Die Regierung Kurz/Strache hat ein Programm verfolgt, das auf einen neoliberalen Umbau der Gesellschaft abzielte.
David Mum, GPA-djp
David Mum von der GPA-djp im A&W-Blog zum Gehalt des „neuen Regierens“: „Die Regierung Kurz/Strache hat ein Programm verfolgt, das auf einen neoliberalen Umbau der Gesellschaft abzielte. So haben Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und Immobilienwirtschaft nicht nur ihre Forderungen im Regierungsprogramm verankern, sondern auch ihren Einflussbereich ausweiten können. Demgegenüber wurden etwa im Bereich der Arbeitszeiten Rechte der ArbeitnehmerInnen abgebaut, und die Regierung zielte auf eine Schwächung von Arbeiterkammern und BetriebsrätInnen. Sozialer Schutz und Unterstützung wurde denen entzogen, die diese am dringendsten benötigen: Armutsgefährdete, AsylwerberInnen und -berechtigte, ältere Arbeitssuchende und Jugendliche ohne betriebliche Lehrstelle.“
Politik gegen die Mehrheit
Exemplarisch zählte David Mum in diesem Kontext den 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche, die Senkung der Unternehmenssteuern (KÖSt), die Verkürzung der Altersteilzeit, Kürzungen bei der Arbeitsmarktpolitik, Änderungen im Mietrecht zugunsten der ImmobilieninvestorInnen, die Beendigung der „Aktion 20.000“, Kürzungen bei besonders benachteiligten Gruppen der Gesellschaft (Stichwort Mindestsicherung/Sozialhilfe neu) sowie die Umfärbung und Kürzungen bei der Sozialversicherung auf. Aber auch die Kommentare vieler internationaler Medien sind eindeutig. „Die Zeit“ sprach bereits Ende 2018 von einem „Jahr der sozialen Kälte“ in Österreich, die „Süddeutsche“ von „525 Tagen voller Skandale“.
„Die Zeit“ sprach bereits Ende 2018 von einem „Jahr der sozialen Kälte“ in Österreich, die „Süddeutsche“ von „525 Tagen voller Skandale“.
Demgegenüber sah die Unternehmerseite in der gescheiterten Koalition ihre Interessen bestens gewahrt. Für die Industriellenvereinigung beschwor etwa Georg Kapsch künftige Regierungen, den „erfolgreich eingeschlagenen Weg der Standort- und Beschäftigungsstärkung weiterzugehen. Ein ausgeglichenes Budget, die Modernisierung der veralteten Arbeitszeitregelungen, die vorgesehenen Steuersenkungen oder die Reform der Sozialversicherung – in so kurzer Zeit so viel auf den Weg zu bringen war eine Leistung.“ Doch warum wählten dann gerade auch viele unselbstständig Beschäftigte Parteien, die einen harten Kurs gegen die Interessen von ArbeitnehmerInnen vertreten?
Ist der Zeitgeist heute rechts?
Dass ArbeitnehmerInnen, Frauen und PensionistInnen verstärkt Parteien mit neoliberaler und weit rechts stehender Agenda wählen, ist zunächst weder ein ganz neues, noch ein spezifisch österreichisches Phänomen. Auch bei den jüngsten Landtagswahlen im Osten Deutschlands liefen ArbeiterInnen und Angestellte in Scharen zur AfD über. Die Lega Nord, die neben ihren fremdenfeindlichen Fantasien unter anderem die Einführung einer Flat Tax fordert, brach schon 2018 massiv in den ehemaligen roten Hochburgen Italiens durch.
Solche Erfolge einfach auf einen angeblich vorherrschenden rechten Zeitgeist zu reduzieren greift allerdings zu kurz. Das gilt gerade auch für die vergangene Nationalratswahl 2019 in Österreich. Die wichtigsten Themen des Wahlkampfes waren nämlich (laut SORA) keine rechten Dauerbrenner, sondern Umwelt- und Klimaschutz, gefolgt von politischer Korruption, Gesundheit und Pflege sowie Arbeitsplätze und -bedingungen. Erst danach folgten Zuwanderung und Sicherheit.
Das Vertrauen in die politische Lösungskompetenz bei diesen konkreten Themen erscheint demgegenüber als gering, besonders übrigens bei den Rechtsparteien. Nur jeweils 18 Prozent der ÖVP- und FPÖ-WählerInnen (und nur 16 Prozent bei den NEOS) gaben an, dass die Inhalte „ihrer“ Partei das entscheidende Motiv waren, diese zu wählen. Bei der SPÖ waren es demgegenüber 24 Prozent, bei den Grünen 44 Prozent. Überwältigend ist somit die Identifikation aber letztlich mit keiner Partei.
