Pflege: Unbelohnte Schwerarbeit

Eine Pflegerin hebt einen behinderten Mann aus dem Rollstuhl. Pflege ist Schwerarbeit.
Pflege ist Schwerarbeit. | © Adobestock/rh2010
Bis 2030 werden in Österreich zehntausende Pflegekräfte fehlen. Um den Beruf zu attraktiveren, ist die Anerkennung als Schwerarbeit eigentlich notwendig. Doch die Regierung stemmt sich dagegen.
Im Jahr 2007 hat die Regierung die Schwerarbeitspension eingeführt. Schwerarbeit ist in Österreich eine Tätigkeit, die Arbeitnehmer:innen unter körperlich oder psychisch besonders belastenden Bedingungen erbringen. Etwa Nachtarbeit im Schicht- oder Wechseldienst, Arbeiten bei extremen Temperaturen oder schwere körperliche Arbeit. Genau das ist Alltag im Bereich der Pflege. Auch historisch. Doch ausgerechnet diese Berufsgruppe ist ausgeschlossen von der Schwerarbeit-Regelung. Mehr noch, die Forderung der Aufnahme dieser Branche bezeichnet Grünen-Abgeordnete Bedrana Ribo als „reinen Populismus“. Aus Sicht der Gewerkschaften ist diese Haltung Zynismus.

Pflege ist Schwerarbeit

Die grüne Abgeordnete Bedrana Ribo, Sprecherin für Senior:innen und Pflege, sprach jüngst im Parlament davon, eine Aufnahme der Pflege in die Schwerarbeit wäre „reiner Populismus“. Ihr Argument ist, dass die Zahl der Jahre, die vor allem Frauen durchschnittlich im Pflegebereich arbeiten, zu niedrig sei, um eine Schwerarbeitspension zu beantragen. Das ist richtig, hat aber seine Gründe in der hohen Belastung im Beruf. Zwar ist es rechtlich möglich, praktisch aber eben schwierig, Anspruch auf die erhöhte Pension zu haben. Ein Problem, das die Regierung angesichts von 80 Prozent Frauenanteil in der Branche aber dringend lösen muss. Zwei Anfragen von Arbeit&Wirtschaft lässt die Partei allerdings unbeantwortet.

Eine Pflegerin hat eine ältere Frau im Arm. Symbolbild für die Schwerarbeit in der Pflege.
Hoher Druck, enorme Arbeitszeiten und starke psychische Belastung. Die Leistungen der Pfleger:innen können nicht hoch genug eingeschätzt werden. | © Adobestock/Robert Kneschke

Warum Schwerarbeit in der Pflege so schwer umzusetzen ist

Edgar Martin vom „Team Gesundheit“ in der Younion und Reinhard Waldhör von der Gesundheitsgewerkschaft innerhalb der GÖD reagierten mit einem wütenden Schreiben auf die Aussagen von Ribo. „Sich über Schwerarbeit in der Pflege lustig zu machen, ist purer Zynismus.“ Im Interview erklärt Martin nun, warum es so schwierig sei, überhaupt Anspruch auf die Schwerarbeitspension zu haben. Denn rechtlich heißt es: „Als Schwerarbeitsmonat gilt jeder Kalendermonat, in dem mindestens 15 Tage lang Schwerarbeit verrichtet wurde. Es braucht zudem Mindestversicherungszeit von 540 Versicherungsmonaten, davon mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der vergangenen 240 Kalendermonate.“

Die Realität in der Pflege, so Martin, passt damit kaum zusammen. „Das Gesetz sieht 15 Dienste mit je acht Stunden vor“, rechnet er. „Oftmals dauern die Dienste aber 12,5 Stunden. Das sind dann nur 13 oder 14 im Monat.“ So fallen viele durch das gesetzliche Raster. „Ich verstehe nicht, warum man bei der Pflege nicht darauf kommt, dass das Schwerarbeit ist. Man muss diese realitätsfernen Hürden nehmen.“

Auch die Bürokratie ist eine solche Hürde. Beschäftigte in dem Bereich melden der Gewerkschaft zudem, dass es eine Frage des:r Sachbearbeiter:in sein kann, ob ein entsprechender Antrag angenommen werde. „So kommt es bei zwei Menschen mit identischen Voraussetzungen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das kann es nicht sein“, ist Waldhör empört. Und weil die Regierung das eben nicht regelt, beschreiten die Gewerkschaften mit konkreten Fällen den Rechtsweg, um endlich Sicherheit zu bekommen.

