Systematische Ausbeutung von Migrant:innen
Nicht viele Menschen suchen sich diesen Job freiwillig aus und müssen aus einer Notsituation heraus diese Arbeit annehmen. „Man findet kaum einen Österreicher oder eine Österreicherin, der oder die als Amazon-Zusteller:in arbeitet. Es sind durchwegs Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund“, sagt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Gemeinsam mit Kolleginnen ist sie Verfasserin der von der AK geförderten Studie „Systemrelevant, aber unsichtbar: Arbeitsbedingungen migrantischer und geflüchteter Amazon-Zusteller:innen während der COVID-19-Pandemie“, die diesen Herbst vorgestellt wurde.
Man findet kaum einen Österreicher oder eine Österreicherin, der oder die als Amazon-Zusteller:in arbeitet. Es sind durchwegs Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund.
Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien
Die Fahrer:innen stammen hauptsächlich nicht aus Österreich. Sie sind in Ost- oder Südeuropa geboren, kommen aus Krisengebieten wie Iran, Syrien und Afghanistan und sind in der Regel zwischen 18 und rund 45 Jahre alt. Genau diese Menschengruppe kann deutlich einfacher ausgebeutet werden als Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Mangelnde Deutschkenntnisse oder einen unsicheren Aufenthaltsstatus nutzen die Subunternehmer oft aus. So sind für Amazon in Österreich 133 Subunternehmen im Einsatz. Bei 130 davon stellte die Studie arbeitsrechtliche Verstöße fest.
„Du hast zum Beispiel hundert Pakete zum Ausliefern und Amazon zahlt dir dafür den Lohn für acht Stunden. Ihnen ist es egal, wenn du zehn oder zwölf Stunden unterwegs bist, bezahlt werden nur acht“, sagt Amir. Er ist ehemaliger Amazon-Zusteller. „Ich kenne niemand, der den Job länger als vier oder fünf Monate gemacht hat.“
Immer mehr: 300 Millionen Pakete im Jahr 2021
Insgesamt 300 Millionen Pakete werden in diesem Jahr durch die Zusteller:innen der Lieferdienste ausgeliefert (Post inkl.). Vergleicht man die Zahl mit 2017, ist das eine Zunahme um 100 Millionen Stück. Im Mittel stieg der Wert seit 2015 um jährlich 11,6 Prozent an. Im Coronajahr 2019 steigerte sich die Zahl gar um 17 Prozent. Dass die Fahrer:innen längst über die Belastungsgrenzen hinweg arbeiten, ist bei den Logistikunternehmen durchaus bekannt. „Jeder Zusteller ist mit seinen Kapazitäten am Limit“, sagte Rainer Schwarz, der DPD Österreich Chef, gegenüber den Oberösterreichischen Nachrichten kürzlich.
Bei unselbständigen Beschäftigten haben wir regelmäßig das Problem der nicht ausbezahlten Überstunden und Diäten sowie Lohnrückstände. Dienstgeber:innen stellen auch Forderungen gegenüber den Fahrer:innen, wenn beispielsweise ein Paket nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde oder Schäden am Auto auftreten. Das wird alles versucht abzuziehen.
Susanne Bauer, der AK-Steiermark
Doch Erkenntnis allein reicht nicht aus, ohne etwas dagegen zu tun. „Bei unselbständigen Beschäftigten haben wir regelmäßig das Problem der nicht ausbezahlten Überstunden und Diäten sowie Lohnrückstände. Dienstgeber:innen stellen auch Forderungen gegenüber den Fahrer:innen, wenn beispielsweise ein Paket nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde oder Schäden am Auto auftreten. Das wird alles versucht abzuziehen“, sagt Susanne Bauer von der AK-Steiermark im Gespräch mit Arbeit und Wirtschaft. Die Leiterin der Abteilung Marktforschung war Mitautorin der Studie „Paketdienste und die letzte Meile des Paketes auf dem Weg zum Verbraucher“ aus dem Jahr 2018, die die AK für das grüne Herz Österreichs durchführte. „Es gibt gültige Kollektivverträge und die Einhaltung vonseiten der Unternehmer:innen ist hier gefordert“, so Bauer.
Paketbranche als Chance für den Berufseinstieg
Allerdings haben die Studienautor:innen nicht nur negatives Feedback bekommen, was die Arbeit in der Kurier-, Express- und Paketdienst-Branche betrifft. „Es gibt auch Möglichkeiten in der Branche. Man muss das differenziert sehen. Für manche Menschen ist es eine Möglichkeit in die berufliche Tätigkeit einzusteigen, wie unsere Befragungen ergeben haben“, so Bauer.
In den kommenden Monaten und Jahren wird man sehen, wie sich der Zustellmarkt entwickelt. Wenn die COVID-19-Pandemie endlich ausreichend in den Griff bekommen wird und die Geschäfte wieder dauerhaft geöffnet halten können, werden wohl viele Menschen klassisch auf stationäres Shopping setzen. Daher wird das Paketvolumen wohl nicht mehr so rasant wachsen wie in den vergangenen knapp zwei Jahren. Ob eine Abnahme der Pakete den Zusteller:innen zugutekommen wird, ist allerdings nicht gesichert.