Tiefes Misstrauen
Als eigentlicher „Megatrend“ der letzten Jahre bzw. im Grunde der letzten zwei bis drei Jahrzehnte erscheint vielmehr ein inzwischen stabiles Misstrauen in „die Politik“. Kontinuierlich vertrauen zumindest 60 bis 70 Prozent den politischen Parteien in Österreich nicht bzw. kaum. Die entsprechenden Spitzenwerte lagen zeitweilig sogar bei über 90 Prozent. Dass „Ibiza“ akut ausgerechnet die ÖVP stärkte, mag zwar paradox wirken. Nicht zu übersehen ist aber auch die neuerliche politische „Demobilisierung“ durch den Skandal: So sank die Wahlbeteiligung auf 75,6 Prozent. Das ist – nach 2013 – der zweitniedrigste Wert in der Geschichte der Zweiten Republik.
Bemerkenswert erscheint in diesem Kontext aber auch eine im Sommer 2019 erstellte Umfrage der „Kronen Zeitung“, nach der nicht nur die (relative) Mehrheit aller befragten Wahlberechtigten meinte, Österreich entwickle sich in die falsche Richtung. Auch die jeweilige Mehrheit der befragten WählerInnen von ÖVP, FPÖ und SPÖ war dieser Überzeugung.
Richtungswechsel nötig
Gerade aus Gewerkschaftsperspektive sollte dieses Misstrauen keineswegs als unberechtigt abgetan werden. Ganz generell hielten und halten die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen schließlich selbst immer wieder fest, dass es einen fundamentalen Richtungswechsel braucht, nämlich eine Abkehr von der neoliberalen Agenda, die Europa beherrscht.
In der Praxis wäre es wohl nötig, an vielen verschiedenen Schrauben zu drehen, um Menschen anders oder neu für Politik zu begeistern. So problematisierte etwa die GPA-djp im Kontext der Nationalratswahlen 2019 unter dem Titel „Wer vertritt unsere Interessen“ zu Recht die soziale Zusammensetzung des Parlaments. Obwohl nach Berufsgruppen betrachtet 81 Prozent der berufstätigen Bevölkerung zu den ArbeitnehmerInnen gehören, sind nur 33 Prozent der ParlamentarierInnen dieser Berufsgruppe zuzurechnen. Fast gleich hoch wie jener der ArbeitnehmerInnen ist der Anteil der Selbstständigen im Parlament (29 Prozent), obwohl diese nur neun Prozent aller Berufstätigen ausmachen.
Das Herz schlägt links
Eine relativ neue Umfrage im Auftrag des „Standard“ zeigt auf, dass sich in der politischen Verortung eine Mehrheit der repräsentativ Befragten als links der Mitte einstuft. Zwischen 2017 und 2019 hat sich dieser Wert sogar noch etwas weiter nach links verschoben. Diese Momentaufnahme erscheint in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: erstens vor dem Hintergrund einer in Österreich fast ausschließlich negativen Besetzung des politischen Schlagwortes „links“ durch konservative bzw. rechte Kräfte, nämlich als Kampfbegriff – ähnlich wie „Gutmensch“.
Zweitens vor dem Hintergrund eines oft angenommenen rechten Durchmarsches, den man gegebenenfalls durch Anpassung der eigenen Positionen abschwächen, aber eigentlich nicht aufhalten könne. Letztlich widerspricht auch die politische Erfahrung einer solchen These. An verschiedenen Punkten – Vermögenssteuer, 12-Stunden-Tag etc. – gelang und gelingt es beispielsweise den Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen immer wieder, die Themenführerschaft zu übernehmen. So wurde an dieser Stelle beispielsweise immer wieder darauf hingewiesen, dass es auch in Österreich solide Mehrheiten für Vermögenssteuern gibt, die in der Regel über zwei Drittel Zustimmung liegen. Ebenso orteten Medien – konkret das „Profil“ – 2018 nicht nur eine breite Ablehnung des 12-Stunden-Tags, sondern auch eine Mehrheit, die selbst Streiks gegen diese Verschlechterung als gerechtfertigt betrachtete. Und laut einer Umfrage der AK Oberösterreich sind 36 Wochenstunden die Wunscharbeitszeit der ArbeitnehmerInnen. Gefordert wird deshalb eine deutliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Hier zeigt sich an unterschiedlichen Stellen zumindest das Potenzial, in der Zukunft nicht nur „Politik für die vielen“ einfordern, sondern auch immer wieder aktiv gestalten zu können.
John Evers
Erwachsnenbildner und Historiker
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/19.
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