In allen Gewässern wurde damals ein gravierendes Fischsterben festgestellt, sogar einen Monat nach der Katastrophe führte der Marcal noch große Mengen an Rotschlamm in zwanzig Kilometern Entfernung. Und das, obwohl wochenlang viele Anstrengungen unternommen wurden, um die Umwelt von diesem Gift zu befreien.
Mitarbeiter der Feuerwehr bei Reinigungsarbeiten am Dienstag, 05. April 2011, im vom roten Industrieschlamm verseuchten Gelände im ungarischen Kolontár.
Aber was ist Ökozid eigentlich?
Laut dem Lexikon der Biologie versteht man unter Ökozid die Vernichtung von mehr oder minder großen Teilen von Ökosystemen. Der Begriff wird insbesondere auch für die ökologische und soziale Zerstörung in Ländern der Dritten Welt und vor allem in den Lebensräumen indigener Völker (Naturvölker) gebraucht. Man kann dabei auch von Verbrechen gegen die Natur sprechen, die die Sicherheit und Unversehrtheit der Erde gefährden.
Der Begriff „Ecocide“ wurde bereits in den frühen 1970er Jahren durch den amerikanischen Botaniker Arthur W. Galston geprägt. Dieser prangerte damit die Verwendung des chemischen Entlaubungsmittels Agent Orange durch die USA im Vietnamkrieg an. Das Mittel übrigens, das er zuvor selbst mitentwickelte. Und zur selben Zeit schien es, als ob Umweltzerstörung, für die Staaten oder Unternehmen verantwortlich gemacht werden konnten, möglicherweise relativ schnell zu einer international geächteten Straftat werden könnte: „Der damalige schwedische Ministerpräsident Olof Palme schlug auf der ersten großen internationalen Umwelt-Konferenz vor, Umweltzerstörung zu einem Verbrechen in der internationalen Gesetzgebung zu machen“, so die schottische Rechtsanwältin und Ökozid-Expertin Polly Higgins, die im Frühjahr 2019 verstarb, in einem Interview mit Greenpeace Schweiz: „Er bekam dafür viel Unterstützung. Die von der indischen Ministerpräsidentin Indira Gandhi bis China reichte. Die Bemühungen verliefen aber letztlich im Sand.“
Juli 1969: Ein Helikopter US-Army versprüht das Entlaubungsmittel Agent Orange über dem Mekong Delta.
Verbrechen gegen den Frieden
Bis zu einem erneuten großen Anlauf sollte es allerdings dauern. Als 1998 der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag seine juristische Grundlage durch die Absegnung des Römischen Statuts bekam, wurden vier Verbrechen gegen den Frieden festgelegt: Neben Völkermord (Genozid) waren es Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression (gewaltsame Angriffe auf andere Staaten), die im Straftatbestand des Völkerrechts Platz fanden. Der fünfte Punkt war ein von Polly Higgins ausgearbeiteter Vorschlag zu einem internationalen strafrechtlichen Vorgehen im Falle eines Ökozids. Also irreversible Zerstörungen und Schädigungen von Ökosystemen.
Die Juristin setzte sich dafür ein, Ökozid als Staats- und Wirtschaftskriminalität einzustufen. Doch das wurde unter massivem Druck der USA, von Frankreich, England und den Niederlanden letztlich ersatzlos gestrichen. Was bedeutete, dass auch zukünftig weder Konzernvorsitzende noch politische Entscheidungsträge*innen für eine großflächige Zerstörung der Natur verantwortlich gemacht werden konnten. Zumindest drohten ihnen weiterhin keine Haftstrafen.
Die Verankerung des Ökozids im Völkerrecht ist in mehrerlei Hinsicht wenig Erfolg versprechend. Zu bedenken ist, dass im bestehenden Umweltstrafrecht die Tatbestände sehr klar definiert sind, während das Schutzgut ‚Ökosystem‘ sehr allgemein ist und von der Vorstellung eines Sollzustandes der natürlichen Umwelt ausgeht, der naturwissenschaftlich nicht begründbar ist.
