Arbeitszeitverkürzung in der Politik
Was AK und ÖGB seit Jahren fordern, ist endlich auf der politischen Tagesordnung gelandet. Eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Dass der Vorschlag in vielen Medien debattiert wird, hat auch mit der Reaktion der Wirtschaftsvertreter:innen zu tun, die reflexartig altbekannte Argumente bringen. Jüngstes Beispiel ist Mahrer. In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Presse“ präsentierte er eine Rechnung, die belegen sollte, dass durch die 32-Stunden-Woche der Gesamtwirtschaft insgesamt 230.000 Beschäftigte fehlen würden.
Die Rechnung geht so: Im Jahr 2040 gehen insgesamt 434 Millionen Arbeitsstunden verloren, was umgerechnet 230.000 Vollzeitstellen wären. Katzian sieht darin allerdings kaum mehr als „schwindelige Berechnungen“. Schließlich gäbe es aktuell bereits 310.000 Menschen, die eine Arbeitsstelle suchen. Gleichzeitig würden aber viele Unternehmen darüber klagen, dass sie keine neuen Beschäftigten finden würden. „Wer jammert, dass er keine Leute findet, sollte darüber nachdenken, was die Rahmenbedingungen sind, und was die Leute verdienen“, dreht er im Morgenjournal des Ö1 die Schuldfrage um.
Mahrer führte vor allem den Gesundheitsbereich und die Pflege an, die jetzt schon überlastet seien. Das stimmt tatsächlich. In diesen Bereichen fehlt es an qualifiziertem Personal. Was aber in erster Linie daran liegt, dass die Beschäftigten dort jetzt schon keine 40 Stunden pro Woche arbeiten können. Sie halten die Belastung schlichtweg nicht aus.
Zusammenbruch des Systems bei Arbeitszeitverkürzung
„Der Wunsch, weniger zu arbeiten, ist nachvollziehbar. Aber wenn wir das alle machen, bricht das System zusammen“, glaubt Mahrer im Interview mit der Presse. Er schlussfolgert daraus, dass wir künftig „nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen.“ Und auch die Agenda Austria meldete sich via X, ehemals als Twitter bekannt, zu Wort. „Selbst eine geringe Verkürzung der Arbeitszeit von etwas mehr als einer Stunde pro Woche würde unseren Berechnungen zufolge jährlich drei Milliarden Euro kosten.“ Manch einer könnte sich dabei zurückversetzt fühlen ins Jahr 1968. Damals veröffentlichte die Industriellenvereinigung folgendes Statement:
Eine Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde
bedeutet einen Produktionsausfall von etwa sieben Milliarden.
Ein wesentlich verringertes Sozialprodukt oder
eine verminderte Zuwachsrate wären die unausbleiblichen Folgen.Industriellenvereinigung, 1968
Das Ergebnis ist bekannt. Im darauffolgenden Jahr begann die stufenweise Senkung der Arbeitszeit auf 40 Stunden, die ab dem Jahr 1975 endlich für alle galt. In dieser Zeit war die Nachfrage nach Arbeitskräften übrigens deutlich höher als derzeit – die Arbeitslosenquote lag damals durchgehend unter zwei Prozent. Den zeitlichen Aspekt betont auch Katzian. „Alle Arbeitszeitverkürzungen sind nicht von einem Tag auf den anderen umgesetzt worden, sondern mit jahrelangen Übergangsfristen.“
Höhere Produktivität: Arbeitszeitverkürzung ist überfällig
Die gestiegene Produktivität machen eine Arbeitszeitverkürzung nämlich längst überfällig. So war es vor einem halben Jahrhundert aufwändig, Dokumente auszutauschen. Hunderte Menschen standen an Fließbänder. Mobiltelefone, Vernetzung, Cloud … alles nur Zukunftsmusik. Die Digitalisierung und der gestiegene Grad der Automatisierung haben die Produktivität seitdem verdoppelt. Gleichzeitig ist der Anteil der Löhne und Gehälter am Gesamteinkommen übrigens gleichgeblieben.
Erfolgreiche Versuche mit Vier-Tage-Woche
Der große Unterschied zu den 1960ern und 1970ern ist, dass es im Gegenteil zu damals eine enorme Menge an Versuchen und Projekten zur angestrebten Arbeitszeitverkürzung gibt. Mögen damals die Szenarien eines wirtschaftlichen Kollaps auf fruchtbaren Boden gefallen sein, ist das heute anders. In Spanien läuft aktuell – nach einem erfolgreichen Erstversuch im Jahr 2021 – ein zweiter Test der 4-Tage-Woche. Ein Drittel der Belegschaft in Unternehmen mit weniger als 250 Mitarbeiter:innen kann zehn Prozent weniger arbeiten, bekommt aber das volle Gehalt.
In Großbritannien haben im Jahr 2022 insgesamt 61 Unternehmen mit zusammen 2.900 Beschäftigten die 4-Tage-Woche eingeführt. 56 Unternehmen (92 Prozent) fanden die Erfahrungen so gut, dass sie auch zukünftig mit einer verkürzten Arbeitswoche weitermachen werden. Das hat vor allem mit den positiven Auswirkungen für die Unternehmen zu tun – der Umsatz stieg, die Fluktuation sank.
Österreicher:innen haben weniger Arbeit verdient
Im April 2023 hat das Statistische Bundesamt in Deutschland die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in den Ländern der Europäischen Union (EU-27) erfasst. Lediglich in Griechenland (42,8 Stunden) ist die Wochenarbeitszeit höher als in Österreich (41,8 Stunden). In allen anderen Ländern dürfen die Menschen weniger arbeiten. Der EU-Schnitt liegt bei 40,5 Stunden. Spitzenreiter bei dieser Erfassung sind übrigens Finnland (38,7 Stunde), Dänemark (39,1 Stunden) und die Niederlande (39,4 Stunden).
Der Widerstand der Arbeitgeber gegen eine Verkürzung der Arbeitszeit ist nicht neu. Warum Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und Gehalt das Arbeitsmodell der Zukunft ist, hat @katzianw im #Morgenjournal auf @oe1 erklärt: https://t.co/5yBVuL3aGT
— ÖGB (@oegb_at) August 14, 2023
Die langen Arbeitszeiten liegen auch an der enormen Menge an Überstunden. 192 Millionen Überstunden haben die Österreicher:innen im Jahr 2022 geleistet. Ein Viertel davon, also 47 Millionen, haben die Unternehmen dabei nicht vergütet.