Frau Pühringer, was sind die häufigsten Ursachen für Langzeitarbeitslosigkeit?
Insgesamt sind die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit struktureller Art. Es gibt für bestimmte Gruppen von Menschen keine passenden Arbeitsplätze.
Insgesamt sind die Gründe für Langzeitarbeitslosigkeit struktureller Art. Es gibt für bestimmte Gruppen von Menschen keine passenden Arbeitsplätze. Von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind überdurchschnittlich oft Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen – physische und psychische. Dazu gehören auch Schicksalsschläge wie Unfälle. Eine weitere Ursache ist das Alter. Wir wissen, dass wir älter werden als die Generation vor uns. Und wir wissen, dass wir länger arbeiten müssen und das in Wahrheit auch wollen. Gleichzeitig haben es Menschen, die 45 oder 50 Jahre alt sind, schwer, wieder in den Arbeitsmarkt zu kommen. Der dritte Punkt ist das Thema geringe Qualifizierung und auch das Thema Wiedereinstieg aufgrund von zum Beispiel Karenzzeiten.
Die Summe der Ursachen: eine Verdreifachung der Langzeitarbeitslosen in den letzten Jahren.
Das war die Wirtschaftskrise. Seit 2008 hat sich die Zahl der langzeitarbeitslosen Menschen verdreifacht. Diese Zahl wird in der Debatte um das Thema Arbeitsmarktpolitik vergessen. Es gibt aber in Summe immer weniger Jobs für Menschen mit geringer Qualifizierung oder Menschen mit Einschränkungen. Es gibt jetzt einen Wirtschaftsaufschwung, und man sagt zum Beispiel, man brauche Maßnahmen wie die „Aktion 20.000“ nicht mehr. Der Wirtschaftsaufschwung wird aber sicher nicht dafür sorgen, dass langzeitarbeitslose Menschen automatisch wieder einen Job finden.
Der fehlende Rückgang wundert mich, eine Krise kann ich mit den Wirtschaftsdaten nicht mehr belegen.
Wir sehen in Wirklichkeit ein totales Marktversagen. Immer mehr Menschen profitieren von einem Aufschwung nicht mehr. Es geht um Menschen, die eine Behinderung haben, mit einer Suchterkrankung kämpfen oder mit Schuldenproblematik.
Wir sehen in Wirklichkeit ein totales Marktversagen. Immer mehr Menschen profitieren von einem Aufschwung nicht mehr. Es geht um Menschen, die eine Behinderung haben, mit einer Suchterkrankung kämpfen oder mit Schuldenproblematik. Zu diesen Menschen sagen Firmen: „Ich nehme niemanden mit einer komplexen Problematik, ich nehme auch keinen mehr über 50 Jahre.“ Auch in sehr aufgeklärten Unternehmen, die ein Diversitymanagement haben, erleben wir dieses Phänomen. In so einer Situation wird nicht daran gedacht, Menschen mit großer Erfahrung zu nehmen oder zu halten. Es werden junge MitarbeiterInnen genommen. Menschen, die mehr Erfahrung haben, bleiben auf der Strecke. Gleichzeit verlangt man aber von ihnen, länger zu arbeiten, um die Pensionen überhaupt finanzieren zu können. Das passt nicht mehr zusammen.
Österreich steht im europäischen Vergleich sehr gut da, was die Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser betrifft. Was kann Österreich trotzdem besser machen?
Österreich hat eine lange Tradition auf diesem Gebiet – arbeit plus und seine 200 Sozialen Unternehmen gibt es seit 30 Jahren. Aber wir befinden uns leider auf dem Weg, diese Errungenschaften und Strukturen wieder zu zerstören. Die Strukturen, die wir haben, sind deswegen stark, weil die Sozialen Unternehmen regional verankert sind. Diesen Unternehmen stehen aber Kürzungen von bis zu 20 Prozent ins Haus. Viele überstehen vielleicht eine Kürzungswelle, aber keine zweite. Dann sind die Strukturen unwiederbringlich verloren. Die brauchen wir aber, um weiterhin Beschäftigung anbieten zu können und um Neues am Arbeitsmarkt auszuprobieren.
Was passiert stattdessen?
Die arbeitsmarktpolitischen Mittel werden aktuell gekürzt, was die Sozialen Unternehmen besonders hart trifft. Gleichzeitig wird eine Segmentierungsstrategie beim AMS eingeführt.
Die arbeitsmarktpolitischen Mittel werden aktuell gekürzt, was die Sozialen Unternehmen besonders hart trifft. Gleichzeitig wird eine Segmentierungsstrategie beim AMS eingeführt. Arbeitslose Menschen werden in drei Gruppen eingeteilt und die Gruppe mit den niedrigsten Arbeitsmarktchancen bekommt viel weniger Angebote. Außerdem gibt es aktuelle Pläne, die Notstandshilfe abzuschaffen. In Summe ergibt das ein explosives Gesamtpaket – das bedeutet „Hartz IV auf Österreichisch“.
Eine aktuelle Debatte.
Eine perfide Diskussion. Weil wir sie führen, ohne dass es einen aktuellen Grund gibt, das bestehende System in Frage zu stellen. Das Netz der Notstandshilfe aus dem System zu reißen bedeutet, mit einem Schlag 121.000 Menschen in die Mindestsicherung zu treiben. Also dorthin, wo sie keine Pensionsansprüche haben, wo es Vermögenszugriff geben wird, wo sie nichts hinzuverdienen können und wo es einen brutalen Statusverlust gibt. Es ist Kalkül, diese Gruppe ins Abseits zu drängen.
Was ist ihr Wunsch an die Politik?
Es geht darum, zukunftsorientiert zu denken und Experimente zu wagen. Die Lust am Experimentellen zu entdecken. Die Politik muss sagen, dass wir eine gute Konjunktur haben und genau deswegen in die Zukunftsfragen des Arbeitsmarktes investiert wird. Dabei geht es nicht nur um Erwerbsarbeit. Es gibt auch Sorgearbeit, Freiwilligenarbeit, Arbeit an sich selbst und wir wissen, dass Arbeit in allen Facetten extrem ungleich verteilt ist. Da gibt es viel zu verhandeln und zu diskutieren. Weil die Arbeitswelt im Umbruch ist, muss man auch über die sozialen Sicherungssysteme der Zukunft diskutieren.