Pflege ist eine anspruchsvolle Tätigkeit

Es geht um einen wertschätzenden Umgang mit den Pfleger:innen. Die Öffentlichkeit denkt bei der Pflege in erster Linie an ältere Personen. Doch die Pflege ist eine zentrale Säule des Sozialstaats. Martin stellt klar, dass es auch um die postoperative Pflege geht. Und die trifft alle. Gerade auch im Winter durch Skiunfälle. „Da hat eine Pflegekraft 30 bis 36 Patient:innen zu versorgen, die nach einer Operation bettlägerig sind“, führt Waldhör aus. Auch diese müssen natürlich gepflegt werden. Nicht alle Krankenanstalten – geschweige denn der Bereich der Mobilen Pflege bei den Patient:innen zu Hause – hätten zudem die entsprechenden Gerätschaften, wie etwa einen Lift. „Die moderne Technik schafft da kaum Abhilfe, es ist sehr arbeitsintensiv. Dazu kommen noch Angehörige“, erklärt er. Exoskelette, also am Körper getragene Assistenzsysteme, die Hebe- und Tragebewegungen unterstützen, sind Zukunftsmusik.

Personalengpässe machen die Arbeit für die Pflegenden nicht leichter. Der Pflegenotstand ist längst Realität. Wer nicht in der Pflege arbeitet, kann sich nur schwer vorstellen, wie es ist, alleine für mehrere Menschen verantwortlich zu sein, die betagt, bettlägerig und unter Umständen übergewichtig sind. In der geriatrischen Pflege kommen zur körperlichen Arbeit noch weitere Problemfelder hinzu. Demenzielle und psychische Erkrankungen nehmen zu. Auch das müssen die Pflegenden aushalten: „Viele bleiben dann auch nicht im Job.“ Es droht ein Pflexit.

Pflege als Schwerarbeit: Viel Personal notwendig

Zudem ist die Pflege extrem personalintensiv. Gemäß einer Studie der Universität Innsbruck und der Arbeiterkammer (AK) aus dem Jahr 2018 verdoppelt sich die Anzahl der hochbetagten Menschen zwischen den Jahren 2015 (216.365) und 2040. Die Autor:innen hielten schon damals in Bezug auf die stationäre Langzeitpflege fest: „Die aktuelle Entwicklung im Pflegealltag zeigt, dass in kürzeren Zeiteinheiten immer mehr an Leistung abverlangt wird und Pflegepersonen ihre Arbeit beschleunigen müssen.“

Im Arbeitsklimaindex 2021 erhob die AK zudem, wie es der Pflege geht. Kurz gesagt: nicht gut. In keiner anderen Berufsgruppe sei die psychische Belastung so hoch wie in der Pflege. Während Beschäftigte in Fabriken und Handwerksberufen häufig über schlechte Gesundheitsbedingungen und hohe Unfallgefahr klagen würden, berichten Beschäftigte in Pflege- und Gesundheitsberufen am häufigsten über Zeit- und ständigen Arbeitsdruck. Berufe mit den höchsten psychischen Belastungen würden zudem vorwiegend von Frauen ausgeübt. Diese Berufe definieren sich sehr häufig über die Arbeit mit und an Menschen. Besonders belastend sei für die Beschäftigten in den Pflegeberufen die enorme Verantwortung für andere Menschen. Diese stifte zwar Sinn, ist aber für sechs von zehn Pflegekräften eine Belastung. Die Folgen sind alarmierend. Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte leidet unter Schlafstörungen. Sechs von zehn sind erschöpft und ausgelaugt. Jeweils rund 70 Prozent habe Muskelverspannungen und Rücken­schmerzen. Ein Viertel gibt zudem hohen Blutdruck an, ein Fünftel Herzrasen.

Ist die Verantwortung in der Pflege zu hoch?

In der Mobilen Pflege bei den Menschen zu Hause verdichten sich laut Martin die Probleme. Die Dienste sind oftmals geteilt, ein paar Stunden in der Früh, ein paar am Nachmittag. „Man passt sich den Klient:innen an und kämpft komplett alleine“, erinnert Waldhör. Man müsse sich ganz alleine im Haushalt zurechtfinden. Zudem gibt es Berichte von Aggression, Gewalt und sexualisierte Gewalt gegenüber den Pflegenden. Kein Wunder, dass gemäß Arbeitsklimaindex etwas mehr als die Hälfte der Pflegekräfte Resignation im Beruf verspürt. Noch mehr berichten über Fälle von Burnout im eigenen Betrieb.

All das führt dazu, dass die Mehrheit der Beschäftigten in Pflegeberufen nicht glaubt, ihren Beruf bis zur Pension ausüben zu können. Edgar Martin meint abschließend etwas resignierend: „Wir akzeptieren demokratische Prozesse, aber die Art und Weise, wie mit dem Gesundheitspersonal umgegangen wird, die regt uns auf.“ Es gehe ihm um die Wertschätzung, denn wenn man sage, dass Pflege Schwerarbeit sei, dann kommt immer ein Aber. „Und wir haben unsere Anliegen mittlerweile dem dritten Gesundheitsminister übergeben.“

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