Die junge Gewerkschafterin trägt ihre Haare in einem feurigen Kupfer. An den Ohren baumeln zwei unterschiedliche Ohrringe, ein weißer Eyeliner betont die blauen Augen. Als sie hört, dass es im Gespräch heute um sie gehen soll, lacht Gsaller kurz auf. „Na bumm. Das wird interessant“, sagt sie. „Ich rede lieber über meine Inhalte.“ Sie stehe ungern im Mittelpunkt, und doch begibt sie sich dorthin, wenn es darum geht, für andere etwas zu erreichen.
Pia Gsaller: Über Angst und Jugend
Aufgewachsen ist Pia Gsaller im Kärntner Mölltal, unweit des Großglockner-Massivs, mit fünf Geschwistern. Sie weiß, was Zusammenhalt bedeutet. Der Vater ist Buchhalter, die Mutter Hausfrau, und zwischen den Geschwistern gibt es große Altersunterschiede. Zwischen ihrer ältesten Schwester und dem jüngeren Bruder liegen 16 Jahre. „Ich bin ein klassisches Sandwich-Kind“, sagt Gsaller lächelnd.
Wer die junge Frau heute selbstbewusst auf Bühnen sprechen sieht, könnte meinen, sie wäre immer schon ein Mensch gewesen, der andere um sich versammelt und Führungsqualitäten zeigt. Aber da schüttelt Pia Gsaller energisch den Kopf: „Ich war keines der coolen Kids“, sagt sie. „Meine ganze Jugend war von Mobbing geprägt, das hat schon im Kindergarten angefangen.“
Beleidigungen, körperliche Übergriffe und Ausgrenzung – das seien die prägendsten Erinnerungen an ihre Schulzeit in einer katholischen Privatschule. „Es heißt immer, solche Erfahrungen wie Mobbing machen einen stärker“, sagt Gsaller, „aber das ist Blödsinn. Es ist schlimm, wie viele Menschen so etwas erleben müssen.“ Eine ihrer Schwestern sei ihr in dieser Zeit eine große Stütze gewesen. „Sie hat immer gesagt, ich bin gut so, wie ich bin. Und wenn sie das sagte, dann hat mir das gereicht. Mir war wichtig, was sie denkt.“ Noch heute sei das Band zwischen ihnen eng, die beiden leben gemeinsam in einer Wohngemeinschaft in Wien-Ottakring.
Stark sein für andere
Die Mobbingerfahrungen haben Spuren in Pia Gsallers Leben hinterlassen. Lange fühlte sie sich unsicher in neuen Gruppen und gegenüber Menschen, die sie nicht kannte. „Ich hatte Angst, dass mich Leute verurteilen, wenn ich etwas sage, und dass sie mich dauernd bewerten.“ Anstatt in dieser Angst zu verharren, entschied sie sich, in die Offensive zu gehen: Die Gewerkschaftstätigkeit eröffnete ihr die idealen Möglichkeiten dafür. Sie meldete sich für Vorträge an, griff bei Veranstaltungen bewusst zum Mikrofon und begab sich absichtlich in neue soziale Gruppen wie neue Freundeskreise. Für Gsaller gab es nur einen Weg: die Herausforderung annehmen.
Was sie antrieb, ihre Komfortzone zu verlassen, war der Wunsch, sich für andere einzusetzen. Und dafür musste sie präsent, energisch und manchmal auch laut sein. Schon als Jugendliche eckte sie immer wieder mal an: Die „richtige“ Kleidung sei zum Beispiel ein häufiger Streitpunkt mit Lehrenden gewesen. „Haut ist nicht automatisch sexuell“, findet Gsaller, „warum muss ich im Sommer dann meine Beine bedecken? Wenn jemand ein Problem mit nackter Haut hat, muss er an sich arbeiten.“
Das ist etwas, was ältere Kolleg:innen
von der Jugend lernen können:
ein bisschen direkter sein und mehr fordern.
