80 Jahren laut Prognosen auf 11,5 Prozent der Bevölkerung steigen, also auf mehr als das Doppelte wie noch 2015. Spürbar für das Pflegesystem wird das bald: Denn die „Babyboomer-Generation“ der Nachkriegszeit verabschiedet sich innerhalb der nächsten fünf Jahre aus dem Erwerbsleben und wird in zehn bis 20 Jahren ihrerseits pflegebedürftig sein. Das WIFO rechnet in Prognosen damit, dass sich die Kosten für Pflege von 2025 bis 2050 verdreifachen werden, die öffentlichen Ausgaben für Pflege dürften dann bei neun Milliarden Euro liegen.
Rechtsanspruch Pflegegeld
Grundsätzlich werden in Österreich pflegebedürftige Menschen durch Geldleistungen, das Pflegegeld, und Sachleistungen, wie Plätze in Pflege- und Altenheimen und sozialen Diensten, unterstützt. Eine wichtige Säule des Pflegesystems ist das 1993 eingeführte Pflegegeld. Damals bezogen diese Leistung rund 299.000 Personen, Ende 2018 waren es bereits 461.000 Menschen.
[infogram id=“aandw-online-pflege-pflegegeldbezieherinnen-1hmr6gj0xyrz6nl?live“]€ 2,2 Mrd.
Die Hälfte der Beziehenden befindet sich in den ersten beiden Stufen, ein Sechstel in der dritten und ein weiteres Siebtel in der vierten Pflegestufe und nur zwei Prozent in der höchsten Pflegestufe. Die Einstufung erfolgt im Auftrag der Pensionsversicherungsträger durch medizinische Gutachter. Doch immer wieder gibt es Beschwerden, dass der Pflegebedarf zu gering eingestuft wird. Die AK bietet seit heuer in Kooperation mit dem KOBV ihren Mitgliedern einen kostenlosen Rechtsschutz, um Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.
Formen der Pflege
In Österreich gibt es verschiedene Pflegedienstleistungen, die unterschieden werden können:
Mobile Dienste | Darunter werden medizinische und soziale Hauskrankenpflege verstanden, die Unterstützung bei der Haushaltsführung sowie die soziale Betreuung. |
Teilstationäre Dienste | Dazu zählen Tageszentren, Tagesbetreuung sowie die Tagespflege für betreuungs-/pflegebedürftige Personen. |
Stationäre Dienste | Unter stationären Diensten werden alle Wohnformen mit einer 24-Stunden-Präsenz der Pflege und Betreuungskräften verstanden. |
Kurzzeitpflege | Von Kurzzeitpflege spricht man, wenn es sich um befristete Pflege- und Betreuungsdienstleistungen handelt. |
Alternative Wohnformen | Hierunter fallen alle Wohnformen mit einer nicht durchgehenden Präsenz von Pflege- und Betreuungskräften. |
Case- und Caremanagement |
Unter diesem Überbegriff werden Beratungsdienstleistungen zusammengefasst, die mobil oder ortsgebunden und „gesondert“ erbracht werden, also nicht in mobilen Angeboten inkludiert sind. |
Bedarf an Pflegekräften
Laut dem Österreichischen Pflegevorsorgebericht 2017 des Sozialministeriums werden österreichweit 149.442 Personen durch mobile Dienste und 82.485 Personen durch stationäre Dienste betreut. Dem gegenüber stehen die Zahlen des Pflegepersonals: 21.725 Personen arbeiten für mobile Dienste, 43.459 für stationäre Dienste.
[infogram id=“aandw-online-pflege-personen-und-personal-1hmr6gj0zm0z6nl?live“]Bedarf an 40.000 neuen Pflegekräften
Um jedoch den zu Beginn beschriebenen erhöhten Pflegebedarf zu bewältigen, bedarf es bis 2050 rund 40.000 neuer Pflegekräfte. Es gilt jedoch nicht nur, neues Personal zu lukrieren, sondern die bereits Beschäftigten auch in der Pflege zu halten. Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen sehen nämlich etwa 60 Prozent der Beschäftigten in Österreich die Pflege nicht als langfristigen Arbeitsbereich, wie Heidemarie Staflinger aus der AK Oberösterreich berichtet. Generell gilt die Branche als nicht sehr attraktiv. Je nach Form der Pflege gibt es unterschiedliche Ursachen dafür.
Häusliche Pflege durch Angehörige
Ein Anker im österreichischen Pflegesystem sind die pflegenden Angehörigen. Denn knapp über 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. Rund zehn Prozent der österreichischen Bevölkerung zählt zu den pflegenden Angehörigen (insgesamt rund 947.000 Personen). Diese Pflege geschieht informell, das heißt außerhalb einer selbstständigen oder unselbstständigen Erwerbstätigkeit, und somit unbezahlt. „Pflegende Angehörige leisten einen unglaublichen gesellschaftspolitischen Beitrag. Ein (Erwerbs-)Einkommen erhalten sie dafür nicht“, so Ursula Janesch, Referentin im Referat Sozialrecht und -politik der Arbeiterkammer Niederösterreich.
62 Jahre
Pflegende Angehörige leisten einen unglaublichen gesellschaftspolitischen Beitrag. Ein (Erwerbs-)Einkommen erhalten sie dafür nicht.
Ursula Janesch, AK Niederösterreich
Genaue Zahlen dazu, wie viel Zeit Personen für die Pflege ihrer Angehörigen aufwenden, gibt es kaum. Lediglich Zeitverwendungsstudien, die im Abstand von zehn Jahren durchgeführt werden, geben Hinweise darauf, indem sie aufzeigen, wie viel Zeit verschiedene Bevölkerungsgruppen für unterschiedliche Tätigkeiten pro Tag aufwenden. In Österreich fand die letzte Zeitverwendungsstudie 2008/2009 durch die Statistik Austria statt. Diese Untersuchung unter 8.000 Befragten erlaubt Aufschlüsse über Bereiche, über die es relativ wenige Daten gibt.
Daraus ist ersichtlich, dass 1,5 Prozent der Frauen kranke Erwachsene pflegen und dafür durchschnittlich 1 Stunde 18 Minuten pro Tag aufwenden. Unter Versorgung fällt etwa Verbandwechseln und Fiebermessen, die Verabreichung von Medikamenten oder die Begleitung zum Arzt. Männer sind aufgrund zu niedriger Fallzahlen nicht in der Statistik ausgewiesen. Aktuellere Zahlen gibt es nicht.
Ob sich angesichts des demografischen Wandels an diesen Werten etwas verändert hat, werden wir aber wohl auch nicht so schnell erfahren. Die Regierung plant in der laufenden Gesetzgebungsperiode keine Zeitverwendungserhebung.
Alternativen sind gefragt
Die öffentliche Hand muss angesichts der immer weniger werdenden pflegenden Familienmitglieder also an Alternativen denken. Dazu können Pflegedienstleistungen zählen. Zurzeit befindet sich Österreich bei öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen mit 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im unteren Drittel, die Skandinavier wenden das Doppelte auf.