Pflegereform? Ja, aber

Eine Altenpflegerin am Krankenbett. Eine Pflegereform soll die Arbeitsbedingungen verbessern.
Die Arbeit in den Pflegeberufen kann physisch und psychisch extrem bealstend sein. | © Markus Zahradnik
Mit einem Maßnahmenbündel will die Bundesregierung die Pflegekrise abwenden. Ein erster Schritt ist getan, aber der Weg zu einer echten Pflegereform ist noch weit.
Die Aufregung war groß. Ausgerechnet am Tag der Pflege, dem 12. Mai, hat Bundesminister Johannes Rauch die Eckpunkte der Pflegereform vorgestellt. Genau zu dem Zeitpunkt, als Zehntausende in ganz Österreich für bessere Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen demonstriert haben. Nach Jahren des Reformstaus hat die Regierung eine Pflegemilliarde versprochen. Oder genauer gesagt: Zwei halbe Pflegemilliarden, jeweils 560 Millionen Euro für 2022 und 2023.

Die Überraschung über die Pflegereform war groß. Denn die Regierung hat dafür im Vorfeld weder mit den Arbeitnehmervertreter:innen der Pflegeberufe, noch mit Trägerorganisationen von Pflegeeinrichtungen wie der Volkshilfe, der Caritas oder mit dem Arbeiter-Samariter-Bund gesprochen. Was allen Betroffenen bleibt, ist die Möglichkeit, zu den Gesetzesentwürfen Stellungnahmen abzugeben. Die Frist dazu endete Dienstag, 21. Juni 2022.

Pflegereform als Maßnahmenbündel ohne Strukturanpassungen

Eine große Strukturreform wird es nicht geben. Das Kompetenzwirrwarr zwischen dem Bund, der die Pflegegelder bezahlt, den Ländern, die die Pflegeeinrichtungen finanzieren und den Gemeinden, die mal mehr, mal weniger zum Pflegesystem beitragen, bleibt unangetastet. Am Pflegefonds dürfen sich weiter alle bedienen, ohne dass dieser selbst gestaltend in das System eingreifen kann.

Die Pflegereform ist mehr ein Bündel an Maßnahmen, die punktuell helfen und die ärgsten Missstände kaschieren sollen. Das allerdings ohne langfristige Perspektive. Denn die zusätzliche Milliarde Euro stellt die Bundesregierung laut dem aktuellen Entwurf nur für die Jahre 2022 und 2023 in Aussicht. Darüber hinaus gibt es noch keine (bekannten) Pläne.

Pflegepersonal-Mangel und Pflexit

Das Pflegesystem steht und fällt mit dem Pflegepersonal. Im Jahr 2030 könnte das System in sich zusammenfallen. Denn bis dahin werden 76.000 Pflegekräfte zusätzlich gebraucht. Selbst die Bundesregierung stellt das im entsprechenden Gesetzesentwurf mit dem Titel „Bundesgesetz über einen Zweckzuschuss an die Länder für die Jahre 2022 und 2023 für die Erhöhung des Entgelts in der Pflege“ klar.

Die Gründe dafür sind hinlänglich bekannt. Schlechte Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung. Die Lebensqualität von Pflegekräften ist schlicht nicht zumutbar. Die Arbeit ist nicht nur physisch eine Extrembelastung, sondern auch psychisch. Eine aktuelle Studie der Arbeiterkammer Oberösterreich belegt das dramatisch. Im Jahr 2016 gaben vierzig Prozent der Pflegekräfte an, stark bis mäßig psychisch belastet zu sein. Im Jahr 2021 waren es bereits weit über fünfzig Prozent. Insgesamt sind die Bedingungen in den Pflegeberufen so schlecht, dass viele Beschäftigte ihren Beruf aufgeben. Mittlerweile wird bereits von einem Pflexit gesprochen.

Pflegereform bringt mehr Geld für Pflegende, mit großen Ausnahmen

Die Bundesregierung möchte nun einen finanziellen Anreiz setzen, um die Pflegeberufe zumindest finanziell attraktiver zu machen. Sie stellt dafür zwei Einmalzahlungen über etwa 2.100 Euro pro Vollzeitkraft in den Jahr 2022 und 2023 in Aussicht. Das ist ein schöner Betrag. Aber wie wird es in den Jahren danach aussehen? Planungssicherheit haben die Beschäftigten so nicht. Weiters kritisieren Expert:innen, dass Heimhilfen und Behindertenbegleiter:innen von der Einmalzahlung ausgeschlossen werden.