Sylvia Leodolter, AK Wien
Umweltexpertin Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr in der AK Wien, sieht die Sache etwas differenziert: „Die Verankerung des Ökozids im Völkerrecht ist in mehrerlei Hinsicht wenig Erfolg versprechend. Zu bedenken ist, dass im bestehenden Umweltstrafrecht die Tatbestände sehr klar definiert sind, während das Schutzgut ‚Ökosystem‘ sehr allgemein ist und von der Vorstellung eines Sollzustandes der natürlichen Umwelt ausgeht, der naturwissenschaftlich nicht begründbar ist.“ Solange das Schutzgut diffus bleibe, sei es kaum möglich einen Straftatbestand an die Beschädigung des Schutzgutes zu knüpfen bzw. einen ausreichend eindeutigen Zusammenhang zwischen einem Verursacher und dem konkreten Schaden herzustellen. Dies gelte umso mehr im Kontext des Völkerrechts, das bei der Strafgerichtsbarkeit sehr hohe Anforderungen stellt und bei der internationalen Staatengemeinschaft auf fehlende Akzeptanz stoßen wird, so Leodolter.
Reparaturzahlungen statt Gefängnis
Da es sich bei solchen Verfahren also lediglich um zivilrechtliche handelt, erwarten große Mineralölkonzerne oder Kraftwerksbetreiber auch nur Geldstrafen. Zwar fallen die Summen öfters in Milliardenhöhe aus, doch das hilft dem geschädigten Ökosystem und letztlich den betroffenen Menschen in den Regionen nur bedingt. Danach wird von den großen Unternehmen ungeschoren weitergemacht, ohne dass sich Einzelpersonen vor einem Gericht verantworten zu haben. Wenn Ökozid als Strafbestand in das Strafrecht aufgenommen werden würde, würde sich das ändern und Konzerne müssten umdenken. Der Staat könnte somit gegen einzelne aktive Personen aktiv werden.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag reagierte vor einigen Jahren darauf, wie uns die Klima- und Umweltexpertin und Sprecherin von Greenpeace, Jasmin Duregger, im Gespräch sagt: „2016 hat die Staatsanwältin des Internationalen Strafgerichtshof verkündet, dass sie in Zukunft Fälle vorziehen will, die sich mit Umweltzerstörung, Raubbau und der unrechtmäßigen Enteignung von Land auseinandersetzen. Ein erstes positives Zeichen, dass auch Umweltverbrechen wie Ökozid in Zukunft umfassender bestraft werden könnten.“
2016 hat die Staatsanwältin des Internationalen Strafgerichtshof verkündet, dass sie in Zukunft Fälle vorziehen will, die sich mit Umweltzerstörung, Raubbau und der unrechtmäßigen Enteignung von Land auseinandersetzen. Ein erstes positives Zeichen, dass auch Umweltverbrechen wie Ökozid in Zukunft umfassender bestraft werden könnten.
Jasmin Duregger, Greenpeace
Die Multis müssten dann sicherstellen, dass das Ökosystem nicht zu Schaden kommt durch ihr Handeln. Sollte es aber dennoch zu von Menschendhand verursachten Umweltkatastrophen kommen, so wären beispielsweise Vorstände die Verantwortlichen, die dann dafür strafrechtlich haftbar gemacht werden könnten. Was bedeutet, dass Haftstrafen i Ausmaß mehrerer Jahre so manche Akteur*innen ernsthaft bedrohen würden. Ebenfalls hätte man so die Chance, Politiker*innen leichter zu belangen. Somit wären diese zuvor in der Situation sensibler bei der Genehmigung von potentiell umweltschädlichen Vorhaben vorzugehen.
Man müsse allerdings genau hinsehen, denn nur weil in Den Haag Umwelt-Themen mehr Beachtung geschenkt werden sollen, hieße das noch nicht, dass Ökozid als tatsächlicher Strafbestand im Völkerecht Einzug halten wird. „Wir sollten uns nichts vormachen: Die Zahl an Staaten, die so etwas (Ökozid, Anm.) als internationales Abkommen ratifiziert, würde sehr gering sein“ sagt Leodolter von der AK.
