Österreich steht in Europa auf der Bremse

Schild an der deutsch-österreichischen Grenze
Österreichische Blockade? Minister:innen halten im Europäischen Rat gerne mal Gesetze auf - zulasten der Beschäftigten. | © Michael Bihlmayer / ChromOrange / picturedesk.com
Österreich positioniert sich am Brüsseler Parkett immer wieder mit fragwürdigen Standpunkten gegen die Interessen der arbeitenden Menschen. Eine Analyse, wo Österreich in Europa Fortschritte blockiert und Gesetze verwässert.
Oft wird über die EU gesprochen, weniger oft über die konkrete Arbeit der österreichischen Bundesregierung in Bezug auf EU-Gesetzgebung. Österreich schließt sich üblicherweise der sogenannten „allgemeinen Ausrichtung“ im Rat der EU an. Sie stellt einen gemeinsamen Kompromiss der zuständigen Minister:innen aller EU-Mitgliedsstaaten dar. Der Rat ist insofern entscheidend, da seine Interessen aufgrund der Machtposition besonders stark in die finalen Einigungen einfließen. Wenn österreichische Minister:innen im Rat agieren, setzen sie jedoch häufig eine Politik fort, die bereits im Inland kritisiert wurde. So werden auch auf gesamteuropäischer Ebene viele Lösungsvorschläge auf die Herausforderungen unserer Zeit blockiert oder erheblich verwässert. Oftmals zulasten der Arbeitnehmer:innen. Angesichts des aktuellen Wahljahres richten wir deshalb den Blick auf Österreich in Europa und manch fragwürdige Standpunkte der Bundesregierung.

Österreich in Europa: Sparpolitik statt Investitionen

Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 positionierte sich Österreich unter den sogenannten „Sparsamen Vier“. Also jenen Mitgliedsstaaten, die gegen das Wiederaufbauinstrument „NextGenerationEU“ und der zeitweisen Aussetzung der strengen europäischen Fiskalregeln, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wetterten. Das Problem mit den Fiskalregeln: Sie lassen auch im Fall von unvorhergesehenen Ereignissen oder Krisen, wie zum Beispiel der Pandemie oder der Klimakrise, nur sehr begrenzt Investitionen in zukunftsrelevante Bereiche zu. Öffentliche Investitionen – etwa in den sozialen Wohnbau, in nachhaltige Mobilität und erneuerbare Energien – sind jedoch dringend nötig, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen sowie Wohlstand und Arbeitsplätze zu wahren.

Illustration zum Thema Österreich in Europa.

In Österreich hieß es während der Pandemie oft „Koste es, was es wolle“. Das galt jedoch hauptsächlich für Unternehmen. Sie kassierten einen Großteil der fast 48 Milliarden Euro an Hilfsgeldern, die über die intransparente COFAG ausgezahlt wurden. Unternehmen wurden aber nicht nur für erlittene Verluste entschädigt, sondern erhielten sogar satte Gewinne. Der zynische Beigeschmack: Finanziert haben diese Zahlungen insbesondere Arbeitnehmer:innen, für die die Pandemie ohnehin weitaus schwieriger zu stemmen war.

Gegen sozialen Fortschritt

Mit dem Scheinargument, dass die Mindestlohnrichtlinie in die österreichische Sozialpartnerautonomie eingreife, sprach sich Bundesminister Kocher gegen eine der wichtigsten sozialpolitischen Initiativen der EU aus: die gesamteuropäische Regelung eines angemessenen Mindestlohns. Konkret gibt die Richtlinie vor, dass die Mitgliedsstaaten einen Mindestlohn zahlen müssen, der an die wirtschaftlichen Verhältnisse des Staates angepasst ist, aber die geleistete Arbeit jedenfalls wert sein muss. Zugleich stärkt diese Richtlinie die Sozialpartner, da sämtliche Mitgliedsstaaten eine kollektivvertragliche Abdeckung von mindestens 80 Prozent der Arbeitnehmer:innen anstreben müssen. Laut Kocher sollte dieser Mindestlohn allerdings als bloß unverbindliche Empfehlung beschlossen werden.

Fakt ist: Die Mindestlohnrichtlinie wurde im Herbst 2022 angenommen und stellt einen wichtigen sozialen Fortschritt dar. Ihre Umsetzung kann vielen Arbeitnehmer:innen in Mitgliedsstaaten nutzen, in denen die Abdeckung durch Kollektivverträge derzeit zu niedrig (unter 80 %) ist, oder wo zwar gesetzliche Mindestlöhne bestehen, deren Höhe aber zu gering ist. Diese Verbesserungen können Lohnungleichheit und damit Lohnwettbewerb sowie Erwerbsarmut reduzieren.

Wenn österreichische Minister:innen
im Rat agieren, setzen sie häufig
eine Politik fort, die bereits im Inland
kritisiert wurde.

Gegen Verbesserungen bei Plattformarbeit

Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenvertretungen forderten jahrelang einen EU-weiten Rechtsrahmen für die Plattformarbeit. Im März 2023 gelang schließlich eine Einigung zur Richtlinie zur Plattformarbeit. Sie soll vor allem die weit verbreitete Scheinselbstständigkeit wirksam bekämpfen. Zudem bedeutet die Richtlinie in Bezug auf Datenschutz und algorithmisches Management eine echte Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Betroffene. Österreich zählte im Rat zunächst zu den zögerlichen Mitgliedsstaaten. In den nachfolgenden Verhandlungen hat sich Bundesminister Kocher wiederum gegen Bestimmungen zum Schutz vor Scheinselbstständigkeit positioniert. Zuletzt hat dieser eine Protokollerklärung abgegeben, um freie Dienstnehmer:innen von manchen Bestimmungen auszunehmen.

