Das System sind die Menschen
Weniger abstrakt sind allerdings die Menschen, die ein System erst ausmachen oder am Laufen halten. Man kann nicht am System sparen, ohne an den Menschen zu sparen, egal, wie sehr die PR-Profis dies auch beteuern mögen. Das zeigte sich jüngst bei der AUVA. Letztlich wird nur von einer Tasche in die andere umgeschichtet, denn jede Entlastung muss von jemand anderem bezahlt werden. In diesem Fall sind es einmal mehr die Beschäftigten, die die Zeche bezahlen müssen, während die Unternehmen entlastet werden.
Und so arbeitet sich die Bundesregierung durch das System der Gesundheitsversorgung, das Sozialsystem etc. bis zum System der Gewerkschaften und Arbeiterkammern vor. Letztere sind ihr ein besonderer Dorn im Auge, stemmen sie sich doch gegen jene Kräfte, die eine Aufstockung des Kapitals zulasten der Mittel- und Unterschicht anstreben. Denn dort sieht die Regierung in Wirklichkeit das größte Einsparungspotenzial: im „System“ der Beschäftigten.
Mit der entmenschlichten Diskussion über AsylantInnen und Flüchtlingsrouten werden massive soziale und rechtliche Eingriffe kaschiert. Drastische Einschnitte bei der Mindestsicherung, die geplante Abschaffung der Notstandshilfe samt Zugriff auf das Ersparte, verschärfte Zumutbarkeitsbestimmungen, Verschlechterungen bei der Altersteilzeit und so weiter – es geht um Sozialabbau, parteipolitische Einflussnahme und den Verlust demokratischer Grundrechte. Egal ob AUVA, der „Bau“ einer Gesundheitskasse, der verordnete 12-Stunden-Arbeitstag oder AMS-Kürzungen – es wird immer augenscheinlicher, dass Türkis-Blau ein rigides Sparprogramm zulasten der ArbeitnehmerInnen-Familien und der sozial Schwächeren fährt. Hinter dem Schlagwort „Reformen im System“ droht die mutwillige Zerschlagung unserer sozialen Einrichtungen, um die uns viele Länder beneiden.
Ebenso beneidet werden wir von Millionen Beschäftigten anderer Länder um unsere ArbeitnehmerInnenvertretung, die als Nächstes auf der Systembereinigungs-Liste steht. Was wäre die Folge einer massiven Kürzung der AK-Solidarbeiträge, wie sie die Regierung plant? Wer würde dabei draufzahlen? Ausschließlich diejenigen, die Rechtsschutz und Hilfe bei Fragen im Arbeits- und Privatleben benötigen, vor allem diejenigen, die sich keinen Anwalt leisten können.
Angriff auf die Grundfesten
Mit der Kürzung oder gar Aufhebung der solidarischen Mitgliedschaft würde die starke Interessenvertretung beschnitten werden, ArbeitnehmerInnen würden um ihre Rechte und um viel Geld gebracht werden. Natürlich sieht die unternehmerfreundliche Bundesregierung hier viel Einsparungspotenzial, denn immerhin haben die Arbeiterkammern 2017 für ihre Mitglieder 507 Millionen Euro erkämpft, während die Solidarbeiträge nur 451 Millionen betrugen. Viel Geld, das den Beschäftigten und ihren Familien zusteht, viel Geld, das den Unternehmen verloren geht, solange es die AK gibt …
Der kommende Herbst wird deshalb ebenso heiß, wie es der heurige Sommer war. Denn ein Angriff auf die mehr als 3,6 Millionen ArbeitnehmerInnen bedeutet auch einen Angriff auf die Grundfesten unserer Gesellschaft. Und damit wird planlos ein weiteres „System“ aus Menschen zerschlagen, das mit all seinen Facetten seit über 70 Jahren den Frieden in Österreich sichert.
Erwin Zangerl
AK-Präsident Tirol und BAK-Vizepräsident
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.
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