Die Macht des Konsens

Porträt Oliver Röpke
„Lobbyismus ist an sich nichts Verwerfliches, so lange klar ist, wer welche Interessen vertritt. Aber dort, wo es zu starke Ungleichgewichte gibt, wird es ungesund und demokratiegefährdend. Und deswegen ist der EWSA ein Gegenmodell“, betont Oliver Röpke. | © Markus Zahradnik

Inhalt

  1. Seite 1 - Demokratie in der EU
  2. Seite 2 - Green Deal muss auch ein Social Deal sein
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Oliver Röpke will die Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene stärken. Vor kurzem wurde der österreichische Gewerkschaftsvertreter zum Präsidenten des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses gewählt. Wo er die größten EU-Baustellen sieht, erzählt er im Interview.
Die Ereignisse in Belarus haben klar gezeigt: Wenn die Demokratie in Gefahr ist, leiden Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innen. Oliver Röpke will dem als neuer Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) entschieden entgegentreten. Mehr Demokratie und Grundrechte, in Zeiten, in denen der Druck auf die Mitbestimmung steigt.

Zur Person
Oliver Röpke, geboren 1971, Jurist, seit April 2023 Präsident des EWSA und damit erster österreichischer Gewerkschafter an dessen Spitze

Arbeit&Wirtschaft: Nur wenige werden wissen, was der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist. Worum handelt es sich, und was tut er?

Oliver Röpke: Der EWSA ist eine beratende Einrichtung der Europäischen Union, in der die gesamte Zivilgesellschaft versammelt ist. Er hat 329 Mitglieder, die sich auf drei etwa gleich große Gruppen aufteilen: Arbeitgeber:innen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wir erarbeiten Stellungnahmen zu fast allen Gesetzesvorschlägen aus Sicht der Zivilgesellschaft. Wir versuchen, das im Konsens zu machen. Darüber hinaus kann der EWSA auch eigene Initiativen und Schwerpunkte setzen. Was aus meiner Sicht besonders wichtig ist: Der EWSA ist ein Gegengewicht zum Lobbyismus-Dschungel, für den Brüssel ja immer kritisiert wird.

Was wäre denn ein konkretes Beispiel für eine politische Schwerpunktsetzung durch den EWSA?

Die Stärkung der europäischen Mitbestimmung: Das war einer der Schwerpunkte meiner Gruppe im EWSA, die sich aus Vertreter:innen der nationalen Gewerkschaftsbünde aus allen Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Hierzu haben wir eine Initiativstellungnahme erarbeitet und abgestimmt. Jetzt sehen wir, dass die EU-Kommission und die zukünftige spanische EU-Ratspräsidentschaft dieses Thema aufnehmen möchten. Wir glauben, dass Mitbestimmung im Unternehmen unter Einbeziehung der Arbeitnehmer:innen ein Erfolgsmodell ist.

Gerade die Mitbestimmung steht europaweit zunehmend unter Druck. Wie spiegelt sich das in der Arbeit des EWSA wider?

Das ist natürlich ein wichtiges Thema. Über die Dimension der Europäischen Säule „Soziale Rechte“ geht es auch darum, sozialpartnerschaftliche Strukturen und den Dialog zu stärken. Aber ich würde noch einen Schritt weitergehen, da wir als EWSA ja nicht nur die Gewerkschaften, sondern die gesamte Zivilgesellschaft vertreten. Leider geraten nicht nur weltweit, sondern auch in der EU zivilgesellschaftliche Organisationen einschließlich der Gewerkschaften zunehmend unter Druck. Die Freiräume werden geringer. Ich sehe es als einen Schwerpunkt des EWSA an, Demokratie, Grundrechte und partizipative Demokratie zu stärken und zu sichern, wo sie in Gefahr sind. Nicht erst seit den Ereignissen in Belarus wissen wir: Wenn Demokratie und Grundrechte gefährdet sind, dann leiden auch die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer:innen als erste darunter.

Vorhin haben Sie den Lobbyismus-Dschungel erwähnt. Befindet sich der EWSA in einer direkten Auseinandersetzung mit den Lobbyist:innen?

Lobbyismus ist ja an sich nichts Verwerfliches, so lange es transparent ist, so lange klar ist, wer welche Interessen vertritt. Aber dort, wo es zu starke Ungleichgewichte gibt, wird es aus meiner Sicht ungesund und demokratiegefährdend. Und deswegen ist der EWSA ein Gegenmodell, weil bei uns Gewerkschaften, Arbeitgeber:innen und NGOs auf Augenhöhe agieren. Und deshalb werden wir von den anderen Gremien der EU auch ernst genommen.

Dabei gibt es zwischen den drei Flügeln innerhalb des EWSA doch deutliche Interessengegensätze. Sorgt das für Konflikte bei der Positionsfindung?

Ja, durchaus. Die große Mehrheit unserer Stellungnahmen wird mit breiten Mehrheiten verabschiedet. Aber es gibt immer wieder Punkte, wo es Gegenstellungnahmen gibt. Zum Beispiel gab es im EWSA einen Konflikt rund um die Mindestlohnrichtlinie, der nicht aufzulösen war. Die Gewerkschaften und große Teile der NGOs haben gefordert, dass Europa auch bei den Löhnen aktiv werden soll. Die Arbeitgeber:innen waren da sehr skeptisch und haben das als eine rein nationale Angelegenheit angesehen. Im Endergebnis haben die Wirtschaftsvertreter:innen dann eine Gegenstellungnahme gegen die Mehrheitsmeinung im EWSA verfasst. Insgesamt versuchen wir immer einen Konsens zu erzielen, oder auch mögliche Kompromisslinien anzudeuten und vorzugeben. Nur dann haben unsere Stellungnahmen wirklich einen Mehrwert.

