Öffentliche Risiken, private Profite?

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Auf einer Seite lesen >
Die Ökonomin Mariana Mazzucato widerlegt das klassische Argument, nur der Markt sei innovativ. Denn ohne den Staat seien viele Innovationen nicht möglich.
Innovation ist das unübertroffene Modewort in wirtschaftspolitischen Debatten. Damit werden Forderungen nach Investitionen in Forschung und Bildung begründet. In Österreich betonte der damals neue Bundeskanzler Christian Kern die grundsätzliche Verantwortung des Staates, nicht nur Forschungsfinanzierung und Investitionsanreize bereitzustellen, sondern selbst Risiko auf sich zu nehmen und die Entwicklungsrichtung zu gestalten. Hiermit beruft er sich auf neue Erkenntnisse der US-Ökonomin Mariana Mazzucato, die diese in ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ publizierte.

Wachstum und Beschäftigung

Doch zunächst muss eine grundlegende Frage geklärt werden: Was ist Innovation? Aus ökonomischer Sicht geht es hier um die Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, insbesondere die Einführung eines neuen Produkts. Die Entwicklung neuer Produkte soll für Wachstum und damit nachhaltige Beschäftigung sorgen, innovative Wirtschaftsräume gelten zudem als besonders wettbewerbsfähig, allen voran das US-amerikanische Silicon Valley. Aber woher kommen diese Innovationen?

Im standardökonomischen Ansatz, der heute noch in Managementseminaren, aber auch an Hochschulen gelehrt wird, sind sie das wundersame Resultat des Zusammenspiels von Risikokapital, Konsum und Marktkräften. EntrepreneurInnen erkennen Probleme, kombinieren existierende oder entwickeln neue Technologien und bieten Lösungen oder versorgen uns mit noch nie dagewesenen Konsumgütern.

Staatlich finanzierte Vorarbeiten

Der Privatsektor ist in dieser Sichtweise nicht nur imstande, Neuerungen hervorzubringen, sondern auch den Innovationsprozess in die richtige Richtung zu lenken. In der besonders dogmatischen Auslegung gilt der Staat sogar als ein Übel, das „gute“ Forschung verdrängt. Immerhin sind die Erträge aus staatlichen Forschungsprogrammen vernachlässigbar klein, vor allem, wenn sie mit Entwicklungen wie jenen im Silicon Valley verglichen werden.

In ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ setzt Mariana Mazzucato diesem Ansatz die historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts entgegen. Sie zeigt, dass nahezu alle großen technologischen Revolutionen ohne staatliche Investitionen erst gar nicht möglich gewesen wären. Bahnbrechende Erfindungen, etwa das Internet, GPS, Halbleiter oder der Touchscreen sind allesamt Resultat staatlich finanzierter Forschung. Die Apples und Googles dieser Welt sind Unternehmen, welche die Ergebnisse jahrzehntelanger staatlich finanzierter Grundlagenforschung zur Marktreife entwickeln konnten. Hätten öffentliche Einrichtungen und Fonds sie nicht zu ihrer Mission erklärt und investiert, wäre die IT-Revolution nicht möglich gewesen. Eine ähnliche Herausforderung ist der Umstieg auf erneuerbare Energien. Auch in diesem Bereich gelten Staaten mit ihren Institutionen als Innovationsführer und fördern Projekte, auf denen in Zukunft zahlreiche weitere aufbauen werden – auch privatwirtschaftliche. So können heute Windparks entstehen, weil bereits vor Jahrzehnten staatliche Mittel in die Entwicklung entsprechender Turbinen geflossen sind und der Strommarkt speziell reguliert ist.

Neue Ideen

„In der Biotechnologie, Nanotechnologie und beim Internet floss Wagniskapital erst 15 bis 20 Jahre, nachdem staatliche Fonds die ersten Investitionen getätigt hatten“, schreibt Mazzucato. Allgemeiner formuliert sie: „Und wirklich zeigt die Geschichte, dass diejenigen Bereiche der Risikolandschaft, die sich durch hohe Kapitalintensität und hohe technische und Marktrisiken auszeichnen, vom Privatsektor in der Regel gemieden werden. Staatliche Finanzierung in erheblichem Umfang sowie Vision und Führung des staatlichen Sektors waren erforderlich, um sie in Gang zu bringen.“

