Profitfaktor Sozialstaat

Was gerne übersehen wird: Vom Sozialstaat profitieren auch Wirtschaft und Unternehmen – vor allem in Krisenzeiten. Angesichts großer ökonomischer Herausforderungen braucht es den starken Sozialstaat – als Fels in der Brandung und als Garant für Standortqualität.
Früher, also vor Corona, kam der Sozialstaat im öffentlichen Diskurs nicht zuletzt als Kostenfaktor vor. Nun, dieses Thema hat sich erledigt. Denn der Sozialstaat hat in der Krise gezeigt, was er wert ist. Und nicht zuletzt, dass er allen etwas bringt. Der Nutzen des Sozialstaats ist unumstritten. Staatliche Transferleistungen sorgten und sorgen für eine Abfederung der Krisenkosten der Menschen in Österreich, aber auch der Unternehmen.

Doch der Sozialstaat ist nicht nur Troubleshooter, sondern vor allem ein ganz entscheidender Standortfaktor. Zu diesem Schluss kommt die Studie „Sozialstaat und Standortqualität“ des Wirtschaftsforschungsinstituts aus dem Jahr 2019. Investitionen in den Sozialstaat nützen den Menschen und der Volkswirtschaft eines Landes. Und vor allem sind gut ausgebaute Sozialstaaten krisenfester. So haben soziale Transferleistungen während der Pandemie die Kaufkraft großer Bevölkerungsgruppen in Österreich stabilisiert und damit auch die Nachfrage.

Nutzen des Sozialstaats: Fortwährend umsorgt

Stabilität und soziale Sicherheit sind Werte, welche die Österreicher:innen mitunter als selbstverständlich ansehen. Das sind sie aber nicht. Dass Österreich ein lebenswertes Land ist und bleibt, dafür muss gesorgt werden – fortwährend. Eine Kernaufgabe des Sozialstaats ist die Armutsvermeidung und aktuell im Zuge der Teuerung das Gebot der Stunde. Doch der Sozialstaat bietet noch viel mehr, zumal seine sozialen Dienstleistungen allen zugutekommen. Das öffentliche Bildungssystem ermöglicht grundsätzlich allen jungen Menschen im Land die Chance auf eine gute Ausbildung. Österreich zählt damit nicht zu jenen Ländern, in denen man eine teure Privatschule besuchen muss, um später an der richtigen Uni einen Studienplatz zu ergattern und irgendwann einen guten Job. „Öffentliche Schulen sind kostenlos, Kindergärten oft vergünstigt. Das macht soziale Mobilität leistbarer“, betont Oliver Picek, Chefökonom beim Momentum Institut. Das Resultat ist, dass Österreichs Hochleistungswirtschaft gut ausgebildete Arbeitskräfte vorfindet, die dieses Aufstiegsversprechen zu Leistung motiviert.

Portrait Oliver Picek, Chefökonom beim Momentum Instituts. Im Interview über den Nutzen Sozialstaat.
Oliver Picek, Chefökonom beim Momentum Instituts, betont die vielfältigen Nutzen des Sozialstaats. | © Markus Zahradnik

„Ohne Gesundheit ist alles nichts“, lautet ein Sprichwort. Von Österreichs gutem Gesundheitssystem profitieren die Menschen und auch der Wirtschaftsstandort. Es ist wichtig zu wissen, dass man, wenn man erkrankt oder arbeitslos wird, nicht ins Bodenlose fällt“, betont Sybille Pirklbauer, Leiterin der Sozialpolitik in der Arbeiterkammer (AK) Wien. Wichtig ist dabei nicht nur die finanzielle Absicherung, sondern etwa auch, dass man eine benötigte Operation mit einer kurzen Wartezeit bekommt. „Und das ist ja nicht zuletzt entscheidend für den Erhalt der eigenen Arbeitskraft“, betont die Expertin.

Das Gesundheitswesen

Das Gesundheitswesen ist einer jener Bereiche, die in der Pandemie hart auf die Probe gestellt wurden. In Österreich konnte die Versorgung aufrechterhalten werden. Zugleich zeigte sich in aller Deutlichkeit, dass dieses System permanent gegen Personalmangel und Überlastung kämpft. Und es wird nicht besser, denn die Demografie spricht dagegen. „Das Gesundheitswesen muss so ausgebaut werden, dass die Pflege künftig nicht nur an den Angehörigen hängt und die im Gesundheitswesen Beschäftigten gute Rahmenbedingungen vorfinden“, so Pirklbauer. Dazu sind laut Picek zwölf Milliarden Euro mehr pro Jahr notwendig.

