Die Auswirkungen der Hartz-IV-Reform
Gestiegenes Armutsrisiko von Arbeitslosen
Die wohl verheerendste Auswirkung der Hartz-IV-Reform ist die Verschärfung des Armutsrisikos von Arbeitslosen. Wie die folgende Grafik zeigt, ist das Armutsrisiko in Deutschland größer als in allen EU-Ländern. „Hier waren 70,8 % der Arbeitslosen in 2016 armutsgefährdet und mussten mit weniger als 60 % des mittleren Einkommens (inkl. Sozialleistungen) über die Runden kommen. Österreich lag hingegen knapp unter dem EU-Durchschnitt (48,7 %)“, so Adamy.
[infogram id=“aandw-online-hartz-iv-1-1h0n25wrengl2pe?live“]Die Zahlen zeigen: „In Deutschland werden inzwischen mehr als zwei Drittel der Arbeitslosen vom Hartz-IV-System betreut, während die Arbeitslosenversicherung mehr und mehr an den Rand gedrängt wird“, gibt Adamy zu bedenken. Zudem zieht er Bilanz: „Dies zeigt, wie löchrig das Netz der sozialen Sicherung für Arbeitslose in Deutschland geworden ist und Arbeitslose mehrheitlich auf das letzte soziale Netz angewiesen sind.“
Verschlechterte Arbeitsbedingungen
Die Reform traf nicht nur die primär Betroffenen, also die Arbeitslosen. Auch der gesamte Arbeitsmarkt hat die Auswirkungen gespürt. „Prekäre und schlecht bezahlte Arbeit breitete sich aus, Kernbelegschaften wurden eingeschüchtert und das soziale Klima wurde kälter“, führt der Arbeitsmarktpolitik-Experte Adamy aus. „Dies hat zweifelsohne die Zugeständnisse von Arbeitslosen erhöht, schlecht bezahlte Jobs und ungünstigere Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Auch nach Einführung des Mindestlohns können Langzeitarbeitslose immer noch in Jobs gedrückt werden, wo die Löhne ein Drittel unter Tarif bzw. dem ortsüblichen Lohn liegen. Die Annahme von Ein-Euro-Jobs ist ebenso Pflicht.“
Für Beschäftigte wird es zur Bedrohung, bei Verlust des Arbeitsplatzes schnell von staatlicher Fürsorge leben, eigene Rücklagen aufbrauchen und jeden Job annehmen zu müssen
Wilhelm Adamy, ehemaliger Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Auch jene Personen, die sich in einem aufrechten Arbeitsverhältnis befinden, spüren den Druck. „Eine Abschaffung der Notstandshilfe entfaltet ihre abschreckende Wirkung auch in der Mitte der Arbeitswelt. Denn für Beschäftigte wird es zur Bedrohung, bei Verlust des Arbeitsplatzes schnell von staatlicher Fürsorge leben, eigene Rücklagen aufbrauchen und jeden Job annehmen zu müssen“, so Adamy.
Haben früher noch mehr Beschäftigte freiwillig ihren Arbeitsplatz gewechselt, ist diese Tendenz seit der Einführung von Hartz IV rückläufig. Wilhelm Adamy hat festgestellt: „Bei Beschäftigten wie der Bevölkerung insgesamt ist die Angst weit verbreitet, auf Hartz IV angewiesen zu sein.“
Mehr soziale Ausgrenzung und Polarisierung
Wer einmal im Umfeld prekärer Beschäftigung gelandet ist, hat es auch in Zukunft am regulären Arbeitsmarkt schwer. „Die Menschen verlieren ihren sozialen Status“, argumentiert Peer Rosenthal. „Das sieht man vor allem an der Veränderung des Anteils der Arbeitslosen, die eine auf das vorherige Einkommen bezogene Leistung beziehen: Waren dies vor den Reformen noch knapp 70 %, so ist ihr Anteil im ersten Jahr nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe auf 25 % eingebrochen und lag im letzten Jahr nur noch bei 15 %“.
Anteil der ArbeitslosengeldbezieherInnen in Deutschland, deren Unterstützungsleistung sich am vorherigen Einkommen orientiert
2004
68 %
2017
15 %
Hinzu kommt das Problem, dass sich Betroffene als abgeschrieben und überflüssig empfinden: „Arbeitslosigkeit und Armut bedeuten nicht allein, zu wenig Geld zu haben, sondern gehen oft auch mit den Gefühlen von Ohnmacht und Ausgeschlossenheit einher“, gibt Wilhelm Adamy zu bedenken.