Mazzucato räumt auch mit der herrschenden ökonomischen Meinung auf, dass sich die Rolle des Staates auf die Bereinigung von Marktversagen beschränken solle. Dieser Sicht zufolge sorgt der Staat nur für die Bedingungen, die Innovationen ermöglichen. Somit wird dem Staat eine passive Rolle als bloßer Unterstützer zugeschrieben. Dabei wird aber missachtet, dass der Staat vor allem auch als Risikoträger auftritt, so Mazzucato. Denn Staaten sind dazu in der Lage und bereit, Risiken zu tragen, welche privatwirtschaftliche Unternehmen nicht eingehen. Dies bezieht sich vor allem auf Projekte, die von großer Unsicherheit geprägt sind, bei denen nicht abschätzbar ist, ob sie jemals in marktreife Produkte münden werden, geschweige denn wann. Dieser „Unternehmerstaat“, wie Mazzucato ihn nennt, „investiert in Bereiche, in die der private Sektor nie investieren würde. Und eben diese Rolle – der Staat als risikobereiter Visionär – wird ignoriert.“

Geschenke an Unternehmen

Sind derartige staatlich finanzierte oder geförderte Investitionen allerdings erfolgreich, sollten die daraus erzielten Gewinne nicht leichtfertig den privaten Unternehmen überlassen werden, welche die Innovation umsetzen. „In vielen Fällen waren staatliche Investitionen wie Geschenke an die Unternehmen, sie machten einzelne Personen und ihre Unternehmen reich, brachten aber der Volkswirtschaft insgesamt und dem Staat sehr wenig (direkten und indirekten) Gewinn“, schreibt Mazzucato. Als Beispiele nennt die Ökonomin die Pharmaindustrie und die IT-Branche, „wo wagemutige staatliche Investitionen die privaten Gewinne haben sprudeln lassen“. Das Problem: „Das Geld wurde dann in Sicherheit gebracht und floss nicht etwa in Form von Steuern an den Staat zurück.“ Im Gegensatz dazu soll der Staat nach Mazzucatos Vorstellung aktiv den Innovationsprozess fördern, lenken – und folglich auch an den Gewinnen beteiligt sein. Dabei geht es auch darum, die Begriffe im Diskurs um staatliche Investitionen mit neuen Inhalten zu besetzen.

Doch verdrängen staatliche Investitionen nicht private InvestorInnen, wie dies KritikerInnen von konservativer Seite gerne einwenden? Mazzucato verneint dies vehement. Für sie lautet der springende Punkt vielmehr: „Wenn die Hand des Staates effizient funktioniert, ist sie fest, aber nicht schwer; sie bringt Vision und den dynamischen Druck (und ein paar Anreize dazu – obwohl man mit Anreizen allein weder die IT-Revolution in der Vergangenheit bekommen hätte noch die grüne Revolution von heute bekommen wird), um Dinge möglich zu machen, die sonst nicht möglich geworden wären. Das staatliche Handeln soll den Mut der privaten Unternehmer verstärken.“

Schumpeter und Keynes

Mazzucato erhielt ihren PhD an der abseits des Mainstreams einschlägigen, aber auch darüber hinaus anerkannten New Yorker „New School for Social Research“ und ist Teil des Institute for New Economic Thinking, das sich der Förderung alternativer Ansätze verschrieben hat. Theoretisch basieren ihre Ideen auf einer Verknüpfung der Arbeiten von Josef Alois Schumpeter zum UnternehmerInnentum mit den dynamischen Konzeptionen nach John Maynard Keynes. Schumpeter sah die Funktion ökonomischen Wettbewerbs nicht bloß in der Herausbildung einheitlicher Preise, sondern stellte die dynamische Wirkung auf technologische und soziale Entwicklung in den Vordergrund. Die postkeynesianische Theorieschule betont die Bedeutung eines umfassenden und aktiv eingreifenden öffentlichen Sektors für die wirtschaftliche Stabilität. Das erklärt auch die klare Abgrenzung zur ökonomischen Orthodoxie. Beide Theoriestränge werden heute dem Gebiet der sogenannten Heterodoxen Ökonomie zugeordnet, die – wie u. a. die Gesellschaft für Plurale Ökonomik häufig kritisiert – um akademische Anerkennung und in der Folge auch um Forschungsgelder und bezahlte Forschungsstellen ringen muss (siehe auch „Die (r)eine Lehre“).

Das zeigt, dass die Verantwortung des Staates bei Produktinnovationen nicht endet. Mittel- bis langfristig müssen alternative, kritische und progressive Ansätze zur Wirtschaftswissenschaft gefördert werden, damit derartige wirtschaftspolitische Erkenntnisse gewonnen werden können, aber auch die ihnen zustehende Beachtung finden.

Von
Gesellschaft für Plurale Ökonomik

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.

Schreiben Sie Ihre Meinung an
contact@plurale-oekonomik.at
oder an die Redaktion
aw@oegb.at

Inhalt

  1. Seite 1
  2. Seite 2
  3. Auf einer Seite lesen >

Du brauchst einen Perspektivenwechsel?

Dann melde dich hier an und erhalte einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.



Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder. Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.