Kompetenzverschiebung
Zusätzlich zu den bundesweiten Beschränkungen ermöglicht das Gesetz, stark nachgefragte Fächer an einzelnen Hochschulstandorten zu beschränken. Das bedeutet nicht nur eine weitere Reduktion der Plätze, sondern stellt einen hochschulpolitischen Paradigmenwechsel dar. Denn bisher war für neue Beschränkungen ein Gesetzesbeschluss notwendig, nun soll eine ministerielle Verordnung genügen. Dies könnte in den kommenden Jahren zu einer weiteren schrittweisen Streichung von Studienoptionen führen, ohne dass dafür ein Gesetzesbeschluss notwendig wäre. Die weitgehende Verordnungsermächtigung des Ministeriums bedeutet also eine deutliche Kompetenzverschiebung weg vom Nationalrat. Da die betreffende Verordnung noch nicht veröffentlicht ist, stellt dies nicht zuletzt auch ein Transparenzproblem dar: Wie viele Studienplätze schlussendlich gekürzt werden, ist noch nicht bekannt.
Unerwünschte Nebenwirkungen
Die drastische Reduktion der Plätze rückt die Frage in den Fokus, was diejenigen tun werden, die keinen Studienplatz in ihrem geplanten Studienfeld bekommen oder von Aufnahmeverfahren abgeschreckt werden. Zu rechnen ist jedenfalls mit deutlichen Verschiebungen hin zu anderen Studienrichtungen, einhergehend mit einer Verschlechterung der dortigen Betreuungsverhältnisse. Diese Tendenz war schon bei anderen Fächern zu beobachten – z. B. Biologie als Ausweichstudium bei nicht bestandener Medizin-Prüfung. Die Folgen werden wohl auch in Zukunft neben der Verschiebung schlechter Betreuungsverhältnisse weitere „Warteschleifen“ für Studierende sein – denn Ausweichstudien werden häufig nur belegt, bis die Aufnahmeprüfung für das Wunschstudium erneut versucht werden kann. Unerwünschte Folgewirkungen wie diese liegen zwar auf der Hand, wurden jedoch bisher kaum thematisiert.
Werden die beschriebenen Verdrängungseffekte als Anlass genommen, per Verordnung Beschränkungen in den stark nachgefragten Ausweichfächern einzuführen, könnte dies zu einem Dominoeffekt führen. Mittelfristig könnte es so zu einer deutlichen Einschränkung der Studienoptionen kommen – und damit zu einer Verdrängung vieler Studieninteressierter aus dem Hochschulbereich.
Verdrängungseffekte
Aufgrund der massiven Reduktion der Plätze für StudienanfängerInnen und der potenziellen schrittweisen Einschränkung der Studienoptionen muss auch die Frage nach Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt gestellt werden. Denn wer keinen Platz mehr bekommt, wird vermutlich versuchen, nach der Matura direkt am Arbeitsmarkt unterzukommen, oder sich nach einem alternativen Ausbildungsplatz (z. B. Lehre oder Kolleg) umschauen. Dabei ist zu befürchten, dass sich gegenwärtige, in einer aktuellen IHS-Studie identifizierte arbeitsmarktpolitische Trends weiter verstärken werden. Zu nennen sind hier insbesondere der Trend der Überqualifizierung (aktuell sind 54 Prozent der AHS-AbsolventInnen in ihren Jobs formal überqualifiziert), der Verdrängung nach unten und des Wettbewerbs um Lehrstellen. Treten solche Verdrängungseffekte ein, ist mit negativen Auswirkungen auf Jugendbeschäftigung und -arbeitslosigkeit zu rechnen. Besonders in Wien würde das einen erhöhten Druck auf den Arbeitsmarkt bedeuten, da ein Großteil der Studienplatzreduktionen auf Wiener Standorte entfällt.