Die Arbeitslosenversicherung wiederum gibt Arbeitnehmer:innen Halt. Auch wenn sie mit Ersatzraten von im Schnitt 55 Prozent im internationalen Vergleich nicht gerade zu den höchstdotierten zählt. Wer den Job verliert, findet ein Sicherheitsnetz vor, um sich neu zu orientieren und zwischenzeitliche Einkommensverluste zumindest abzufedern. Auch wer eine Wohnung sucht, ist nicht allein dem freien Markt ausgeliefert. Der kommunale Wohnbau sowie Genossenschaftswohnungen bieten Alternativen zu Miet- und Eigentumswohnungen. „All dies sind Faktoren, die Auswirkungen auf das Lohnniveau haben. Ohne diese günstigen sozialen Dienstleistungen müssten die Arbeitgeber:innen deutlich höhere Löhne zahlen, um gute Leute zu bekommen“, sagt Picek.

Auch das Lebensgefühl ist ein Nutzen des Sozialstaats

Das Lohnniveau ist ein wichtiger Standortfaktor für internationale Betriebsansiedelungen, aber auch der Lifestyle, den ein Land zu bieten hat, spielt eine wichtige Rolle. Im internationalen Städteranking 2022 des britischen „Economist“ wurde Wien zuletzt wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Das hat nicht primär mit der schönen Donau und dem altehrwürdigen Stephansdom zu tun. Stabilität, gute Infrastruktur und Gesundheitsversorgung sind die wichtigsten Faktoren, die für das positive Lebensgefühl in der Stadt sorgen.

Wir durchleben gerade volatile Zeiten. Mit der Klimakrise als Dauerbrenner, tiefgreifenden Veränderungen durch die Pandemie, dem Krieg in der Ukraine und nun auch noch mit der Inflation in Österreich. „Transformationsprozesse erzeugen auch immer Verlierer:innen“, betont Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB). Es ist wichtig, dass sich der Sozialstaat den aktuellen und kommenden Herausforderungen intakt und gestärkt stellen kann. Da werden Menschen, die im Zuge der Dekarbonisierung der Wirtschaft ihre Jobs verlieren, soziale Abfederung und neue Aus- und Weiterbildungsangebote benötigen. Für das Gelingen von tiefgreifenden Veränderungen sei es wichtig, diese auf einer soliden demokratischen Basis zu gestalten. „Mit Schocktherapien haben wir keine guten Erfahrungen gemacht“, betont die Expertin.

Österreich ist ein Hochsteuerland. Und ja, der Sozialstaat kostet Geld. Doch der Nutzen des Sozialstaats ist immens. „Dafür haben wir einen der besten Europas“, sagt Picek. Allerdings finanziert er sich überwiegend aus Steuern und Abgaben auf Arbeit, die Kosten werden also von Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen gestemmt. „Vermögende tragen hingegen in Relation zum Gesamtsteueraufkommen nur 1,3 Prozent zur Finanzierung des Sozialstaats bei“, sagt Helene Schuberth. „Diese Einnahmen stammen von vermögensbezogenen Steuern wie der Grund- und der Grunderwerbsteuer, nicht aber von einer klassischen Vermögen- oder Erbschaftsteuer“, wie Schuberth betont. Die gibt es in Österreich nicht.

Tax the Rich

Soll der Sozialstaat für die großen Herausforderungen, die sich ihm stellen werden, gewappnet sein, müssen andere Einnahmequellen gefunden werden. Neben einer Besteuerung von Übergewinnen im Energiesektor müsse die nachhaltige Sicherung und Stärkung des Sozialstaats laut Expert:innen vor allem durch die Besteuerung von Vermögenden erfolgen. Wie so eine Sonderabgabe auf Übergewinne aussehen könnte, ist längst klar. Österreich belegt im OECD-Ranking bei vermögensbezogenen Steuern routinemäßig einen der hintersten Plätze, während selbst wirtschaftsliberale Länder wie das Vereinigte Königreich oder die USA kein Problem damit haben, Reiche zu besteuern. Erbschaft- und Vermögenssteuer tragen in diesen Ländern zu zirka zehn Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei. Das Thema Vermögenssteuer ist in Österreich fast ein Tabu“, sagt Schuberth. Höchste Zeit, darüber zu reden. Die Regierung schaffte die Vermögenssteuer 1993 ab, also in den boomenden Neunzigern. Laut Nobelpreisträger Joseph Stiglitz die „gierigsten Dekade der Geschichte“.

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