Ein Thema, das alle drei am EWSA beteiligten Akteure betrifft, ist der European Green Deal. Wie schaut es hier mit der Kompromissfindung aus?

Ganz klar, der Green Deal ist eindeutig ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Das Ziel der Klimaneutralität wird von allen drei Gruppen im EWSA im breiten Konsens unterstützt. Die Frage ist nur, wie es erreicht wird. Hier gibt es natürlich auch unterschiedliche Auffassungen. Aus Arbeitnehmer:innen- und Gewerkschaftssicht wird immer betont, dass der Green Deal auch ein Social Deal sein muss. Wir müssen gleichzeitig auch Perspektiven in Richtung nachhaltiger Industriepolitik anbieten. Es kann nicht sein, dass einige Regionen hier besonders stark betroffen sind und allein gelassen werden. Hier braucht es vorausschauende Investitionen, die auch auf europäischer Ebene koordiniert und unterstützt werden müssen, damit diese Regionen eine Perspektive haben.

Klimaneutralität wird zwar von allen Gruppen im EWSA unterstützt, die Frage ist nur: Wie wird sie erreicht? Für Röpke steht fest: Der Green Deal muss auch ein Social Deal sein. | © Markus Zahradnik

Hat sich der Ukrainekrieg auf die Diskussionen rund um den Green Deal ausgewirkt?

Der Ukrainekrieg hat sich auf alles ausgewirkt, auch auf den Green Deal. Aber entscheidend ist hier vielmehr, dass sich der EWSA nach Beginn des russischen Angriffskrieges ganz klar auf die Seite der Zivilgesellschaft in der Ukraine gestellt hat. Wir haben ganz engen Kontakt mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Ukraine gehalten, auch mit den Gewerkschaften, und haben uns ständig mit ihnen abgestimmt. Wir haben auch grundsätzlich unterstützt, dass der Ukraine der Beitrittskandidatenstatus verliehen wurde. Aber wir haben auch klar gesagt, dass es Kriterien gibt, die erfüllt werden müssen. Die Gewerkschaften in der Ukraine sind teilweise unter starken Druck gekommen. Mittlerweile hat sich die Situation nach Auskunft der Kolleg:innen dort etwas verbessert. Aber für uns ist klar, dass auch ein Kriegszustand nicht dazu führen darf, dass Arbeitnehmer:innenrechte oder gewerkschaftliche Rechte ausgehebelt werden. Allgemein sehe ich bei derartigen Fragen die Notwendigkeit, als EWSA auch über den Tellerrand der EU hinauszuschauen.

In welcher Hinsicht?

Wir müssen aus Fehlern der Vergangenheit lernen. Wir haben viele ost- und mitteleuropäische Staaten in die EU aufgenommen, deren zivilgesellschaftliche Strukturen leider nicht so gefestigt waren, wie sie sein sollten, nicht zuletzt im Bereich der Sozialpartnerschaft oder der Kollektivverträge. Im EWSA sind wir deswegen der Meinung, dass wir die Organisationen der Zivilgesellschaft aus den Westbalkanstaaten, aus Moldau, aber auch der Ukraine schon jetzt in unsere Arbeit mit einbeziehen sollten. Wir wollen sie einladen, mitzuarbeiten und nicht nur Zuschauer zu sein. Wir glauben, dass wir dadurch die Zivilgesellschaft dort stärken können, und die Länder dann besser vorbereitet sind, sollte es tatsächlich zu einem Beitritt in die EU kommen.

Ein Land, das gerne dem Schengen-Raum beitreten möchte, ist Rumänien. Dagegen hat Österreich interveniert. Ist der EWSA an dieser Debatte beteiligt?

Absolut. Und das Veto gegen den Schengen-Beitritt hat wirklich zu großen Verstimmungen geführt, gerade auch unter den Kolleg:innen aus Rumänien. Ich glaube, das war eine sehr kurzsichtige Entscheidung. Wir haben im EWSA eine Stellungnahme im breiten Konsens verabschiedet, und die europäischen Regierungen aufgefordert, schnellstmöglich einen Schengenbeitritt von Rumänien und auch von Bulgarien möglich zu machen.

Ein dominierendes Thema in Europa ist die Teuerungswelle. Forderungen nach der Vergesellschaftung großer Energiekonzerne werden daher lauter. Teilt der EWSA diese Forderung?

Eine eigene Vergesellschaftungsdebatte wird vom EWSA so nicht geführt. Wir setzen uns aber sehr wohl dafür ein, dass öffentliche Dienstleistungen für alle erschwinglich sein müssen. Das ist ein Grundprinzip, das in den vergangenen Jahren zu kurz gekommen ist. In einzelnen Fällen kann das auch eine Rückführungmancher Bereiche in die öffentliche Hand bedeuten. Es gibt hier aber keine europäische „one size fits all“-Lösung.

& PODCAST

Oliver Röpke im ÖGB Podcast: Nachgehört / Vorgehört, Folge #72

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