Bürgerversammlung für ökologischen Wandel
In Frankreich kommt nun auf nationaler Ebene Bewegung in die Sache. Die „Convention citoyenne pour la transition écologique“ (Bürgerversammlung für ökologischen Wandel) macht mobil. Im Zuge der Gelbwestenbewegung verkündete Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron im Frühjahr 2019 die Gründung einer Bürgervertretung. „Wir beziehen unsere Mitbürger*innen nicht ausreichend in die Entscheidungen mit ein. Wir wollen eine transparente Einrichtung schaffen die Debatten anstößt und dabei hilft, Lösungen zu erarbeiten die uns vorwärtsbringen. Das ist die Idee dieser Bürgerversammlung“, so Macron auf einem Treffen der Convention Citoyenne pour le Climat (CCC), wie sie auch genannt wird. Diese sollte das Recht haben, Vorschläge an die Regierung heranzutragen. Die Vereinigung, die aus 150 zufällig ausgewählten französischen Staatsbürger*innen im Alter von 16 bis 80 besteht, setzte sich zwei große Themenschwerpunkte: Demokratie und Umwelt. Den heterogenen Vertreter*innen wurden ebenfalls Expert*innen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zur Seite gestellt.
September 2020: Eine Sitzung französicher Minister*innen mit Vertreter*innen der „Convention citoyenne pour la transition écologique“.
Endlich handfeste Forderungen zum Straftatbestand Ökozid
Neben vielen Umweltschutzvorschlägen wie der Verbannung von Einwegflaschen ab 2023 oder dem Verbot von geplanter Obsoleszenz (der geplanten Herbeiführung von Alterung eines Produkts, wie wir es beispielsweise bei Smartphones kennen) ist ihnen besonders die Einführung des Strafbestands des Ökozids ein äußerst wichtiges Anliegen. So fordern sie zum Beispiel einen Verfassungszusatz zu Artikel 1 in dem sich die Republik Frankreich für den Schutz von Biodiversität und der Umwelt verpflichtet und für den Kampf gegen den Klimawandel.
Sie schlagen außerdem vor, dass bei einem entstandenen Ökozid die Firmenverantwortlichen zu Gefängnis- und zusätzlichen Geldstrafen verurteilt werden sollen. Und die schuldigen Unternehmen sollten ebenfalls in die Pflicht genommen werden. So hätten sie dafür zu sorgen, dass nicht nur finanzielle Entschädigungen von ihnen geleistet wird, sondern auch die Schäden weitestgehend repariert werden. 99 Prozent aller CCC-Mitglieder stimmten dieser Forderung zu. Aktuell liegt der Ball bei der französischen Regierung, diese Vorschläge zu prüfen.
Wie ist die Situation in Österreich?
„Uns ist nicht bekannt, dass derzeit an irgendeiner Stelle eine strafrechtliche Definition des Ökozid geplant wäre“, sagt Leo Zirwes, der sich an der Fridays-for-Future-Bewegung beteiligt und Teil des Presseteams ist, im Gespräch. „Um den Ökozid als solchen zu definieren bzw. ihn rechtlich zu verankern, muss ein stärkeres Bewusstsein für diese Thematik im politischen Diskurs erzeugt werden. Hier wird viel Aufklärungsarbeit notwendig sein, bis sich eine solche Frage parlamentarisch überhaupt stellt. Ob es dann in weiterer Folge auch zu einem Gesetzgebungsverfahren kommt, steht freilich auf einem anderen Blatt.“
Doch auch wenn hierzulande noch nicht über einen Strafbestand Ökozid diskutiert, hat das Klimavolksbegehren ambitionierte und durchaus vergleichbare Ziele wie die CCC in Frankreich. 380.000 Österreicher*innen unterzeichneten es heuer. Somit war es nicht nur eines der erfolgreichsten Volkbegehren der vergangenen Jahre, sondern muss damit ebenfalls im Nationalrat behandelt werden (mindestens 100.000 Unterstützungen sind hierzu notwendig).
Bewusstsein für Ökozid schaffen
Die Forderungen des Klimavolksbegehrens sind unter anderem das Recht auf Klimaschutz in der Verfassung und ein verbindliches, wissenschaftlich fundiertes CO2-Budget im Klimaschutz. Die europäischen Staats- und Regierungsspitzen haben sich im Juli 2020 für eine CO2-Grenzsteuer ab 2023 geeinigt, jedoch gehen die Forderungen im Volksbegehren noch weiter. So soll Österreich den CO2-Ausstoß bis 2030 verpflichtend halbieren und bis 2040 das Land klimaneutral sein.