Pia Gsaller, Gewerkschafterin
Nach der Matura ging Gsaller nach Wien, um Theater-, Film- und Medienwissenschaft zu studieren. Doch nach dem ersten Jahr im Studium merkte sie: „Das ist alles so theoretisch. Was mache ich mit dem Studium danach? Ich wollte etwas Praktisches lernen.“ So landete sie 2021 in der Lehre bei den ÖBB.
Pia Gsallers Weg in die Gewerkschaft
Und wie hat es eine junge Frau aus Kärnten dann in die Gewerkschaft verschlagen? Bei der Frage lacht Pia Gsaller auf. Überhaupt lacht sie bei dem Gespräch viel. „Ich habe noch nie von der Gewerkschaft gehört, bis sich diese bei uns bei den ÖBB vorgestellt hat“, gesteht sie – sie hätte aber gleich Mitglied werden wollen. Dann ging alles recht schnell: Gsaller fiel auf – mit ihrer Meinung, ihrem Mut, ihrem Lautsein und auch mit ihrem Einfühlungsvermögen. Sie wurde gefragt, ob sie sich nicht auch bei den ÖBB engagieren wollte, und kurze Zeit später wurde sie zur Vorsitzenden der Konzernjugendvertretung gewählt. Nach über zwölf Jahren stand damit erstmals wieder eine Frau an deren Spitze.
Anfangs habe sie sich in den Betriebsratssitzungen und Gremien fehl am Platz gefühlt, erzählt Gsaller. „Da sitzen vor allem ältere Männer, die Dinge schon immer auf eine bestimmte Weise gemacht haben und sich extrem gut auskennen. Und dann komme ich – ein Lehrling – und sitze da dabei.“ Von den älteren, erfahreneren Kolleg:innen hätte Gsaller aber auch viel gelernt. Wie man mit Chefs umgeht, Texte und die eigenen Anliegen innerhalb des Unternehmens oder an die Führungsebene richtig formuliert. Oder wie man mit Lehrlingen spricht. Gsallers Rechtswissen wurde durch Vorträge und Lehrgänge geschult, sie musste schließlich wissen, in welchen Bereichen sie überhaupt aktiv werden kann. „Außerdem musste ich lernen, dass auch Kompromisse ein wichtiger Teil unserer Arbeit sind“, sagt sie und lacht erneut. „Das war für mich am Anfang nicht immer leicht.“
Aber es gebe auch Themen, bei denen sie nicht bereit sei, Kompromisse einzugehen. Sexuelle Belästigung ist eines davon. Auch damit hat sie sich bei ihrer Gewerkschaftsarbeit schon beschäftigt. „Da bin ich dann emotional und fordernd“, sagt sie. „Das ist etwas, was ältere Kolleg:innen von der Jugend lernen können: ein bisschen direkter sein und mehr fordern. Ich glaube nicht, dass wir Jungen es unbedingt besser machen. Aber wir sollten uns alle gegenseitig mehr zuhören – wirklich hören, was die anderen sagen wollen.“
Veränderung bewirken
Mit ihrer konsequenten Art konnte die junge Frau bei den Bundesbahnen einiges bewegen. Unter ihrer Leitung wurde zum Beispiel ein Projekt initiiert, das kostenlose Menstruationsartikel zur Verfügung stellt. Bald werden diese für ÖBB-Lehrlinge in ganz Österreich zugänglich sein. Außerdem haben Lehrlinge jetzt Vorrang bei der Vergabe von ÖBB-Wohnungen. Und jene mit einer bereits abgeschlossenen Ausbildung starten mit einem höheren Einstiegsgehalt.
Pia Gsaller sagt von sich selbst gern, sie sei „goschert“ – und dabei schwingt ein bisschen Stolz in ihrer Stimme mit. Aber: „Ich hätte das alles nie allein schaffen können. Denn darauf kommt es bei dieser Tätigkeit an: Zusammenarbeit.“ Anfang dieses Jahres wurde sie für ihr Engagement mit dem „Next Generation Award“ der Mediengruppe Österreich ausgezeichnet. Im heurigen Sommer trat sie die Funktion der Vorsitzenden schließlich an ihre Nachfolgerin, die Oberösterreicherin Jana Borth, ab. Da Pia Gsaller seit 2022 bei der Österreichischen Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) tätig und Präsidiumsmitglied der Gewerkschaft vida ist, wird sie sich aber auch weiterhin für bessere Arbeitsbedingungen stark machen. „Die gewerkschaftliche Tätigkeit ist meine Herzensarbeit“, sagt Pia.