Eine Betreuerin in der Heimpflege zieht einer Pensionisten die Schuhe an. Die Pflegereform soll die Arbeitsbedingungen verbessern.
2022 und 2023 soll es für Pflegeberufe eine Einmalzahlung geben. Heimhilfen und Behindertenbegleiter:innen sind allerdings davon ausgenommen. | © Adobe Stock/Johnér

Geld soll es auch für pflegende Angehörige geben. Diese sollen 2023 einen Bonus von 1.500 Euro bekommen. Allerdings erst ab Pflegestufe vier. Pensionist:innen, die pflegen, sind davon ausgeschlossen. Übrig bleiben lediglich 30.000 von über einer Million pflegender Angehöriger, die den jährlichen Bonus erhalten können.

Deprofessionalisierung der Pflegeberufe

Eine besondere Rolle im System spielen die Pflegeassistenzberufe. Sie haben eine kürzere Ausbildung, weit weniger Kompetenzen als das diplomierte Personal und entsprechend weniger Gehalt. Das soll im Rahmen der Pflegereform geändert werden. Die Kompetenzen der Pflegeassistenz sollen nämlich deutlich verbreitert werden.

Mehr Kompetenzen, aber das ohne zusätzliche Ausbildungszeit? Das wird nicht gutgehen. Der ÖGB warnt in seiner Stellungnahme eindringlich davor. Und argumentiert, dass mit geringerer Qualifikation die Risiken steigen. Mehr (vermeidbare) Todesfälle und Infektionen drohen. Umgekehrt führt erhöhte Qualifikation des Pflegepersonals zu weniger Komplikationen, weniger Wiederaufnahmen und reduziert die langfristigen Kosten, wie Claudia Neumayer-Stickler erklärt. Sie ist ÖGB-Pflegeexpertin. Die Deprofessionalisierung der Pflege durch die Kompetenzerweiterungen in den Assistenzberufen diene nur der Kosteneinsparung, kritisiert der ÖGB.

Pflegeausbildung soll finanziell attraktiver werden

Gerade als Quereinsteiger:in muss man es sich derzeit regelrecht leisten können, eine jahrelange Pflegeausbildung überhaupt finanzieren zu können. Dem will die Bundesregierung Abhilfe verschaffen. Wer eine Pflegeausbildung beginnt, soll in Zukunft 600 Euro monatlich als Zuschuss bekommen. Umsteiger:innen gar 1.400 Euro, wenn die Ausbildung vom AMS gefördert wird – das wurde ursprünglich bei der Präsentation der Reform zumindest angekündigt. Die Ausbildungsjahre werden allerdings nicht für die Pension angerechnet.

Auch die Pflegelehre ist – wieder – im Gespräch. Dazu sollen „Erfahrungen in einer Modellregion“ gesammelt werden, so Bundesminister Rauch. Dahinter stehen vor allem das Bundesland Vorarlberg und die Wirtschaftskammer. Sehr zum Ärger der Arbeiterkammer. Die möchte junge Menschen, für die gerade die psychische Belastung deutlich höher ist als für ältere, schlicht nicht verheizen. Außerdem mangelt es laut dem Gesundheits- und Krankenpflegeverband nicht an Ausbildungsplätzen, sondern an Bewerber:innen.

Vorarlberg will sich als Modellregion für die Pflegelehre ein Beispiel an der benachbarten Schweiz nehmen. Wo allerdings der einzige Weg in die Pflegeberufe über die Lehre führt. Die hat zudem allgemein ein höheres Ansehen, wie Silvia Rosoli, Leiterin der Abteilung Pflegepolitik der AK Wien, gegenüber der Wiener Zeitung ausgeführt hat.

Pflegereform: Ja, bitte endlich

Letztendlich bleibt die Pflegereform der Bundesregierung das schuldig, was eine echte Reform ausmachen würde. Also tiefgreifende Änderungen auf Basis eines breiten Dialogs mit Vertreter:innen der pflegenden Angehörigen, der Pflegekräfte und der Pflegeeinrichtungen. Ein aktueller Meinungscheck der Institute Gallup und WIFO zeigt, dass genau das auch die Bevölkerung fordert. Fast zwei Drittel der Österreicher:innen sind der Meinung, dass sich die Politik dringend und mit hoher Priorität mit den Fragen der Pflege beschäftigen soll. Kurz gesagt, es braucht mehr Anstrengungen als populistisch eine „Pflegemilliarde“ am „Tag der Pflege“ zu verkünden. Um die zentralen Probleme anzugehen, hat der ÖGB einen 10-Punkte-Plan für Österreich herausgegeben.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erschien ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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