Personalnotstand im AKH-Wien: Wolfgang Hofer schlägt Alarm
Der Eintritt in die Kleinstadt steht noch immer ganz im Zeichen der Corona-Vorschriften und sorgt für einige Verwirrung. Denn die Eingänge für telefonisch vereinbarte Termine und schriftlich vereinbarte Termine sind getrennt voneinander. Dazwischen ein Kommen und Gehen von Angestellten des größten Spitals Österreichs. Der Zugang ist restriktiv. Auch für das kleine Redaktionsteam der Arbeit&Wirtschaft bestehend aus Fotograf Markus Zahradnik und mir. Über einen Seiteneingang geht es in die Räumlichkeiten der Personalvertretung. Der erste Raum, ein Besprechungsraum, ist auch gleichzeitig Lagerraum. Denn wie Wolfgang Hofer lachend meint: „Wenn wir als Personalvertretung für 7.000 Personen etwas bestellen, dann brauchst‘ schon viel Lagerraum.“
Während des Interviews blicke ich auf den Innenhof, die Rettungszufahrt. Es ist ein ständiges Kommen und Wegfahren der Rettungsfahrzeuge. Einige der Fahrer nutzen das Plätzchen, um eine kurze Pause zu machen und die wahrscheinlich letzten warmen Sonnenstrahlen zu genießen. Ein fast idyllisches Bild, das die Realität des Betriebs des AKHs und des Gesundheitssystems in Österreich nicht richtig wiedergibt. Und auch nicht die politische Situation. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) ist zum Spielball der Budgetplanung verkommen und immer wieder wird beim Gesundheitssystem der Sparstift angesetzt. Das hat dazu geführt, dass es im AKH Wien zu einem Personalmangel gekommen ist.
Interview mit Wolfgang Hofer vom AKH Wien
Arbeit&Wirtschaft: Was ist das brennendste Problem im Spitalsbetrieb?
Wolfgang Hofer: Es herrscht akuter Personalmangel, hauptsächlich bei den Gesundheitsberufen, und hier vor allem beim Pflegepersonal, das rund 3.000 der rund 7.000 Kolleg:innen ausmacht, aber auch in den medizinisch-technischen Diensten haben wir sehr große Schwierigkeiten, die offenen Stellen zu besetzen.
Wo sehen Sie die Ursachen des Personalmangels?
Es ist vor allem der Knick, der durch den Ausstieg der geburtenstarken Jahrgänge mit der Pension und dem Einstieg der geburtenschwachen Jahrgänge in den Beruf entstanden ist. Den bemerken wir jetzt. In den kommenden acht Jahren geht etwa ein Drittel des Pflegpersonals in Pension, das sind rund 1.000 Personen.
Das macht sich natürlich im Spitalsalltag bemerkbar.
Vor allem dadurch, dass wir etwa die offenen Dienstposten nicht mehr besetzt bekommen. Wir merken es in diesem Jahr erstmals so richtig. Bisher konnten wir die Dienstposten vor allem durch den Abgang von den Pflegeschulen immer relativ gut besetzen. In diesem Jahr ist es erstmals wirklich anders. Wir hatten Anfang Oktober 230 offene Dienstposten im Pflegebereich. Umgerechnet sind das rund acht Pflegestation mit etwa 30 Patient:innen. Man müsste also 240 Betten sperren. Also die Leistungen reduzieren, um die Mitarbeiter:innen nicht ständig chronisch zu überlasten. Das hat schlussendlich Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit der Patient:innen.
Weshalb gibt es kein Personal? Ist das Berufsbild nicht mehr attraktiv?
Einerseits gibt es durch die Reform und die neue Ausbildungsstrategie über ein FH-Studium insgesamt weniger Ausbildungsplätze pro Jahrgang. Andererseits ist für viele das Berufsbild mit Nachtdiensten und Wochenendarbeit nicht mehr attraktiv.
Ist es eine reine Frage der Work-Life-Balance oder auch des Gehalts?
Es ist natürlich auch eine Frage des Gehalts. Ich denke, dass das grundsätzliche Lohnniveau in den Gesundheitsberufen, die ja eine sehr hohe Verantwortung mit sich bringen, zu niedrig ist. 2.200 Euro netto sind halt nicht mehr attraktiv, wenn ich auch an Wochenenden, in der Nacht und an Feiertagen, etwa zu Weihnachten, arbeiten muss, die Dienstpläne sich aufgrund des Personalmangels ständig verschieben und ich im privaten Bereich nichts mehr planen kann.
Es gibt doch Zulagen für die Wochenend- und Nachtdienste.
Ja, die gibt es. Wenn man jedoch überlegt, dass man für einen Nachtdienst brutto 32 Euro bekommt, dann ist das einfach zu wenig. Rechnet man sich das in netto um, dann ist das überhaupt nicht attraktiv. Dasselbe gilt auch für Wochenenddienste, die nicht wahnsinnig hoch dotiert sind. Ich denke, wenn man hier nach oben schrauben würde, könnte man wieder mehr Leute gewinnen.
Welche Rolle spielen die Mehrbelastungen durch die Corona-Pandemie?
Die Stimmung ist nach zweieinhalb Jahren Pandemie nicht besonders berauschend. Die Belastung in dieser Zeit war extrem. Auf der einen Seite für die Kolleg:innen, die auf den acht Corona-Stationen zwölf Stunden in Raumfahrtanzügen im Einsatz waren. Und andererseits für jene auf den anderen Stationen, die versucht haben, das zu kompensieren und die Corona-Stationen zu entlasten. Das geht an die Substanz. Und man weiß, wie große körperliche Belastung etwa die Abwehrkraft des Immunsystems reduziert. Daher ist es für mich so wichtig, darauf hinzuweisen, dass man das besser dotieren muss. Denn mit brutto 32 Euro Zuschlag pro Dienst bringen Sie niemanden an diese Stellen und können so nicht für eine Entlastung des Gesundheitspersonals sorgen. Und es ist ja nicht so, dass jemand Leistungen reduzieren möchte. Niemand, der im Gesundheitsbereich arbeitet, will, dass Stationen gesperrt werden. Alle werden sagen – Ärzt:innen und Management inklusive –, dass sie im Vollbetrieb arbeiten wollen. Aber es geht aktuell an die persönliche Substanz und Belastungsgrenze.
Wie geht das Personal mit der Situation um?
Da beginnt der tägliche Spagat. Es wird natürlich versucht, die Leistung trotz flächendeckenden Personalmangels durch Überstunden hoch zu halten. Man muss sich jedoch Folgendes vorstellen: In vielen Bereichen wird zwölf Stunden gearbeitet. Wenn ich drei Überstundendienste mache, dann sind das im Monat 36 Stunden. Das ist umgerechnet fast eine zusätzliche Arbeitswoche in einem Monat. Die Belastungsgrenze ist da sehr schnell erreicht. In Wirklichkeit kann man eigentlich nur sagen, dass man die Leistung reduziert, um einerseits die Qualität der High-End-Versorgung hier im AKH aufrechtzuerhalten und andererseits nicht noch mehr Leute zu verlieren. Hier braucht es sehr rasch Lösungen. Es gibt Bereiche, wie etwa in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, die enorm überlastet sind. Das betrifft Pfleger:innen wie Ärzt:innen.