Welche Personengruppen betroffen sein werden, ist ein weiterer Aspekt, der im Gesetzwerdungsprozess unzureichend berücksichtigt wurde. Besonders häufig wird es junge Menschen und Studieninteressierte in Wien treffen, da dort am meisten Plätze gestrichen werden. Zusätzlich zeigt sich, dass die neu beschränkten Fächer zu einem sehr hohen Anteil von Frauen gewählt werden (67 Prozent der angefangenen Studien). Viele Frauen werden demnach in Zukunft häufiger nicht mehr das Studium im geplanten Bereich beginnen können.
Studien zeigen außerdem immer wieder, dass Zugangsbeschränkungen sozial selektiv wirken können. Dies legt die Vermutung nahe, dass es auch in den neu betroffenen Fächern wie z. B. Jus zu einer stärkeren Selektion anhand sozialer Merkmale kommen wird, nicht zuletzt aufgrund privater Vorbereitungskurse, die in Jus wohl ähnlich wie bei Medizin boomen werden. Wer sich kostspielige Vorbereitungskurse nicht leisten kann, wird erheblich niedrigere Chancen auf einen der begehrten Plätze haben. Durch sehr kompetitive Aufnahmeverfahren wird sich der Druck auf junge Menschen und deren Eltern damit in Zukunft vermutlich deutlich verstärken.
Bessere Studienbedingungen?
Bei Beschluss des Gesetzes wurde betont, die Anzahl der Studierenden und AbsolventInnen würde insgesamt nicht sinken, da der Anteil prüfungsaktiver Studierender steigen würde. Allerdings fehlen konkrete Hinweise darauf, wie dies bewerkstelligt werden soll – und wie sichergestellt wird, dass die Anzahl der AbsolventInnen nicht zurückgehen wird. Denn die einzige eindeutige Maßnahme, die durch das Gesetz festgelegt wird, ist die Reduktion der Plätze für AnfängerInnen. Dies ist jedoch noch kein Garant dafür, dass die Studiensituation in den jeweiligen Fächern verbessert wird, von Auswirkungen auf andere Fächer, die potenziell zu neuen Ausweichstudien werden, ganz zu schweigen.
Konkrete Maßnahmen, etwa zur Stärkung der Bildungs- und Berufsorientierung, für eine verbesserte Studieneingangsphase oder zur Vereinbarkeit von Beruf und Studium, fehlen gänzlich. Auch kann die Befürchtung nicht entkräftet werden, dass Studienchancen von unterrepräsentierten Gruppen durch die neuen Beschränkungen geschmälert werden. Zwar sieht das Gesetz zur neuen Finanzierung eine Regelung vor, dass seitens des Ministeriums ein Betrag von bis zu 0,5 Prozent des Globalbudgets für Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Durchmischung einbehalten werden kann. Diese Änderung ist als Anreiz für größere Aktivitäten in diesem Feld jedoch zu wenig – vor allem, da es sich lediglich um eine optionale Bestimmung handelt. Es wird damit in erster Linie im Ermessen der Universitäten liegen, ob es tatsächlich spürbare Verbesserungen für berufstätige Studierende oder „first academics“ gibt. Auch ein Ausbau des Fachhochschulsektors in einem Ausmaß, der die Auswirkungen von den Beschränkungen im Universitätsbereich etwas kompensieren könnte, wird nicht in Aussicht gestellt.
Perspektiven?
Das beschlossene Gesetz wird also weitreichende Konsequenzen haben – für die Universitäten selbst, aber auch in arbeitsmarktpolitischer Hinsicht. Es ist zu befürchten, dass die Chancen auf höhere Bildung für viele junge Menschen geschmälert werden. Hier muss gegengelenkt und sichergestellt werden, dass die Zahl der Personen, die ein Hochschulstudium absolvieren können, nicht gesenkt, sondern im Gegenteil gesteigert wird. Darüber hinaus müssen Studierende aus sozial schwächeren Familien und erwerbstätige Studierende stärker gefördert werden. Denn diese brauchen mehr Perspektiven anstatt weitere Beschränkungen.
Linktipps:
IHS-Studie
AK-Studie „Zugangsbeschränkungen und Chancen(und)gleichheit“
Iris Schwarzenbacher
Abteilung Bildungspolitik der AK Wien
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
iris.schwarzenbacher@akwien.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at