Objekt der Begierde
Im Regierungsprogramm bekennt sich Türkis-Blau zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sender sollen nicht veräußert werden. Geplant ist ein neues ORF-Gesetz samt Weiterentwicklung von Struktur und Gremien. Bei Schwarz-Blau 1 war das so: Enquete, neues ORF-Gesetz, neue Generaldirektorin. ORF-Publikumsrat und Stiftungsrat konstituieren sich im Mai 2017 neu. Im Stiftungsrat mit 35 Mitgliedern hat die Regierung dann eine Zweidrittelmehrheit und könnte den bis 2021 bestellten Generaldirektor Alexander Wrabetz absetzen. Im Juni soll es eine Medienenquete geben. Willi Mernyi vertritt den ÖGB (noch) in beiden Gremien. „Meine Funktion im Stiftungsrat wird aber umgefärbt.“ Im Publikumsrat leitet er den Programmausschuss. Eine Errungenschaft sei es, „Arbeitswelt-Aspekte“ im Programm verankert zu haben. Mit Programmschwerpunkten, wie zum Gedenkjahr 1938, habe der ORF seine gesellschaftspolitische Rolle wahrgenommen. „Wo waren die Privaten?“, fragt der Gewerkschafter. Mernyi hält es für zentral, kritische ORF-JournalistInnen gegen politische Intervention zu verteidigen.
Dem stimmt Hans-Henning Scharsach zu. In seinem Buch „Stille Machtergreifung“ beschäftigt er sich auch mit der Medienpolitik der Freiheitlichen. Für ihn haben die verbalen Attacken der FPÖ auf den ORF System, beispielsweise die anhaltende Empörung nach einem Fehler des ORF Tirol. In einem Beitrag wurde die Entgegnung des FPÖ-Obmanns Markus Abwerzger auf antisemitische Aussagen eines älteren Passanten weggeschnitten. Eine Entschuldigung und die Neuausstrahlung des ungeschnittenen Beitrags halfen nicht. In der ORF-Debatte rief Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zur „Ent-Emotionalisierung“ auf. Scharsach glaubt, dass die Freiheitlichen im neuen Stiftungsrat die GIS-Gebühren kappen möchten. Die FPÖ setze auf Social-Media-Kanäle und parteinahe Medien, wo Botschaften ohne kritische Nachfragen gestreut werden. „Wird der ORF aus dem Budget gezahlt, wäre das ein starkes Druckmittel für die Regierung“, sagt Scharsach. Gewerkschafter Mernyi fasst das so zusammen: „Mit Gebühren ist der ORF dem Publikum verpflichtet, beim Budget der Regierung.“
Gebühr vs. Budget
Zur Finanzierung heißt es im Regierungsprogramm für alle Mediengattungen: „Ganz ohne öffentliche Teilfi-nanzierung wird es nicht möglich sein, österreichische Identität in den Medien auf Dauer zu sichern.“ Gebühren sind die Haupteinnahmequelle des ORF. 2018 sind 635 Millionen Euro budgetiert. Das Entgelt fließt in vier TV-Kanäle, zwölf Radioprogramme, Teletext und Internet. Die GIS-Rechnung beträgt je nach Bundesland zwischen 20,93 und 26,73 Euro. Konsumentenschützerin Daniela Zimmer vertritt die Arbeiterkammer im Publikums- und Stiftungsrat. Sie kritisiert, dass es für KonsumentInnen nicht ersichtlich ist, dass mit 17,21 Euro nur ein Teil ihrer Gebühren an den ORF geht. Der Gesamtbetrag inkludiert einen Kunstförderungsbeitrag und – mit Ausnahme von Oberösterreich und Vorarlberg – eine Länderabgabe. „Das Mindeste wäre es, das aufzuschlüsseln oder die Länderabgabe zu entkoppeln“, so Zimmer.
Eine Alternative zur GIS könnte eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland und der Schweiz sein. Jeder zahlt, egal, ob er ein Rundfunkempfangsgerät hat oder nicht. Das findet Publizistikprofessor Hausjell fair: „In Österreich ist befreit, wer ORF-Angebote nur streamt. Mit der Zeit entfernen sich zu große Gruppen von der solidarischen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ Es bräuchte außerdem keine GIS-Überprüfungen mehr. Doch Medienminister Blümel hat sich in einer Aussendung dagegen ausgesprochen: Die Regierung wolle die Steuer- und Abgabenquote senken.