Arbeit&Wirtschaft: Wir werden älter und pflegebedürftiger, die Kosten für die öffentliche Hand steigen. Vor welchen langfristigen Herausforderungen stehen wir?
Ulrike Famira-Mühlberger: Die Herausforderung liegt hauptsächlich in der Demografie. Die Pflegefinanzierung wird teurer, weil die Kosten steigen werden, auch weil man künftig Pflegekräften höhere Löhne zahlen muss, um genügend Fachkräfte in den Pflegeberuf zu bekommen. In der Öffentlichkeit ist meines Erachtens ein falsches Bild entstanden. Es wird so getan, als bräuchte man nur ein anderes Finanzierungssystem und die Sache erledigt sich, was aber nicht so ist. Es ist ganz klar, dass eine alternde Gesellschaft eine andere öffentliche Ausgabenstruktur hat als eine nicht alternde Gesellschaft. Wir werden einen Anstieg der Pflegekosten sehen, auch in Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Es geht auch um einen Verteilungskampf. Wer zahlt das? Es ist aber in einer alternden Gesellschaft so, dass Ausgaben in Richtung ältere Menschen geschichtet werden.
Wie ist Österreich im internationalen Vergleich aufgestellt?
Im westeuropäischen Vergleich befindet sich Österreich im unteren Drittel bei den öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen. Während Österreich rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Pflegedienstleistungen ausgibt, sind das in der Schweiz 2,4 Prozent, in Deutschland 1,8 Prozent und in den skandinavischen Ländern fast drei Prozent. Ich halte die medial verbreitete Katastrophenstimmung für überzogen. Es geht um eine Umschichtung. Eine alternde Gesellschaft braucht eine andere öffentliche Ausgabenstruktur als eine junge Gesellschaft.
Warum hinkt Österreich bei Pflegedienstleistungen so weit hinterher?
Im internationalen Vergleich basiert die Pflege in Österreich stark auf der Angehörigenpflege, die auch durch das Pflegegeld unterstützt wird. Sowohl der mobile als auch der stationäre Bereich sind in Österreich schwach entwickelt.
Wofür wird das Pflegegeld ausgegeben?
Die Hälfte der Personen, die Pflegegeld beziehen, nehmen keine Pflegedienstleistungen in Anspruch. Wir wissen nicht, was mit dem Geld passiert, es bleibt in den Familien. Die andere Hälfte bezahlt damit das Pflegeheim, mobile Pflegedienste oder eine 24-Stunden-Betreuung.
Menschen werden älter, Geburten weniger. Inwieweit verschärft das die Situation?
Es gibt mehrere Faktoren, warum das Pflegepotenzial von Familien zurückgeht. Frauen haben schon heute eine stärkere Anbindung an den Arbeitsmarkt, und der Trend wird sich aufgrund der Bildungsexpansion verstärken.
Es gibt mehrere Faktoren, warum das Pflegepotenzial von Familien zurückgeht. Frauen haben schon heute eine stärkere Anbindung an den Arbeitsmarkt, und der Trend wird sich aufgrund der Bildungsexpansion verstärken. Weiters sehen wir eine starke Zunahme der Ein-Personen-Haushalte unter Älteren. Die gesunkene Fertilität bedeutet, dass sich die Pflege der Eltern auf weniger Kinder verteilt. Auch die räumliche Mobilität der Kinder ist gestiegen, sodass die Kinder oft weit weg wohnen. Ein weiterer Faktor ist, dass viele erst spät Eltern werden. In Zukunft werden Kinder daher noch voll im Berufsleben stehen, wenn ihre Eltern pflegebedürftig sind, auch wegen des späteren Regelpensionsalters.
Ab wann werden die Folgen des demografischen Wandels besonders spürbar?
Wir sehen eine Steigerung der öffentlichen Ausgaben für Pflegedienstleistungen von 80 Prozent bis 2030, gegenüber 2016. Wesentlich höhere Steigerungsraten sind in den Jahren nach 2035 zu erwarten, wenn die Babyboomer-Generation der 1960er-Jahre ins pflegebedürftige Alter kommt. Das muss vorbereitet werden, das ist nicht mehr so weit weg.