Österreich in Europa gegen mehr Chancengleichheit

Auch 2023 in den Verhandlungen betreffend die Richtlinie über Standards für Gleichstellungsstellen, die mehr Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern in Arbeits- und Beschäftigungsfragen bringen soll, lehnte die österreichische Regierung den ursprünglichen Vorschlag ab. Als Begründung verwies sie auf das „seit Jahrzehnten erfolgreiche System“ in Österreich. Im Lichte eines besonders hohen Gender-Pay-Gaps in Österreich erscheint das fraglich. Denn in Österreich erbringen Frauen im Schnitt zwei Monate ihrer Arbeitsleistung im Jahr „gratis“. Mehr als jede vierte Frau war bereits von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffe. Weiterhin klafft eine Geschlechterlücke von 40,5 Prozent bei Pensionen, womit vor allem Frauen stark von Altersarmut betroffen sind. Jegliche Forderungen von AK und ÖGB für eine effektive Gleichbehandlung ignoriert Bundesminister Kocher in den Ratsverhandlungen.

Illustration zum thema Illustration zum Thema Österreich in Europa. und den Beschluss zur Lieferkette.

Gegen Menschenrechte bei Lieferketten

Die Sorgfaltspflicht umschreibt die Verantwortung von Unternehmen, Missstände in Bezug auf Menschenrechte und Umweltschäden vorzubeugen bzw. abzustellen. So müssen Unternehmen Risiken in ihren Zulieferungssystemen (sog. „Lieferketten“) analysieren und bei Feststellung eines Risikos sicherstellen, dass dort keine Missstände auftreten. Es dürfen weder Kinder- noch Zwangsarbeit eingesetzt werden, bzw. müssen der Arbeitnehmer:innenschutz sowie gewerkschaftliche Rechte beachtet werden. Anfang 2022 hat die EU nach nationalen Gesetzen in Frankreich und Deutschland ein eigenes „EU-Lieferkettengesetz“ vorgelegt. In anschließenden Verhandlungen forderten die Mitgliedsstaaten im Rat, dass der Finanzsektor aus der Verpflichtung genommen wird, Sorgfaltspflichten weniger umfassend ausgestaltet und Umweltsorgfaltspflichten gestrichen werden sollten. Zudem wurde der Schwellenwert (in Bezug auf die Anzahl von Angestellten und Jahresumsatz) für betroffene Unternehmen nach dem Widerstand einiger Mitgliedsstaaten massiv angehoben, um eine Einigung zu erzielen. Trotz einiger Schwachstellen wurde mit dem EU-Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt gegen Ausbeutung und für faire, menschenwürdige Arbeitsbedingungen weltweit gesetzt.

Um soziale Sicherheit zu gewährleisten,
darf die Bundesregierung nicht
weiter eine Politik gegen die arbeitenden
Menschen forcieren. 

Neben Verbesserungen für Arbeitnehmer:innen entlang von globalen Wertschöpfungsketten von Unternehmen bietet es zudem positive Anreize für die heimische Wirtschaft, wie auch eine Studie im Auftrag der AK feststellte. So hatten jene Unternehmen, die bereits vor der Pandemie auf saubere und stabile Lieferketten geachtet hatten, viel weniger Schwierigkeiten mit zum Beispiel Versorgungsengpässen aufgrund kurzfristiger Ausfälle. Nachdem Deutschland ankündigte, sich bei der Abstimmung zum Lieferkettengesetz zu enthalten, knickte auch Bundesminister Kocher vor dem lautstarken Widerstand der Wirtschaftsverbände ein und enthielt sich der Stimme. Dank Druck der Zivilbevölkerung, seitens der NGOs und der Gewerkschaften wurde doch noch eine Einigung erzielt – auch ohne Österreich.

Wie kommen wir da raus?

Die zunehmend arbeitnehmer:innenfeindliche Politik verstärkt Ungleichheiten und verschärft damit das politische Klima. Um zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen, streuen politische Entscheidungsträger:innen gehäuft EU-skeptische Botschaften. Die weit entfernten EU-Institutionen lassen sich nämlich in der Bevölkerung leicht als Feindbild instrumentalisieren. Anstatt die Arbeit der EU auf transparente Weise zu erklären, wird das fehlende Wissen ausgenutzt, indem politische Botschaften verzerrt oder einseitig formuliert werden. Die Regierung hat damit eine Haltung übernommen, die ursprünglich am rechten politischen Rand angesiedelt war, und rückt so das Misstrauen wieder in die Mitte der Gesellschaft. Wenig verwunderlich, dass zuletzt gut ein Viertel der Bevölkerung für einen Austritt aus der EU plädierte – trotz desaströser Folgen, wie im Vereinigten Königreich seit dem Brexit sichtbar.

Um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen, braucht die Europäische Union Mitgliedsstaaten, die gemeinsam an gesamteuropäischen, nachhaltigen Lösungen arbeiten. Initiativen für eine sozial gerechtere Union liegen zwar vor, werden jedoch von einzelnen Mitgliedsstaaten, wie zuletzt insbesondere Österreich, erheblich ausgebremst. Rückendeckung erhielten die betreffenden Minister:innen im EU-Parlament von österreichischen Abgeordneten der Fraktionen ID (Identität und Demokratie) und EVP (Europäische Volkspartei – mit Ausnahme Othmar Karas), wenngleich sie sich mit ihrer Blockadehaltung nicht durchsetzen konnten. Um soziale Sicherheit und damit eine stabile Demokratie in Österreich zu gewährleisten, darf die Bundesregierung nicht weiter eine Politik gegen die arbeitenden Menschen forcieren.

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Über den/die Autor:in

Felix Mayr

Europa-Experte in der Arbeiterkammer Wien

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