Systemversagen bei Glyphosat
Das Vertrauen in das Zulassungssystem für Pestizide und die verantwortlichen Behörden bekam Risse, als im März 2015 das weltweit meistverwendete Pestizid, der Unkrautvernichter Glyphosat, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ eingestuft wurde. Denn ein Jahr zuvor, im Jänner 2014, hatte das mit der EU-Bewertung betraute deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sich weit hinaus gelehnt und erklärt, Glyphosat sei nicht krebserregend, da könne man sich „sicher sein“. Man habe mehr als 150 Studien der Hersteller und weitere 900 Studien aus der publizierten wissenschaftlichen Literatur geprüft und ausgewertet. Doch als die Expertinnen und Experten der WHO zum gegenteiligen Ergebnis kamen, war Feuer am Dach. Viele fragten sich, wie denn zwei Gesundheitsgremien sich so fundamental widersprechen können?
Wie können sich zwei Gesundheitsgremien so fundamental widersprechen?
EU-Bewertung durch deutsches Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
Jänner 2014
Glyphosat ist nicht krebserregend
Einstufung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
März 2015
Glyphosat ist krebserregend
Eher verstörend denn beruhigend wirkte da der Erklärungsversuch der Behörde, dass ihre Bewertung weitgehend auf „…unveröffentlichten Studien, die der WHO-Krebsforschungsagentur nicht zur Verfügung standen“ basiere. Weshalb schenkte die Behörde den Studien der Glyphosat-Hersteller mehr Vertrauen als den Studien von unabhängigen Wissenschaftern?
Wie sehr deren Ergebnisse auseinanderklafften, habe ich im Mai des Vorjahrs im Europaparlament in Brüssel, bei einer Expertenanhörung des Sonderausschusses für Pestizide* dargelegt, und zwar am Beispiel der Studien zur DNA-schädigenden Wirkung von Glyphosat: Das betreffende, 138-Seiten starke Kapitel im Behördenbericht listet 46 Herstellerstudien und 72 unabhängige publizierte Studien auf, die sich der Frage widmen, ob Glyphosat oder glyphosathaltige Herbizide die DNA schädigen können. Während die Herstellerstudien mit einer Ausnahme keine entsprechenden Effekte berichten, fand die überwiegende Mehrzahl der unabhängigen Studien sehr wohl DNA-schädigende Effekte und damit den Nachweis eines molekularen Mechanismus für die Erzeugung von Krebs.
Die Plagiatsaffaire
Das führt uns zu der Frage, wie die Behörde denn auf diesen offensichtlichen Widerspruch reagiert hat? Die Antwort ist ebenso einfach wie verblüffend: Sie wertete keine einzige (!) der unabhängigen Studien als zuverlässig oder relevant. Somit waren die für die Hersteller unvorteilhaften Studien mit einem Schlag aus dem Rennen. Doch waren das exakt jene Studien, in denen die Expertinnen und Experten der WHO „starke Beweise“ für die DNA-schädigende Wirkung von Glyphosat erkannt hatten, was uns zu der nächsten Frage führt: Mit welcher wissenschaftlichen Begründung konnte die Behörde all diese Studien als „unzuverlässig“ abstempeln?
Bleibt noch eine letzte Frage: Wie kommt es, dass die Studien der Hersteller im Gegensatz zur Mehrzahl der publizierten Studien anscheinend keine genotoxischen Effekte fanden? Aufschluss könnte nur eine unabhängige Auswertung der betreffenden Originalstudien geben. Da diese aber von Monsanto & Co. unter Verschluss gehalten werden, ist das derzeit unmöglich. In einem Fall, war es hingegen möglich und führte prompt zu einem Ergebnis, das explosiver nicht hätte sein können: Zwei Krebsstudien mit Mäusen – eine von Monsanto, die andere von Cheminova – welche zuvor im EU-Zulassungsverfahren als Beweise für die Harmlosigkeit des Pflanzengifts hergehalten hatten, landeten auf dem Schreibtisch der WHO-Expertinnen und Experten. Und diese erkannten, dass in beiden Studien jene Labormäuse, denen Glyphosat verabreicht wurde, signifikant häufiger an Krebs erkrankten als Mäuse, die kein Pestizid erhielten. In der Folge legten diese zwei Krebsstudien der Hersteller den Grundstein für die Krebseinstufung von Glyphosat durch die WHO, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt.
Lessons learned?
Die hier beschriebenen Fehlleistungen im Zulassungsverfahren von Glyphosat – und noch einige mehr, für die der Platz hier fehlte – waren mehrfach Gegenstand von Publikationen und Medienberichten. Vernichtende Kritik hagelte es vor allem aus der Wissenschaft. Die österreichische Umweltorganisationen GLOBAL 2000 und sieben weitere Organisationen erstatteten Strafanzeigen gegen Behörden und Monsanto wegen des Verdachts des wissenschaftlichen Betrugs. Verfahren gab es bislang keines. Bis heute behaupten die Behörden, alles richtig gemacht zu haben. Die Vorwürfe von Kritikern werden als Versuch abgetan, ihre Glaubwürdigkeit zu beschädigen.
Helmut Burtscher-Schaden
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/19 der Zeitschrift Wirtschaft&Umwelt.
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