Doch wie steht es aber allgemein um die Umwelt-Awareness großer Konzerne in Österreich? „Einerseits merken wir, dass ein gewisses Bewusstsein für die Klimakrise und für Umwelt-Thematiken da ist, dass da eine sehr breite Basis gibt, die diese Punkte auch wahrnimmt. Es wäre aber ein Fehlschluss, aus dem reinen Vorhandensein des Bewusstseins für diese Themen darauf zu schließen, dass es ein ausreichendes Engagement hin zu einer generellen Ökologisierung gäbe“, sagt Zirwes. Die politischen Schwerpunkte lägen im Zuge der Corona-Krise natürlich wo anders, jedoch gibt eine Zeit nach der Krise. „Nur gilt es eben auch langfristig zu denken und hier seitens der Politik Anreize hinsichtlich einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ökologisierung zu setzen. Da ist jedenfalls noch reichlich Luft nach oben“, so der junge Aktivist.
In eine ähnliche Richtung argumentiert auch Leodolter. „Was die nationale Ebene betrifft, geht es um zwei Stoßrichtungen. Einerseits um die Verantwortung der Politik für eine wirksame Umweltschutz- und Klimapolitik, andererseits um die Verantwortung der Wirtschaft für die Einhaltung rechtlicher Vorgaben“, sagt sie. „Die Diskussion um eine Weiterentwicklung des Umweltstrafrechts ist sicherlich zu begrüßen und als ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Durchsetzung des Verursacherprinzips als notwendige Ergänzung zum Vorsorgeprinzip zu sehen. Das Ziel muss dabei sein, jene zur Verantwortung zu ziehen, die am meisten von der Zerstörung der Umwelt profitieren – etwa international tätige Unternehmen – und auch die Untätigkeit der politisch Verantwortlichen wirksam zu ahnden.“
November 2019: Friday for Future Bewegung demonstrieren vor der OMV-Zentrale. „Wir gehen davon aus, dass insbesondere die fossile Industrie massiv dagegen arbeiten würde, also Konzerne wie etwa die OMV“, sagt Jasmin Duregger von Greenpeace
„Pseudogrünes Image“
Aber weshalb könnte die Politik in Österreich wenig Interesse daran haben, den Strafbestand Ökozid ernsthaft zu diskutieren? „Wir gehen davon aus, dass insbesondere die fossile Industrie massiv dagegen arbeiten würde, also Konzerne wie etwa die OMV. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Industrievertreter*innen und Konzernlobbyist*innen in Österreich maßgeblich die Politik bestimmen“ sagt Jasmin Duregger von Greenpeace. Der Konzern investiere Geld und viel Energie in so genanntes Greenwashing, um sich in der Öffentlichkeit ein umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes „pseudogrünes“ Image zu verpassen. Aber ganz so supersauber wie nach außen getan wird ist es nicht: „Die OMV will die Menge der geförderten fossilen Energie in Zukunft sogar erhöhen und damit die Klimakrise weiter anzuheizen“, sagt Duregger. Ein ähnlich großer Player sei die Voestalpine. Jedoch bestehe hier ein ernsthafterer Versuch, auch wirklich umweltfreundlicher zu produzieren, so Duregger. „Die Voest produziert zwar auch viele Treibhausgasemissionen, gleichzeitig setzt sich der Stahlkonzern sehr aktiv mit der Zukunft und der nötigen technologischen Voraussetzungen zur CO2-armen Stahlerzeugung auseinander.“
In Österreich bleibt noch viel zu tun. Wie die Politik mit dem Klimavolksbegehren umgehen wird, sehen wir wohl demnächst.. Die erste Ausschusssitzung, die das Klimavolksbegehren behandeln sollte, hätte Anfang November stattfinden sollen. Jedoch wurde aufgrund der Terror-Attacken von Wien der Sitzungsplan des Nationalrats abgeändert. Ein neuer Termin wurde noch nicht bekanntgegeben. Allerdings: Der ist nur mehr eine Frage der Zeit. Die Parlamentssitzung zum Volksbegehren kann dann online im Live-Stream mitverfolgt werden.