Auch 2025 wird die Konjunktur hinter den Erwartungen zurückbleiben.
Wie wir den Optimismus nicht verlieren, erklärt @adibuxbaum.bsky.social, Experte für Sozialpolitik in der @arbeiterkammer.bsky.social. 👇
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@aundwmagazin.bsky.social) 4. Januar 2025 um 09:00
Grenzen ziehen
Teilweise sei es durch die Mehrfachbelastung schwierig, eine Balance zwischen Beruf, Gewerkschaft und Privatem zu finden. Viele Entwürfe für Projekte habe Pia Gsaller in ihrer Freizeit verfasst. Finden Sitzungen oder Besprechungen während ihrer Arbeitszeit statt, so muss sie das Versäumte später eigenständig aufholen, um in der Lehre mitzuhalten.
Nicht zuletzt leiden ihre Hobbys. Dabei liebt Gsaller Horrorfilme: „Ich mag dieses Arge, das Außergewöhnliche und Unvorhersehbare.“ In ihrer Freizeit zeichnet sie gerne und erheitert die Klasse in der Berufsschule damit, in der Pause Disney-Figuren an die Tafel zu malen. Seit sie das Mikrofon in ihrer Hand nicht mehr scheut, liebt sie auch Karaoke. Ihr Lieblingssong ist „Breaking Free“ aus dem Film „High School Musical“, und sie performt ihn am liebsten mit ihrer Schwester.
Für die Zukunft sei ihr Wunsch sehr „basic“, wie sie es beschreibt. „Ich wünsche mir, dass wir alle etwas besser miteinander zurechtkommen. Egal, wo jemand herkommt, welche Sprache, Hautfarbe, Geschlecht oder Sexualität diese Person hat: Wir sind alle da, und dann könnten wir auch einfach eine gute Zeit zusammen haben“, erklärt sie. „It is not that deep“, fügt sie an.
Pia Gsaller: Menschen helfen als großes Ziel
Pia Gsallers großes Ziel ist es, Menschen zu helfen. Auch eine berufliche Zukunft in der Gewerkschaft könne sie sich gut vorstellen. Dabei sei ihr aber auch bewusst, dass sie ihr großes Herz gegen manche Dinge abschirmen müsse. „Ich stelle es mir bei meiner Gewerkschaftsarbeit immer so vor: Ich ziehe davor einen Mantel an und darauf landen all die Gefühle, Themen und das Mitgefühl. Und wenn ich heimgehe, ziehe ich den aus“, sagt sie. „Ich nehme alles auf, aber ich nehme es nicht mit nach Hause.“
Für sich selbst wünscht sich Pia Gsaller mehr Zeit in der Natur. Es ziehe sie raus aus der Stadt und langfristig auch weg von Wien. „Ich will Spazierengehen im Wald, ich will mehr Grün, mehr Wiesen.“ Zurück nach Kärnten wolle sie aber nicht unbedingt. Nachdem sie ihr Cola Light ausgetrunken hat, macht sich Pia Gsaller auf den Weg zurück in ihre Wohnung in Ottakring. „Ich finde es schön, nicht mitten in der Stadt zu sein und rauszukönnen“, aber das sei noch nicht grün genug.
„Dafür, dass ich nicht so gern über mich spreche, hab ich viel geteilt“, sagt sie am Ende des Gesprächs im Kaffeehaus. Pia Gsaller zieht sich ihren dicken braunen Mantel an, auf dem all die Probleme und Sorgen der jungen Kolleg:innen Platz haben, und verabschiedet sich mit einer Umarmung.
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